Luther-Kolumne
Jenseits von Jammer und Jubel
500 Jahre Reformation bedeuten auch 500 Jahre Teilung der Kirche. Gedanken zum Jubiläum aus katholischer Sicht
Seit einem halben Jahrtausend stößt die Reformation in der katholischen Kirche auf eine große Befangenheit. Es fällt ihr notorisch schwer, sich einen Reim auf die evangelische Kirche zu machen. Dass in ihrer Mitte eine Bewegung aufbricht, die eine Reform an Haupt und Gliedern fordert, ist ihr tief ins Gedächtnis gebrannt. Man braucht bloß an die Franziskaner oder an die Jesuiten zu denken; vor einem halben Jahrhundert hat das Zweite Vatikanische Konzil die katholische Kirche grundlegend verändert. Aber dass einem ihrer Protagonisten die Dynamik der Veränderung wichtiger wird als die Einheit der Kirche, ist im katholischen System der vielstimmigen Harmonien nicht vorgesehen.
Die Folge ist, dass Martin Luther in der katholischen Kirche lange Zeit verdrängt und verteufelt worden ist. Der Heroisierung des Reformators auf evangelischer Seite, die sich in den klobigen Denkmälern des 19. Jahrhunderts manifestiert, entspricht die Dämonisierung auf katholischer Seite. Schon in den auflagenstarken Flugblättern des 16. Jahrhunderts kommt sie zum Ausdruck. Der Mönch, der sein Gelübde gebrochen hat, der Eiferer, der den Papst in den Dreck zieht, der Ketzer, der die Kirche spaltet und die Moral verkommen lässt – die antiprotestantischen Stereotypen sind auch in der Gegenwart nicht einfach verschwunden.
Verdrängung des Unliebsamen
Sublimer ist die Verdrängungsstrategie. Nach wie vor tun die meisten Katholiken so, als habe es die Reformation nie gegeben. Man ist nicht so blind, dass man die weltweite Bewegung des Protestantismus nicht sähe. Aber sie wird eher als Abirrung vom rechten Weg der katholischen Kirche betrachtet denn als echte Alternative, mit der man sich ernsthaft auseinandersetzen müsste. In Ländern wie Deutschland, die konfessionelle Parität kennen, stehen die Chancen noch am besten. Aber weltweit ist die Versuchung groß, dass die katholische Kirche sich im wesentlichen nur auf sich selbst bezieht.
Mit ihrem Fremdeln bleibt die katholische Kirche allerdings weit hinter ihren eigenen Möglichkeiten zurück. Heinz Schilling hat in seinem weltgeschichtlichen Panorama gezeigt, was sich alles „1517“ im katholischen Kosmos ereignet hat (C. H. Beck, 2017). Martin Luther gehörte wie Huldrych Zwingli und Johannes Calvin in das breite Spektrum katholischer Reformbewegungen hinein. Er hätte eine kritische und konstruktive Antwort verdient – er hat sie von unfähigen Bischöfen nicht erhalten; das Konzil von Trient, das Kernthemen des Reformators aufgriff, kam zu spät. Luther hat mit guten katholischen Theologen diskutiert; aber seine Kontrahenten waren entweder so sehr auf die Verteidigung päpstlicher Privilegien fixiert, dass sie verkannten, was an Luthers Kirchenkritik berechtigt war, oder vom reformatorischen Eifer so abgestoßen, dass die Debatten nicht weitergeführt wurden – zum beiderseitigen Schaden.
Die Skepsis der katholischen Kirche im Vorfeld von 2017 war groß. Würde ein weiteres Mal die Reformation zum weltgeschichtlichen Befreiungskampf hochgejubelt, würde wieder ein Feuerwerk anti-katholischer Pointen abgebrannt, würde erneut eine Ehe – oder Lebensabschnittspartnerschaft – zwischen evangelischer Kirche und deutschem Staat geschlossen werden? Die Geschichte der „Jubiläen“ ist vom Nationalismus kontaminiert, bis hin zu den deutsch-deutschen Auseinandersetzungen 1983, als der 500. Geburtstag des Reformators gefeiert wurde. Der Auftakt mit der „Lutherdekade“, die im Zeichen einer „Ökumene der Profile“ die Errungenschaften der Moderne – von der Toleranz über die Bildung, von der Freiheit bis zum Rechtsstaat – als Wirkung der Ablassthesen verkaufen wollte, schien ins gewohnte Bild zu passen.