https://rotary.de/gesellschaft/der-dirigent-im-parlament-a-17073.html
Rotary Entscheider

Der Dirigent im Parlament

Rotary Entscheider - Der Dirigent im Parlament
Dirigent, Staatsmann, Rotarier: Wolfgang Sobotka © Parlamentsdirektion/Johannes Zinner (alle Fotos)

Österreichs zweithöchster Politiker Wolfgang Sobotka redet Klartext. Ein Gespräch über rotarische Freuden, den harten politischen Alltag und Fridays for Future.

01.12.2020

Als Präsident des Nationalrates ist Wolfgang Sobotka (RC Waidhofen-Amstetten) der zweithöchste Mann im Staat. Dort ist er für geordnete Abläufe zuständig. Immerhin hat er Dirigieren gelernt, auch wenn es im Parlament oft nicht sehr harmonisch zugeht.

Herr Präsident, Sie sind seit 1. Jänner 1989 Rotarier, also schon lange. Können rotarische Werte auch als Leitlinien für politisches Handeln dienen?

Ja, denn rotarische Werte sind eine Guideline für ein vernünftiges Miteinander. Schon die Frage „Ist es fair?“ ist eine wesentliche Linie.

Aber in der Politik ist ja Fairness nicht immer das oberste Ziel.

Stimmt, aber es gilt, auch gegenüber dem Mitbewerber eine andere Meinung zu akzeptieren, dem anderen ein respektvoller Widerpart zu sein. In der Politik will man etwas weiterentwickeln, also man unterstützt etwas, von dem man überzeugt ist, dass es die Gesellschaft zum Positiven verändert. Den Anspruch hat natürlich jeder, egal aus welcher ideologischen Richtung er kommt, und das muss man akzeptieren können. Zum Problem wird nur die Frage „Hilft es allen?“. Man muss Entscheidungen auch manchmal gegen jemanden oder gegen etwas treffen, für eine Mehrheit. Das Mehrheitsprinzip ist ja im Rotarischen nicht so sehr verankert, ist aber ein urdemokratisches Prinzip. Aber die ethischen Regeln sind auch bei politischen Entscheidungen eine Grundlage. Ich war immer politisch tätig und da hat es umgekehrt auch Diskussionen in meinem Club gegeben, ob man einen Politiker aufnehmen kann und wie man mit einem Politiker umgeht.

Da waren Sie aber noch in der Kommunalpolitik.

Ja, aber es hat schon damals eine Rolle gespielt, denn ich war immer ein, sagen wir, mit einem klaren Profil ausgestatteter Mensch. Nur, warum geht man zu Rotary? Weil man sich dort mit Freunden trifft, auch mit Freundinnen, wir haben Gott sei Dank jetzt auch Frauen im Club, weil man dort aus unterschiedlichen Berufssparten und Meinungen lernt, auf ein größeres Ganzes zu schauen. Dieses Prinzip gilt ja auch für die Politik. Man kann aber nie alle zufriedenstellen, bei Rotary haben alle gleiche Ziele, das ist in der Politik anders.

Wie eng ist Ihr Kontakt zu Ihrem Club?

Jetzt wenig, der Club ist in Waidhofen, ich in Wien, ich bin daher wenig dort, habe aber Auswärtspräsenzen, mache da und dort Vorträge. Auch im Ausland ist Rotary für mich sehr wesentlich. Wenn man das Abzeichen sieht, ist das sehr angenehm, auch in der Diskussion mit der Zivilgesellschaft. In der Ukraine zum Beispiel hatte ich rotarische Kontakte, weil diese Leute eher unabhängig von der Politik sind.

Findet man einen leichteren Zugang, wenn man weiß, der ist auch Rotarier?

Absolut! Weil er die gleiche Haltung hat.

In Ihrer Funktion als Nationalratspräsident sind Sie zu einer gewissen Überparteilichkeit angehalten, andererseits sind Sie Parteipolitiker. Ist das gelegentlich ein Dilemma?

Nein, denn die Überparteilichkeit gilt in der Frage der Vorsitzführung bei Sitzungen und bei der Unterstützung der Abgeordneten. Ich bin als Chef der Parlamentsdirektion ja auch für die Unterstützung der Abgeordneten zuständig. Da bekommen alle die gleichen Ressourcen. Ich kämpfe auch für jeden Parlamentarier. Das hat aber nichts mit der Meinung zu tun, ich bin ja auch stimmberechtigt.

In der Tageszeitung „Die Presse“ wurden Sie kürzlich beschrieben als einer, der zwei Rollen spielt, den überparteilichen Staatsmann und den gelegentlich aufbrausenden Provokateur. Welches Bild davon stimmt?

2020, entscheider, wolfgang sobotka, dezember

Wolfgang Sobotka steht als Vorsitzender des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Aufklärung der Ibiza-Affäre in der Kritik.

Diese Zuschreibungen überlasse ich anderen. Ich glaube, dass ich situations-adäquat zu agieren habe. Die Leitlinie meines Handels ist immer das Gesetz. Unsere Verfassung ist heuer 100 Jahre alt geworden. An ihr fasziniert mich das rechtspositivistische Prinzip, das ist ganz anderes als das deutsche Grundgesetz. Es enthält zum Beispiel die Ewigkeitsklausel der Demokratie. Das gibt es in Österreich nicht. De facto könnte man hier mit einem Volksentscheid mit 2/3 Mehrheit sogar die Demokratie abschaffen. Das hat natürlich niemand im Sinne, aber der Rechtspositivismus kennt keine Wertung im Gesetz, und das ist ein wesentlicher Zugang. Nehmen Sie nun einen fast wöchentlichen Rechtsbruch her: Wenn Schüler für Fridays für Future demonstrieren und nicht den Unterricht besuchen, sagen manche, das muss man im Sinne des höherwertigen Gutes akzeptieren. Ich bin überzeugt, würden die zur selben Zeit gegen Ausländer demonstrieren, dann wäre das ein doppeltes Verbrechen, ein moralisches und eines gegen das Schulbesuchsgebot. Wenn ich so etwas anspreche, sagt man, ich sei ein Provokateur. Nur, es geht nicht, dass man sich das Recht zurechtbiegt.

Aktuell sind Sie als Vorsitzender des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Untersuchung der Ibiza-Affäre mit Kritik aus vier Parteien konfrontiert. Nicht nur die Opposition wirft Ihnen Befangenheit vor und verlangt Ihren Rückzug, selbst der Koalitionspartner, die Grünen, hat Sie kritisiert. Haben Sie da eine harte Haut?

Wenn man Demokrat ist, muss man mit Kritik umgehen können, im Sinne Voltaires. Ich kämpfe dafür, dass sie ihre Meinung frei äußern können, ich teile sie aber nicht.

Aber geht Ihnen das nicht auch nahe?

Nein, das ist Teil des politischen Agierens. Ob es fair ist, ist eine andere Frage. Ich dränge darauf, dass alles auf der Rechtslage basiert, und das ist nicht jedem sympathisch. Das gilt auch für meine Situation jetzt, man kann sich nicht den Vorsitzenden politisch aussuchen. Das Gesetz sieht es so vor, (Anm.: dass der Präsident des Nationalrates den Vorsitz im U-Ausschuss führt) und das muss man daher umsetzen. Dass ich nicht einer bin, der zaudert, ist kein besonderes Geheimnis, aber dass ein permanentes Mobbing und Bashing, wie es derzeit passiert, von mir nicht achselzuckend akzeptiert wird, wird man auch verstehen.

Sie sind auch Dirigent, Sie sind Historiker, Sie waren Lehrer. Nun gibt es im Parlament so manche Abgeordnete aus Lehrberufen, auch Historiker, aber Dirigenten sind selten. Hat das eine Parallelität, das Dirigieren und das politische Agieren?

Nein.

Aber Sie führen Menschen, in beidem. Sind Sie das nicht schon oft gefragt worden?

Ja, immer wieder. Mit Menschen umzugehen ist vielleicht die gemeinsame Klammer. Aber künstlerisches Arbeiten ist etwas ganz anderes, hier geht es darum, eine Partitur gemeinsam zum Klingen zu bringen. Ich sehe keine Analogien, außer dass man mit Menschen gern umgeht. 

Wie oft kommen Sie zum Dirigieren?

Jeden Freitag, da haben wir regelmäßig Proben. Dazu kommen die Aufführungen, am letzten Wochenende habe ich zwei mal die Beethoven-C-Dur-Messe dirigiert.

Sie haben auch Cello studiert. Spielen Sie oft?

Jetzt in Coronazeiten hab ich mit meinem Sohn, der Cello lernt, fast jeden Abend eine Stunde geübt.

Haben Sie schon mit Wolfgang Schüssel (Anm.: ehem. Bundeskanzler) gespielt, der ja auch Cello spielt?

Nein, mit Wolfgang Schüssel diskutiere ich immer.

Sie haben auch Platten eingespielt, Mozart zum Beispiel. Warum gerade Mozart? Hat der eine besondere Bedeutung für Sie?

Ich mache alle zehn Jahre das Mozart-Requiem, immer in den 1-er-Jahren (Anm.: Mozart starb 1791). Um Mozart kommt kein Musiker herum.

Mozart war auch nicht gerade als Diplomat bekannt, wäre er heute als Politiker denkbar, mit seiner Popularität?

Ich glaube, er hätte sich dem nicht gestellt, das wäre auch schade gewesen, so eine Ausnahmepersönlichkeit in Sitzungen zu stecken ...

... die es damals aber nicht gegeben hat.

Ja, aber er war auch so ein Genie, dass jede Zeit, die er für Anderes verwendet hätte, eine Vergeudung gewesen wäre.

Wenn Sie einmal nicht mehr Politiker sein sollten, werden Sie sich dann wieder mehr dem Dirigieren widmen?

Darüber hab ich noch nicht nachgedacht. Aber keine Sorge, ich möchte so lange politisch arbeiten, so lange ich kann.

Hätten Sie sich eine Profi-Karriere als Dirigent vorstellen können?

Ja, natürlich, wenn man das studiert und Wettbewerbe gemacht hat, sehr wohl. Es war mir halt nicht vergönnt, davon gut leben zu können. Ich hatte damals schon Familie, das wäre ein Fiasko gewesen. Vielleicht hatte ich zu wenig Talent.

Waren Sie in Ihren mehr als 30 Jahren bei Rotary je Präsident? So wie jetzt im Parlament?

Nein, (lacht) ich war Vortragsmeister, Sekretär, Sozialdienstbeauftragter. Ich habe viele Positionen eingenommen, aber nie das Präsidentenamt.

Das Gespräch führte Hubert Nowak.


Zur Person

Mag. Wolfgang Sobotka, RC Waidhofen-Amstetten, studierte Geschichte, Violoncello und Dirigieren (Brucknerkonservatorium Linz), war Lehrer, Bürgermeister von Waidhofen/Ybbs, Landesrat und Innenminister. Seit 2017 ist er Abg. zum Nationalrat (ÖVP) und Präsident des Nationalrats sowie Mitglied des Kammerorchesters Waidhofen an der Ybbs.