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Editorial

Der Kern der Gesellschaft

Editorial - Der Kern der Gesellschaft
© Jessine Hein / Illustratoren

Eine Annäherung an den Begriff des Bürgerlichen

01.10.2019

Was ist bürgerlich? Diese Frage erregte in den vergangenen Wochen die öffentlichen Gemüter, nachdem am Abend der Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen der AfD-Vorsitzende Alexander Gauland seine Partei als bürgerlich charakterisierte und ihm Vertreter der anderen Parteien sofort und entschieden widersprachen.
Begonnen hatte die Debatte über den Begriff der Bürgerlichkeit freilich schon früher. Ende Juli beklagte der Schriftsteller Bernhard Schlink in einem Essay in der FAZ eine Krise des öffentlichen Diskurses und insbesondere eine zunehmende Engführung des Mainstreams, in deren Folge immer mehr Meinungen aus der Mitte der Gesellschaft herausfielen. Auf Schlink erwiderte Wirtschaftsminister Peter Altmaier kurze Zeit später an gleicher Stelle und plädierte für eine „bürgerliche Moderne als konstitutives Element der gesellschaftlichen Entwicklung“, die im wesentlichen auf zwei Säulen ruhen sollte: „Zum einen auf der Akzeptanz dessen, was Errungenschaft von Aufklärung und Französischer Revolution ist und Moderne genannt werden muss“, zum anderen „in der Restituierung oder besser: in der Neuschaffung eines starken Bürgertums, das zur gesellschaftlichen Mitgestaltung willens und befähigt ist.“ Angesichts des Wandels unserer gesamten Lebensumstände erscheint dieser Aspekt der Debatte weitaus wichtiger als die Frage, ob eine einzelne Partei das Prädikat bürgerlich verdient oder nicht.
Schon vor gut zwei Jahren beschrieb Andreas Reckwitz in seinem Buch „Die Gesellschaft der Singularitäten“, wie in unserer spätmodernen Gegenwart kaum noch das Gemeinsame und Verbindende zählen, sondern mehr und mehr nur noch das Besondere: Güter und Events müssen „authentisch“, „originell“ und „exklusiv“ sein, Biographien werden nicht mehr gelebt, sondern „kuratiert“; selbst Städte und Gemeinschaften präsentieren sich im Vergleich zu anderen als „einzigartig“ und „singulär“. Können wir eine solche Gesellschaft, in der inszenierte Promis vielfach eine größere Rolle spielen als gewählte Repräsentanten, überhaupt noch als bürgerlich bezeichnen? Diesen und weiteren Fragen widmen sich die Beiträge im aktuellen Heft.

Wie halten Sie es mit dem Impfen? Auch diese Frage ist im oben genannten Sinne zutiefst bürgerlich. Ohne jede Not kehren in den vergangenen Jahren längst verdrängte Krankheiten zurück, nur weil Skeptiker gegen jede Evidenz Impfungen verweigern. So kommt es, dass ausgerechnet in unserer Gesellschaft mit ihrem hoch entwickelten Gesundheitssystem die Zahl der Fälle von Masern, Mumps, Windpocken, Keuchhusten etc. dramatisch ansteigen.
Doch wie umgehen mit diesem Phänomen? Unser Kollege Matthias Schütt sprach mit rotarischen Freunden, die sich von Berufs wegen mit den Folgen der Impfverweigerung herumplagen müssen, und die in der Aufklärung
gegen die Ignoranz auch eine Aufgabe für Rotary sehen.

Es grüßt Sie herzlichst Ihr

 

René Nehring
Chefredakteur