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Titelthema

Der lange Weg zur Partnerschaft

Titelthema - Der lange Weg zur Partnerschaft
Endlich unabhängig: Das britische Mandat über Palästina endete am 14. Mai 1948. Zwei Monate später verabschiedete Israels Ministerpräsident David Ben-Gurion die Nachhut der einstigen Besatzer. © bettmann archive/getty images, stephan rumpf

Im Mai 1965 nahmen Israel und Deutschland diplomatische Beziehungen zueinander auf. Doch die gegenseitige Annährung begann schon früher.

Michael Brenner01.05.2023

Der Staat Israel und die Bundesrepublik Deutschland sind Kinder der gleichen Zeit, doch äußerst verschiedener Eltern. Israel wurde 1948 gegründet als ein Zufluchtsort für Überlebende des Holocaust und als ein sicherer Hafen für all diejenigen Juden, die in der Zukunft von Verfolgungen bedroht sein sollten. Die ein Jahr später etablierte Bundesrepublik übernahm das Erbe eines Volkes, das für den größten Massenmord in der modernen Geschichte verantwortlich war und sich erst wieder in die Völkergemeinschaft eingliedern musste. Trotz oder vielmehr gerade wegen dieser unterschiedlichen Gründungsvoraussetzungen kam es zu besonderen Beziehungen zwischen den beiden Staaten.


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In den Anfangsjahren strebten weder Israel noch die Bundesrepublik nach offiziellen Beziehungen. Für die israelische Regierung war die Sache klar. Diplomatische Beziehungen mit einem deutschen Staat so kurz nach Ende des Krieges würde auf völliges Unverständnis unter den Überlebenden stoßen. Das israelische Außenministerium stempelte sogar in alle israelischen Pässe den Zusatz: „Gültig für alle Länder mit Ausnahme Deutschlands“. Doch auch die Bundesregierung drängte keineswegs auf diplomatische Beziehungen. Man wusste zum einen sehr genau, dass es Zeit brauchte, um die Beziehungen zwischen Deutschen und Juden zu normalisieren. Zum anderen spielten auch eigene außenpolitische Interessen eine Rolle. Im Hintergrund drohten die arabischen Staaten, Beziehungen zur DDR aufzunehmen, sollte die Bundesrepublik einen Botschafter nach Tel Aviv senden. Gemäß der Hallstein-Doktrin hätte die Bundesrepublik dann die Beziehungen zu diesen Öl exportierenden Ländern abbrechen müssen.

Nach der Unabhängigkeit kam der Krieg

Israel hatte zwar tatsächlich Ende der 40er und Anfang der 50er Jahre ein Konsulat in München, doch war dieses nicht bei den deutschen Behörden, sondern bei den Amerikanern akkreditiert. Seine Hauptaufgabe bestand darin, den osteuropäischen jüdischen Flüchtlingen, die sich nach 1945 in der amerikanischen Zone aufhielten, die Einwanderung nach Israel zu erleichtern. 1952 begannen Verhandlungen zwischen den beiden Ländern über die sogenannte „Wiedergutmachung“. Die Bundesrepublik musste Verantwortung für die eigene Geschichte zeigen, auch um in die Familie der Staaten aufgenommen zu werden, und Israel benötigte dringend Güter und Waffen, um die zahlreichen Einwanderer zu integrieren und sich gegen seine ihm feindlich gesinnten Nachbarn zu verteidigen. So hatte die Geschichte des Staates Israel, wenige Stunden nachdem am 14. Mai 1948 Ministerpräsident David Ben-Gurion dessen Unabhängigkeit ausrief, mit der Kriegserklärung durch fünf arabische Staaten begonnen. Der Krieg war zwar 1952 vorbei, doch die Bedrohung war geblieben, und neue Kriege brachen 1956, 1967, 1973 und 1981 aus.

Als im März 1952 die Verhandlungen zwischen einer bundesdeutschen und einer israelischen Delegation im niederländischen Badeort Wassenaar begannen, hatten diese von Anfang an gegensätzliche Auffassungen, worüber sie eigentlich verhandelten. Während die deutsche Delegation von Wiedergutmachung sprach, was auch eine moralische Dimension beinhaltete, legte die Delegation der Israelis und der Claims Conference Wert darauf, über „Schilumim“ zu sprechen, was den rein finanziellen Aspekt der Entschädigung der Überlebenden bezeichnete. Die offizielle Distanz, aber auch das gegenseitige persönliche Annähern werden deutlich, wenn man sich genauer ansieht, was am Verhandlungstisch ablief. Fast alle israelischen Delegierten konnten Deutsch. Sie waren jedoch dazu angehalten worden, nur auf Hebräisch oder Englisch mit den Verhandlungspartnern zu sprechen, und so bedurfte es eines Dolmetschers, der die Beiträge der einen Deutsch-Muttersprachler für die anderen Deutsch-Muttersprachler übersetzte, wenn sich die Delegierten nicht selbst auf Englisch abmühten. Als dies wieder einmal geschah, bemerkte der deutsche Delegierte Otto Küster, dass er vermeinte, einen schwäbischen Akzent im Englisch von Felix Shinnar herauszuhören. Shinnar, der zweite Vorsitzende der israelischen Delegation, bestätigte dessen Vermutung. Es stellte sich heraus, dass sowohl Küster als auch Shinnar, damals noch unter dem Namen Schneebalg, in Stuttgart aufgewachsen waren und dort sogar dieselbe Schule besucht hatten. Sie schrieben gar eine gemeinsame Postkarte an einen ihrer früheren Lehrer. Diese zufällige Begegnung ließ das Eis brechen, und die Delegation sprach fortan entgegen den offiziellen Bestimmungen auch auf Deutsch miteinander. Auf offizieller Ebene jedoch hielt die Eiszeit auch noch an, nachdem sich beide Delegationen auf das „Lu xem bur ger Abkommen“ geeinigt hatten.

In Israel drohten Demonstranten von Menachem Begins rechtsgerichteter Opposition, gewaltsam in die Knesset einzudringen, und konnten nur unter Einsatz von Tränengas davon abgehalten werden. Auch Vertreter des politisch linken Rands versuchten Ministerpräsident David Ben-Gurion davon abzubringen, das „Blutgeld“ aus Bonn anzunehmen. In Bonn wiederum hatte Konrad Adenauer es mit dem erbitterten Widerstand aus seinen eigenen Reihen zu tun. Der Großteil seiner eigenen Partei verweigerte ihm die Gefolgschaft, als er in einer Bundestagsrede davon sprach, dass „im Namen des deutschen Volkes unsagbare Verbrechen“ geschehen seien, „die zur moralischen und materiellen Wiedergutmachung“ verpflichteten. Auch die Mehrheit der deutschen Bevölkerung war gegen das ausgehandelte Abkommen. Nur elf Prozent der Deutschen sprachen sich 1952 für die Wiedergutmachungszahlungen aus. Am Ende konnte Adenauer das am 10. September unterzeichnete Abkommen nur mit der Unterstützung aus den Reihen der oppositionellen Sozialdemokraten retten. Nicht zu vergessen ist, dass sich die DDR strikt weigerte, über Zahlungen an Israel zu verhandeln. Die wenigen führenden Politiker im Osten Deutschlands, allen voran SED-Politbüro-Mitglied Paul Merker, die eine Diskussion darüber und damit auch über die Verantwortung für die Verbrechen der NS-Zeit übernehmen wollten, wurden aus der Partei ausgeschlossen und verhaftet.

Es war nicht zuletzt den persönlichen Beziehungen zwischen den beiden führenden Politikern der beiden Staaten, Konrad Adenauer und David Ben-Gurion, zu verdanken, dass gegen den Widerstand aus den eigenen Reihen der Weg für volle diplomatische Beziehungen im Jahre 1965 gebahnt wurde. In diesem Sinne hatten die „Schilumim“ auch den aus der gleichen Wortwurzel gebildeten Schalom gebracht, eine friedliche Koexistenz und sogar erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Deutschen und Israelis.

Während die wirtschaftliche und militärische, teilweise auch die akademische Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern schon vor 1965 erfolgreich lief, brauchte es noch einige Jahre zu einem fruchtbaren kulturellen Austausch. So waren in Israel Aufführungen deutscher Künstler und Künstlerinnen verboten, auch an deutschen Sprachunterricht an Schulen konnte man noch nicht denken. Als erster deutscher Kulturrepräsentant besuchte der Schriftsteller Günter Grass, dessen Mitgliedschaft in der Waffen-SS damals noch nicht bekannt war, 1967 Israel. Er galt als Vertreter des „anderen Deutschland“ und wurde vom israelischen Staatspräsidenten empfangen. Seinen Vortrag in der Hebräischen Universität durfte er auf Deutsch halten. Proteste gab es vom israelischen Schriftstellerverband und der Studentenvereinigung.

Riesiges deutsches Interesse an Israel

Ganz anders die Situation auf deutscher Seite, wo mit der beginnenden Aufarbeitung der eigenen Geschichte ein geradezu enthusiastisches Interesse an den verschiedensten Aspekten israelischer Kultur erwachte. Bestes Beispiel dafür war der Schriftsteller Ephraim Kishon. Von weltweit rund 41 Millionen Exemplaren seiner Bücher wurden allein etwa 31 Millionen in Deutschland verkauft. Im Bereich der Musik gab es entsprechend erfolgreiche Interpreten wie Esther und Abi Ofarim sowie Daliah Lavi, auf der Theaterbühne die Figur des Tevje im Musical Anatevka, verkörpert durch den israelischen Schauspieler Shmuel Rodensky. Gleichzeitig reisten Tausende junger Westdeutscher im Zuge der seit den 70er Jahren in Mode gekommenen Kibbuzreisen persönlich nach Israel, wo sich ihre Begeisterung für den israelischen Sozialismus beim Orangenpflücken oft etwas abkühlte. Vor allem die Städtepartnerschaften, der Jugendaustausch und die Sportbegegnungen brachten die deutsch-israelischen Beziehungen auf eine alltägliche Ebene.

Heute ist Deutschland nicht nur in politischer und wirtschaftlicher, sondern auch in kultureller Hinsicht der zweitwichtigste Partner Israels nach den USA. Seit vielen Jahren gibt es ständige Regierungskonsultationen, befruchtende Zusammenarbeit im Hightech-Bereich sowie akademischen Austausch zwischen zahlreichen Institutionen. Die Beziehungen zwischen Deutschland und Israel werden wohl noch auf absehbare Zeit unter den besonderen Vorzeichen der deutschen Geschichte stehen. Doch kann man die Gespräche heute frei von der angespannten Atmosphäre früherer Jahrzehnte nicht mehr nur auf neutralem Grund führen, sondern in den israelischen Restaurants von Berlin oder den bayerischen Biergärten von Tel Aviv – auf Englisch, Hebräisch und natürlich auch auf Deutsch.