Tichys Denkanstoss
Der Metzger wird zum Musiker
Jahrhundertelang war es eine Utopie. Dann ein Thema einiger Spinner. Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos forderten es heuer die Reichen und Mächtigen: das bedingungslose Grundeinkommen. Die Schweizer stimmen am 5. Juni darüber ab – immerhin 2500 Franken je Person soll es betragen.
Die Großzügigkeit soll Ausgaben sparen – schon weil dann keine riesigen Bürokratien mehr mit Bewilligung, Berechnung und Kontrolle beschäftigt sind. Doch meist geht es nicht um Entbürokratisierung. Schub erhält diese Idee von der Furcht, dass uns die Arbeit ausgeht. Die Unzufriedenheit der Armen gefährdet den Wohlstand der wenigen Erfolgreichen. Aber es geht um mehr: Die Menschen zu befreien – aus der Notwendigkeit oder der schieren Not zur Arbeit.
Zwar gibt es in Deutschland bereits eine Art Grundeinkommen. Die „Hartzer“ erhalten Hilfe zu Lebensunterhalt, Wohnung, Krankenversicherung und begründetem Bedarf. Man könnte also argumentieren: Ziel erreicht. Für die Initiatoren ist das aber gerade keine gute Lösung. Die misstrauische Bedürftigkeitsprüfung sei entwürdigend, sagen sie. Außerdem werde ein grotesker Arbeitszwang aufrechterhalten, mit dem Grundeinkommen entfiele der.
Förderprogramm für Schwarzarbeit
Nicht mehr der Zwang zum Verdienen steht im Vordergrund der Tätigkeit, sondern die Selbstverwirklichung. Der Metzger wird zum Musiker, der Schreiner zum Gestalt-Therapeuten, und die Kassiererin greift in die Harfe statt in die Tasten. Arbeitgebern wird die Androhung der Kündigung als Instrument zur Disziplinierung entwunden, wenn das Grundeinkommen auch ohne Arbeit gesichert ist. Genau hier scheiden sich daher die Geister: Sicherlich ist die innere Motivation in vielen Berufen eine wichtige Triebkraft. Aber es gibt auch viele Berufe, in denen die Entlohnung eher den Charakter von Schmerzensgeld hat. Hinweise lassen sich aus den derzeitigen Unterstützungssystemen ablesen: Weil Hartz-IV-Leistungen für Familienverbünde mit vielen Kindern vergleichsweise groß sind, sinkt die Bereitschaft, schlechtbezahlte Tätigkeiten anzunehmen.
Und wie steht es um die Bereitschaft der Noch-Arbeitenden, noch höhere Steuern zu zahlen, wenn es sich auch ohne Tätigkeit gut lebt? Wird das bedingungslose Grundeinkommen zum Förderprogramm für Schwarzarbeit, die letztlich den „bezahlten“ Arbeitsmarkt aushöhlt und das System mangels Masse zum Kollabieren bringt? Letztlich reduziert sich die Frage nach dem Grundeinkommen auf das dahinter liegende Weltbild. Die Befürworter halten die Menschen in ihrer Mehrzahl für fleißig, hilfreich und solidarisch, die Arbeit geht uns ohnehin aus. Die Gegner meinen, die Bequemlichkeit sei nur mit materiellen Anreizen zu überwinden – und Arbeit bleibe dann liegen. Wofür entscheiden Sie sich?