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Interview

"Die Sorge ums Geld ist noch stärker"

Interview - "Die Sorge ums Geld ist noch stärker"
Kaum einer kennt die Generation Z besser als Jugendforscher Simon Schnetzer © Pio Mars

Jugendliche in Deutschland sind selbstbewusst und ängstlich zugleich. Was sie belastet, was sie fordern und denken, erklärt Jugendforscher Simon Schnetzer

01.07.2024

Herr Schnetzer, Ihre jüngste Trendstudie „Jugend in Deutschland“, in der Sie 2042 Menschen zwischen 14 und 29 Jahren zu ihrer Sicht auf die Zukunft befragt haben, überschreiben Sie mit: „Verantwortung für die Zukunft? Ja, aber“. Warum?

Junge Menschen werden häufig mit dem Vorwurf konfrontiert, sie seien faul und respektlos. Darin schwingt auch mit: Leute, wenn wir unseren Wohlstand halten wollen, müssen wir anpacken. Das gilt nicht nur für die ältere Generation, die diesen Wohlstand aufgebaut hat, sondern auch für die jüngere, die helfen soll, ihn zu bewahren. Wir haben die jungen Menschen gefragt, ob sie bereit sind, diese Verantwortung zu übernehmen. Und ja, sie sind sich ihrer Verantwortung bewusst, und ja, die überwiegende Mehrheit möchte gar nicht weniger, zum Teil sogar noch mehr arbeiten. Jetzt kommt das Aber: Sie möchten unter neuen Bedingungen arbeiten, die sie noch nicht vorfinden. Sie brauchen auch andere Arbeitsbedingungen, denn die Welt hat sich verändert, ist viel digitaler geworden. Außerdem sind viele Jugendliche durch die Coronapandemie psychisch belastet. Sie kritisieren, dass sie von Schule und Gesellschaft nicht gut vorbereitet werden auf das Arbeitsleben. Sie lernen nicht, mit Stress umzugehen, sie lernen nicht, mit Finanzen umzugehen. Sie stecken immer noch in einem Schulsystem von anno dazumal.

Wie sehen denn diese Bedingungen aus, die die Jugendlichen fordern?

Diese Bedingungen existieren noch nicht, weil Jugendliche kaum gehört werden und in politischen Diskussionen kaum eine Rolle spielen. Sie wünschen sich mehr Beteiligung. Am Arbeitsmarkt sehen wir die Bedingungen schon ganz konkret, weil wir einen Arbeitnehmermarkt haben. Junge Menschen sehen, was sie durch Fachkräftemangel und demografischen Wandel für Hebel haben: Wir sind gefragt wie noch nie, wir können Forderungen stellen, und wir tun es auch. Als die Forderung nach einer Viertagewoche kam, ging ein Aufschrei durchs Land. Aber wir Jugendforscher sind dazu da, nach den Gründen zu fragen. Wir kommen aus der Zeit der Coronapandemie, in der junge Menschen ganz plötzlich dazu gezwungen waren, ihren Planungshorizont von vielen Jahren auf einige Wochen oder Monate herunterzuschrauben. Das alte Narrativ, jetzt hart zu arbeiten, um es im Alter ruhig angehen lassen zu können, wirkt für junge Menschen wie eine Fiktion. Denn sie wissen, dass sie wahrscheinlich sehr lange werden arbeiten müssen. Darum sagen sie: Diese Work-Life-Balance muss ich jetzt haben. Und sie fordern, dass ihnen eine Krisenbewältigungskompetenz vermittelt wird. Wenn wir junge Menschen Krisen in einem Ohnmachtsgefühl erleben lassen, tragen wir als Gesellschaft dazu bei, dass sie sich noch stärker belastet fühlen. Und diese Belastung ist hoch.

Der Klimawandel war noch vor zwei Jahren die zweitgrößte Sorge der Jugendlichen, heute liegt er hinter der Inflation, dem Krieg in Europa und Nahost sowie der Sorge um teuren Wohnraum nur noch auf Platz vier. Ist der Klimawandel in der Jugend abgesagt?

Nein, aber die Sorge ums Geld ist noch stärker. Die Frage, ob man sich ein Leben noch leisten kann, ist akuter. Die Jugendlichen haben auch das Gefühl, dass ein Einzelner allein nicht viel bewirken kann. Ob einer mehr oder weniger Auto fährt, spiele also keine Rolle. Sie erwarten von der Politik den großen Wurf.

Aber wenn junge Menschen ihren persönlichen Wohlstand über den Klimaschutz stellen, sind sie ja eigentlich nicht besser als die Babyboomer, denen sie genau dieses egoistische Verhalten vorwerfen.

Hier geht es nicht um Wohlstand. Junge Menschen haben schlichtweg das Gefühl, nicht genug zum Überleben zu haben. Das betrifft natürlich längst nicht alle, aber immer mehr. Und es gräbt sich immer stärker in die Mittelschicht ein.

Wie kann das sein? Noch keine Generation war formal so gut ausgebildet und so international ausgerichtet wie diese. Kaum eine hatte so gute Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt. Woher kommt dieser Pessimismus? Sie haben ihre Zukunft doch selbst in der Hand.

Wenn Sie Superchancen haben auf dem Arbeitsmarkt, aber trotzdem nicht sicher sein können, den Wohlstand halten zu können, dann fühlt sich das doch an wie ein Mogelpaket.

Ist es denn wirklich so, oder ist das nur eine gefühlte Realität?

Die gefühlte Realität zählt! Wenn ich das Gefühl habe, meine Investition in die Zukunft, das Zukunftsversprechen, zählt nicht mehr, dann wird’s schwierig. Wenn wir ehrlich sind, können wir den jungen Menschen mit Blick auf die Sozialsysteme ja tatsächlich nichts versprechen. Wie soll denn das Rentensystem für diese Generation aussehen?

Haben Sie eigentlich eine Erklärung dafür, dass doch große Teile junger Menschen vormittags auf Klimademos gehen, nachmittags Fast-Fashion-Mode shoppen und abends bei Lieferando und Getir Essen bestellen? Wie geht das denn zusammen?

Wir erleben eine deutliche Ernüchterung des Klimaaktivismus, auch aufgrund des Gefühls, dass er zu wenig bewirkt. Wir beobachten außerdem eine zunehmende Sorge ums Geld. Wenn junge Menschen trotz knapper Kassen konsumieren möchten, kaufen sie halt keine Öko-Brands, sondern Billigmode. Und der Enthusiasmus, seinen eigenen Beitrag fürs Klima zu leisten, nimmt ab. Die Jugend als Ganze war nie grün, es hat nur so gewirkt, weil Fridays for Future so populär war. Aber heute werden sogar manche Jugendliche von Gleichaltrigen verlacht, wenn sie da noch mitlaufen. Die Mehrheit sagt heute: Ich habe Leistungsdruck und kümmere mich lieber um meine Zukunft. Damit beim Klima was vorangeht, brauchen wir jetzt die Politik.

Das Gespräch führte Björn Lange.