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Titelthema

Die dunkle Seite des Lichts

Titelthema - Die dunkle Seite des Lichts
Blick aus dem Weltall auf Zentraleuropa: hell erleuchtet bei Nacht © Volker Möhrke/getty images

Die grelle Dauerbeleuchtung in vielen Städten belastet die Gesundheit von Mensch und Tier. Ein Plädoyer für umweltfreundlichere Lichtkonzepte

Annette Krop-Benesch01.12.2019

Die Sonne versinkt über der Ewigen Stadt. Die Gassen von Rom laden ein, zwischen jahrtausendealten Monumenten zu schlendern und dann, wenn sich die Nacht über die Stadt gesenkt hat, in einem gemütlichen Restaurant zu Abend zu essen. Doch wer die warme Atmosphäre eines historischen Ortes erwartet, wird enttäuscht. Denn die Stadt hat die warmen Natriumlampen gegen weiße LEDs ausgetauscht. Das Motiv hierfür ist eigentlich lobenswert: Es sollen Energie und Geld gespart werden. In einer Zeit, in der jede Form der Energiegewinnung ökologische Schäden verursacht, ist das ein wichtiger Schritt. Doch das Ergebnis ist wenig ansprechend. „Es ist, als vergleiche man ein Candle-Light-Dinner mit einer Tiefkühlmahlzeit aus dem Laden um die Ecke“, klagt Reiseleiterin Elizabeth Minchilli.
Auch in anderen Städten hält die LED Einzug. In modernen Metropolen wie Hongkong und Frankfurt passt das durchaus zu den Erwartungen an das Stadtbild. Wir verwenden so viel Licht, dass unsere Städte und Küstenlinien aus dem Weltraum sichtbar sind. Und die Menge an Licht steigt. Unsere Welt wird jährlich um 2,2 Prozent heller, berechnete ein Team um den Physiker Christopher Kyba.
Für viele ist die Zunahme an Beleuchtung etwas Positives. Wir verbinden Licht mit Moderne und Sicherheit. Die meisten Menschen sind überzeugt, dass eine hellere Straße auch sicherer ist. Dank LED können wir um ein Mehrfaches heller beleuchten und trotzdem Energie sparen. Das funktioniert besonders gut mit neutralweißen LEDs. Deren Licht ist weißer und wirkt kälter, es erweckt den Eindruck einer taghellen Straße. Das klingt nach einem großen Fortschritt.
Doch nicht alle sind begeistert von dem hellen Licht. Installiert eine Gemeinde solche LEDs, kommen oft Beschwerden. Das Licht sei zu kalt, es blende. Anwohner berichten über Sehstörungen, Kopfschmerzen, Schlafprobleme. Alles nur Übertreibungen fortschrittsfeindlicher Nörgler? Nein, so die Wissenschaft. Grelles, blauhaltiges Licht überlastet unsere Augen, die Blendung kann sogar zur Gefahr im Straßenverkehr werden.
Fällt Licht in Schlafräume, kann es den Schlaf stören. Den brauchen wir aber dringend für unsere Gesundheit. Schlechter Schlaf senkt unsere Leistungsfähigkeit und kann zu Herz-Kreislauf-Problemen, Übergewicht und Depressionen führen. Wir werden anfälliger für Infekte und sogar unser Krebsrisiko steigt. Bei Menschen, die in hell erleuchteten Regionen leben, häufen sich diese Gesundheitsprobleme.
Das künstliche Licht bleibt nicht in den Städten. Es erzeugt Lichtglocken, die über Hunderte von Kilometern sichtbar sind. In den 80er Jahren formierte sich in Arizona die International Dark Sky Association (IDA), um sich des Problems der Lichtverschmutzung anzunehmen. Zu Beginn ging es ihr vor allem um den ungetrübten Blick auf ein Naturwunder, das die Kultur der Menschheit von Anbeginn prägte: die Milchstraße. Inzwischen ist diese für mehr als ein Drittel der Menschheit unsichtbar geworden. 88 Prozent des europäischen Himmels sind lichtverschmutzt. Für manchen kein wirkliches Problem, doch die Sehnsucht nach dem Blick in die Sterne ist groß.
Sabine Frank ist Koordinatorin im Sternenpark Rhön, eine von fünf IDA-ausgezeichneten Regionen Deutschlands, die „nachtfreundlich“ beleuchtet. Wenn sie eine Sternenführung anbietet, ist der Andrang groß. Menschen jeden Alters und sozialen Hintergrunds zieht es in die Nacht, um das weiße Band am Himmel zu sehen. „Es verbindet Menschen“, erzählt John Barentine von der IDA. „Im Licht der Sterne verschwinden Vorurteile, wir werden offener für neue Ideen und Bekanntschaften.“ Die Sterne, so glaubt er, verbinden die Menschen aller Kulturen.
Lichtverschmutzung betrifft allerdings nicht nur uns Menschen. Die größte Gefahr liegt in den ökologischen Folgen. Milliarden Insekten sterben jeden Sommer an deutschen Straßenlaternen. Sie werden vor allem durch blauhaltiges Licht angezogen. Ihnen folgen Fledermäuse, die im Licht leichtes Spiel haben. Doch nur wenige Arten jagen im Licht, andere bleiben im Dunklen – wo nun aber die Insekten fehlen. Dunkel müssen auch die Einfluglöcher der Quartiere sein. Der Trend, immer mehr Kirchen und andere Gebäude zu beleuchten, nimmt den gefährdeten Tieren den Wohnraum.
Wie dramatisch die Anziehungskraft des Lichts sein kann, zeigt sich beim World Trade Center Tribute in Light. In den zwei Lichtstrahlen, die um den 11. September 2002 herum in den Himmel reichten, tummelten sich plötzlich tausende Lichtpunkte: Vögel, die orientierungslos über der Stadt kreisten. Viele fanden den Tod. Andere entkamen, zu geschwächt für die Weiterreise. Jährlich endet der Vogelzug für Millionen von Zugvögeln durch Kollision mit beleuchteten Gebäuden. Die Skylines unserer Städte sind gefährlicher als alle Windräder.
Ganze Nahrungsnetze verändern sich im nächtlichen Schein. Zwei Drittel aller Tierarten sind nachtaktiv, die anderen brauchen Dunkelheit zum Schlafen. Ihre Lebensräume zu beleuchten ist nicht weniger folgenreich, als ein Feuchtgebiet trockenzulegen. Nur nehmen wir es nicht wahr.
Doch was können wir tun? Müssen wir angesichts all dieser Probleme das Licht ausschalten? Unvermeidlich ist ein Umdenken in Sachen Licht. Wir müssen uns fragen, wie viel Licht wir brauchen. Das hat auch positive Seiten. Lichtkunst lebt vom Spiel aus Licht und Schatten, und oft, so zeigen uns einige der besten Lichtdesigner, ist weniger Licht mehr.

Lichtchaos auf vielen Straßen
Weniger Licht kann sogar Sicherheit bedeuten, vor allem im Straßenverkehr. Das heutige Chaos aus Straßenlaternen, Werbeschildern, Fassadenbeleuchtung und Schaufenstern überfordert das menschliche Auge und schafft uneinsehbare Dunkelräume. Helles, punktuelles Licht weckt Ängste, vor allem bei Frauen. Wir brauchen gleichmäßiges, harmonisches Licht. Dann würden wir mit einem Bruchteil von dem, was wir heute nutzen, viel besser sehen.
LEDs ermöglichen auch eine sehr genaue Steuerung des Lichts. So wird die Straße beleuchtet, nicht das angrenzende Schlafzimmer. Einige Gemeinden steuern ihre Laternen durch Bewegungsmelder. Ist niemand auf der Straße, bleibt es dunkel. Und keine Sorge, Einbrecher zieht das nicht an. Die kommen meist am Tag und brauchen Licht für ihre Arbeit. Eine Hausbeleuchtung kann den Einbruch sogar erleichtern.
Wird Licht eingesetzt, sollte der Blauanteil gering sein. Das ist angenehmer fürs Auge – und somit sicherer für den Straßenverkehr – und lässt uns besser schlafen. Warmweiße und bernsteinfarbene LEDs sind zurzeit geringfügig weniger energieeffizient als die im Moment üblichen neutralweißen, doch weitaus weniger schädlich für die Tierwelt.
Lichtverschmutzung zu verringern bedeutet, sparsamer mit Licht umzugehen, vor allem aber mit mehr Qualität zu beleuchten. Der momentane Trend ersetzt die Nacht durch eine Kakophonie aus Licht. Was geschähe, wenn wir den Zauber der Nacht erhalten und Licht gezielter einsetzen würden? In jedem Fall gesünderer Schlaf, weniger Umweltbelastung und ein Himmel voller Sterne.


 

IDA-ausgezeichnete Sternenparks in Deutschland

In allen Parks werden Sternenführungen für Anfänger und Astronomen angeboten, es gibt Beobachtungsorte und sternenfreundliche Übernachtungsangebote. Zurzeit gibt es vier anerkannte Sternenparks in Deutschland.

Österreich hat zurzeit noch keine offiziell anerkannten Sternenparks.

Auszeichnung für nachtfreundliche Unternehmen: Das Projekt „Paten der Nacht“ zeichnet Unternehmen aus, die nachtfreundlich beleuchten oder nachts einfach abschalten.

Mehr Informationen auf paten-der-nacht.de

 


Buchtipp

Annette Krop-Benesch
Licht aus!?
Rowohlt Verlag,
256 Seiten,
12 Euro
rowohlt.de

Annette Krop-Benesch
Dr. Annette Krop-Benesch ist Chronobiologin und Expertin für den Einfluss künstlicher Beleuchtung bei Nacht auf Natur, Mensch und Gesellschaft.
Ihr kürzlich bei Rowohlt erschienenes Buch „Licht aus!?“ bietet eine interdisziplinäre Einführung in das Thema. nachhaltig-beleuchten.de