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Geschichte der deutsch-amerikanischen Beziehungen

Die Gemeinsamkeiten überwiegen

Seit dem Bekanntwerden der umfassenden Überwachung des Internets durch US-Geheimdienste wird über die Konsequenzen für die deutsch-amerikanischen Beziehungen debattiert. Doch auch schon vorher diagnostizierten Beobachter eine leichte Abkühlung in den transatlantischen Beziehungen. Die folgenden Beiträge fragen, wie es um das deutsch-amerikanische Verhältnis tatsächlich steht – und welches Interesse wir daran haben.

Josef Joffe16.01.2014

Sokrates wurde auf dem Marktkplatz gefragt, wie er seine Frau Xantippe, die berüchtigte Megäre, fände? Seine lakonische Antwort: „Im Vergleich zu wem?“ Alles ist also relativ, und so verhält es sich auch mit der deutsch-amerikanischen Freundschaft. Die sei doch im Schatten der NSA-Fischzüge, die auch vor dem Kanzler-Handy nicht haltmachten, arg angeschlagen worden, wenn nicht verloren gegangen.

Tatsächlich, wie die Oldtimer wissen, ist die Geschichte der deutsch-amerikanischen Freundschaft die Geschichte ihrer Krisen. Die erste brach schon vor Gründung der Bundesrepublik auf, als der nachmalige Wirtschaftsminister Ludwig Erhard gegen den Willen der Besatzungsmacht die Preiskon-trollen aufhob und so den ersten Schritt vom Schwarzmarkt in die Marktwirtschaft tat. Adenauer lag im verbissenen Clinch mit der Eisenhower-Regierung, die er ständig bezichtigte, einen Deal mit der Sowjetunion auf Kosten der deutschen Wiedervereinigung anzustreben.

Kennedy war dem Kanzler ein Gräuel. Hatte der nicht die Berliner Mauer zugelassen? Wollte er gar den Außenposten West-Berlin aufgeben? Ludwig Erhard stürzte 1966, weil er unter dem Zwang der Johnson-Administration den deutschen Beitrag zu den Stationierungskosten der US-Army gewaltig aufstocken musste. Ost- und Entspannungspolitik unter Willy Brandt heizten jahrelang das gegenseitige Misstrauen an: Wer würde wen für einen Ausgleich mit Moskau verraten? Während des Vietnamkrieges tobte eine Welle des Anti-Amerikanismus durch das Land.

In den Achtzigern sorgte die Nachrüstung für eine zweite Welle: Millionen protestierten damals gegen die Pershings und Marschflugkörper. Die Neunziger blieben ruhig; die Deutschen waren nun endlich wiedervereinigt und die quälende strategische Abhängigkeit von der Schutzmacht begann zu weichen. Zu Beginn des neuen Jahrtausends war es mit der Gelassenheit vorbei. Berlin tat sich mit Paris und Moskau zusammen, um George W. Bushs Krieg gegen Saddam Hussein zu sabotieren. Derweil rollten Demonstrationen durchs Land, auf denen Bush mit Hitler verglichen wurde. Barack Obama und Angela Merkel sind nie miteinander warm geworden, erst recht nicht, nachdem der Präsident die Kanzlerin dazu zwingen wollte, im Gefolge des Großen Crashs die Staatsausgaben aufzublähen.

Ein freundliches Konstrukt

Die innige Freundschaft, die stets in den Sonntagsreden beschworen wurde, war immer ein freundliches Konstrukt, wiewohl mit solidem Kern. Die Deutschen waren den Amerikanern wirklich dankbar dafür, dass der Sieger sich rasch als Mäzen entpuppte, der Marshallplan-Gelder verteilte und der jungen Bundesrepublik den Weg zurück in die internationale Gemeinschaft bahnte. Die Amerikaner erwiderten die Zuneigung, erwiesen sich die Deutschen doch als gelehrige Schüler, die in kürzester Zeit zu einer stabilen liberalen Demokratie fanden. Der getreueste Verbündete, sozusagen der „Festlandsdegen“ Amerikas, war Bonn auch.

So viel zu den Höhen und Tiefen der Freundschaft, die vor allem durch gegenseitige Abhängigkeit genährt wurde. Die ist nun, da die Sowjetunion verblichen und die Wiedervereinigung gewonnen ist, kräftig gesunken. Keiner braucht den anderen so wie früher. Obamas Amerika probt das „Rebalancing“ nach Asien, die US-Truppen in Europa sind zur Restgröße geworden – 30.000 statt einst 300.000. Als strategischer Partner taugt Deutschland nicht viel; es will mit den Händeln der Weltpolitik nichts zu tun haben. Die transatlantische Agenda ist auf die Freihandelszone zusammen geschrumpft – TTIP genannt.

Es ist richtiger, von Gemeinsamkeiten als von Freundschaft zu reden, die zwischen Staaten ohnehin nicht bestehen kann. Die Gemeinsamkeiten beziehen sich auf Werte und Kultur, dazu auf Interessen, die manchmal harmonieren, manchmal kollidieren. In diesem Sinne sind – und bleiben – Deutschland und Amerika tatsächlich „Freunde“. Die Liste ist lang. Sie reicht vom Hehren (Rechtsstaat, Demokratie) übers Praktische (ein dichtes Netz von Handel, Investitionen und Wissenschaftsaustausch) zum Prosaischen (Pop-Kultur).

Zum Letzteren sei eine Beobachtung gewagt: Kein Land in Europa ist „amerikanischer“ als Deutschland; wir essen, hören, tanzen, gucken und kleiden uns amerikanisch – von Muffins und Bagels über Hip-Hop und Nike bis zu „Homeland“, dem jüngsten Serien-Hit. Der „Ausverkauf“ ist dem „Sale“ gewichen, der „Gebrauchtwarenladen“ dem „Second-Hand Shop“. In der Hauptstadt nennt sich ein Café an der Spree „Capital Beach“. In meiner Hamburger Nachbarschaft gibt es einen Laden, der „American-Style Nail Care“ anbietet. Wir verschlingen iPad und Xbox, von Games wie „Grand Theft Auto“ ganz zu schweigen.

Ein mächtiger Verführer

Die Kids, zumal der höheren Schichten, sollten wenigstens ein Jahr lang die Schule in Amerika besuchen. Am liebsten würden sie auch in Harvard oder Stanford studieren, zumindest in Georgetown. Dazu eine treffende Anekdote: Mitten im Kampf um die Nachrüstung stritt sich der Autor dieser Zeilen mit einem linkspazifistischen SPD-Abgeordneten bei einem Glas Wein über das Für und Wider. Plötzlich wechselte dieser das Thema: „Sag mal, du warst doch in Harvard. Könntest du meiner Tochter nicht zur Aufnahme verhelfen?“

Will sagen: Amerika ist ein mächtiger Magnet, ja ein Verführer. Doch den Verführer liebt man nicht, weil er Macht über uns hat und uns unsere eigene Schwäche vor Augen führt. Wir mögen uns auch selber nicht, wenn wir der Verführung nachgeben, würde unser aller Onkel Sigmund dozieren, und deshalb projizieren wir die Schuld auf den „Anderen“.

Schon in den Fünfzigern hat die deutsch-amerikanische Philosophin Hannah Arendt ihre Schrift „Dream and Nightmare“ („Traum und Albtraum“ ) zum Thema Amerika und Anti-Amerikanismus veröffentlicht: Amerika ist Magnet und Monstrum zugleich – zugleich anziehend und abstoßend. Deshalb gibt „Hassliebe“ einen treffenderen Begriff ab als „Freundschaft“.

Die Faszination „made in USA“ bleibt so mächtig wie eh und je – NSA hin oder her. Sie mag im Laufe der Jahrzehnte sogar stärker geworden sein. Was in Amerika erfunden wird – sei es Rap, Fastfood oder Gender Studies –, landet unweigerlich in Deutschland und Europa. Halloween ist zum Nationalfeiertag deutscher Kids geworden; Thanksgiving-Parties, komplett mit Truthahn und Cranberries, ziehen ein in die großbürgerlichen Haushalte.

Hegen wir auch freundschaftliche Gefühle? Wohl nicht. „Amerika-Kritik“ ist eine deutsche Spezialität – es gibt keine „Frankreich-“ oder „Russland-Kritik“. Der Diskurs des Kommentariats wird eher von Abwehr und Verachtung geprägt sowie vom Gefühl der moralischen und sozialpolitischen Überlegenheit. Der Küchenpsychologe würde sinnieren: weil uns Amerikas strategische wie kulturelle Machtfülle nicht passt, wir aber selber die Macht, zumal die militärische verpönen. Niemand mag den Führer und Verführer, schon gar nicht die Deutschen, die nach den Gräueln und Machtexzessen von gestern Selbstwert in Pazifismus, Enthaltsamkeit und moralischem Gestus gefunden haben.

Deutsche Interessen

Zurück zur realen Politik. Natürlich wird Berlin die atlantische Freihandelszone ebenso wenig torpedieren wie die innige Zusammenarbeit der Geheimdienste. Apropos NSA: Die amerikanischen Dienste haben laut Reuters im Jahre 2012 knapp 30.000 Mal bei Google und Co. um Nutzerdaten angefragt. Die Deutschen haben es über 10.000 Mal getan – eine ähnliche Größenordnung wie in Frankreich und Großbritannien. Man tut, was man kann, darf man daraus schließen – die Großen mehr, die Kleineren weniger. Deutschland wird auch die Rückversicherung namens NATO so lange wie nur möglich pflegen und mit Amerika in der Iran- und Terrorfrage kooperieren.

Aus Freundschaft? Nein, weil es die deutschen Interessen so gebieten. Der britische Premier im 19. Jahrhundert, Lord Palmerston, hatte Recht, als er dozierte: „Staaten haben weder permanente Freunde noch Feinde, sondern nur permanente Interessen.“ Der letzte Teil stimmt nicht ganz: Interessen ändern sich, wie die kurze Geschichte des deutsch-amerikanischen Verhältnisses zeigt. Im Falle Berlin und Washington überwiegen dennoch die Gemeinsamkeiten
Josef Joffe
Dr. Josef Joffe ist Herausgeber der „ZEIT“. Von 2001 bis 2004 war er gemeinsam mit Michael Naumann auch ihr Chefredakteur. Zuletzt erschienen „Früher war alles besser. Ein rücksichtsloser Rückblick“ (2010) sowie „Schöner Denken. Wie man politisch unkorrekt ist“ (2010, jeweils bei Piper und gemeinsam mit Dirk Maxeiner, Michael Miersch und Henryk M. Broder). www.zeit.de

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