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Titelthema

Die Kraft des Glaubens

Titelthema - Die Kraft des Glaubens
2009: Stauffenberg – Die wahre Geschichte: Der Schauspieler Peter Becker als Oberst von Stauffenberg. Die bislang jüngste Verfilmung des 20. Juli 1944 produzierte das ZDF als Doku-Zweiteiler, den es Anfang 2009 sendete. © ZDF/Oliver Halmburger/Picture-Alliance/DPA

Die christlichen Kirchen haben sich nicht entschieden genug dem Nationalsozialismus entgegengestellt. Doch der Glaube trieb viele Widerständler an.

Axel Smend01.07.2024

Der 20. Juli 1944 ist heute nicht nur der Tag des Attentats auf Adolf Hitler, sondern er ist der Tag des deutschen Widerstands gegen den Nationalsozialismus schlechthin. So ist er mittlerweile der Tag der Erinnerung an Georg Elser, an den Kreisauer Kreis, an die Weiße Rose, an die Gruppe um Helmuth Hübener, an die Rote Kapelle, an die Stillen Helden, an den militärisch-zivilen Widerstand, an einzelne Männer und Frauen beider Kirchen und an viele andere.


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Im Gedenkzentrum Plötzensee – gerade hier, wo jedes Jahr am Morgen des 20. Juli in einer ökumenischen Vesper den Opfern des NS-Regimes gedacht wird, und gerade hier, wo einige der Hauptakteure des Umsturzversuchs ermordet wurden – liegt die Frage nach der Aufgabe einer Kirche als Institution in einem ver bre che rischen System nahe. Hätte die Kirche die Gläubigen zu politischem Widerstand aufrufen müssen? Die Verbrechen öffentlich beklagen, auch von der Kanzel aus? Oder aber mit dem Diktator verhandeln, um ein Mindestmaß an Seelsorge zu gewährleisten?

Dietrich Bonhoeffers Antwort lautete 1933: „Die dritte Möglichkeit besteht darin, nicht nur die Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern dem Rad selbst in die Speichen zu fallen. Solches Handeln wäre mittelbar politisches Handeln der Kirche und ist nur dann möglich und gefordert, wenn die Kirche den Staat versagen sieht.“ Im Angesicht des Holocaust haben beide Kirchen ein solches Handeln nicht initiiert, auch nicht gemeinsam. Sie haben hierzu ihre Stimmen nicht erhoben und müssen meines Erachtens mit dem Vorwurf leben, hier versagt zu haben.

Dem Blutrichter die Stirn geboten

Doch die Bedeutung beider Kirchen lag in ihrer erfolgreichen Abwehr der Penetration des Nationalsozialismus in den christlichen Glauben. Diese Tatsache sowie der eigene Glaube haben einzelnen Personen Kraft, Trost, Richtung und Halt geben können. Es waren Personen, die aus christlichem Geist das verbrecherische System der Nationalsozialisten infrage gestellt, ihr Gewissen geprüft und sich dann auch aktiv widersetzt haben, dabei immer ihr eigenes Leben riskierend.

Etwa Dietrich Bonhoeffer, für mich eine Lichtgestalt des Widerstands. Er wurde in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus zu einem der wichtigsten Theologen des 20. Jahrhunderts. Er war es auch, der das Attentat auf Hitler in diesem konkreten Fall gerechtfertigt hat, theologisch-ethisch reflektiert in seinem Hauptwerk, der Ethik – eine große Hilfe für viele Gläubige aus dem Widerstand. Sein Schlüsselsatz: „Die letzte verantwortliche Frage ist nicht, wie ich mich heroisch aus der Affäre ziehe, sondern wie eine kommende Generation weiterleben soll.“

Oder lassen Sie sich erinnern an den Jesuitenpater Alfred Delp, der zum „Kreisauer Kreis“ gehörte und große öffentliche Aufmerksamkeit erhielt, nachdem der amerikanische Präsident Joe Biden ihn in seiner Weihnachtsansprache vom 22. Dezember 2020 zitiert hatte. Delp wollte damals die katholische Soziallehre für ein Nachkriegsdeutschland fruchtbar machen. Er stand zusammen mit Moltke vor Roland Freisler, dem Dämon, der ihn am Tag der Verhandlung im Volksgerichtshof anbrüllte: „Sie Jämmerling, Sie pfäffisches Würstchen – und so was erdreistet sich, unserem geliebten Führer ans Leder zu wollen. Eine Ratte, austreten, zertreten sollte man so etwas. Jetzt sagen Sie mal, was Sie als Priester dazu gebracht hat, die Kanzel zu verlassen und sich mit einem Umstürzler wie dem Grafen Moltke und einem Querulanten wie diesem Protestanten Gerstenmaier in die deutsche Politik einzumischen?“ – So wurde damals gegenüber den Frauen und Männern des Widerstands Recht gesprochen.

Ich denke an Domprobst Bernhard Lichtenberg, der öffentlich für verfolgte Juden betete und gegen Krankenmorde protestierte. Er wurde 1941 festgenommen, zu einer Gefängnisstrafe verurteilt und verstarb schwerkrank auf dem Weg ins KZ Dachau. Oder Bischof Clemens August von Galen, der auf der Kanzel in Münster die Ermordung von Menschen mit geistiger Behinderung anprangerte. Oder Maria Terwiel, die auf ihrer Schreibmaschine Hunderte von Exemplaren der Predigten von Bischof von Galen, in denen er gegen die Euthanasie protestiert hatte, vervielfältigte und später dafür hingerichtet wurde.

Und die 21-jährige Sophie Scholl sagte zu Freisler als Letztes: „Einer musste ja schließlich damit anfangen.“ Auch wenn sehr viel Einsamkeit in diesem Ruf steckt, so ist er doch auch eine Aufforderung an uns alle, frühzeitig initiativ zu werden, zu handeln und auch Verantwortung zu übernehmen, wenn wir dunkle Wolken aufziehen sehen.

Die Heilung der „Lebenswunde“

Die drei Kreisauer Freunde, der Jesuit Alfred Delp und die Protestanten Eugen Gerstenmaier und Helmut James von Moltke, deren Zellen in der Haftanstalt Tegel nebeneinanderlagen, haben sich in geistlicher Gemeinschaft auf eine tägliche Bibellesung verständigen können. Durch die Wände hindurch fanden die drei sogar eine Form des gemeinsamen Feierns der Messe. Der Widerstand überwand Konfessionsgrenzen – und Gefängnismauern.

Aber für die Witwen, Töchter und Söhne bleibt Plötzensee eine „Lebenswunde“, eine Wunde, die jedes Jahr auf wunderbare Weise ein wenig geheilt wird: nämlich in der ökumenischen Andacht im Hinrichtungsschuppen von Plötzensee, bislang gehalten unter anderem von den Geistlichen Eberhard Bethge, Odilo Braun, Hanns Lilje, Martin Kruse, Karl Meyer, Carsten Bolz, Klaus Mertes. Die Predigten der Geistlichen spenden Trost und geben Orientierung, ebenso die am Gottesdienst mitwirkenden Karmelitinnen, ihre Stimmen, ihr Gesang, ihre Anwesenheit.

Wenn sich der 20. Juli wieder einmal nähert, muss ich immer auch an die Gefängnisgeistlichen Peter Buchholz und Harald Poelchau denken. Sie waren diejenigen, die den zum Tode Verurteilten seelischen und geistlichen Beistand gaben und sie auf ihrem letzten Gang begleitet haben. Poelchau habe ich noch erlebt: ein äußerst bescheidener, disziplinierter, verschwiegener und menschlich so sympathischer Mann; für mich eine der wichtigsten Persönlichkeiten des deutschen Widerstands. Auch denke ich an den Inhalt seiner Predigt vom 20. Juli 1954 in der Jesus-ChristusKirche in Dahlem. Ich war damals zehn Jahre alt, habe sicherlich nicht viel von der Predigt verstanden, erinnere aber die leise, eindringliche Stimme Poelchaus. Er sagte dort: „Auch wenn Gott nicht für sie war, sie waren für Gott! Denn sie gingen mit reinen Händen und mit lauterem Herzen an ihr hartes Werk; da war nichts von Ehrgeiz, nichts von Machtstreben, sondern da war wirklich das Bewegtsein davon, dass es so nicht weitergehen darf, weil Gottes Ordnung geschändet ist, weil wir nicht mehr in einer glaubwürdigen Welt leben, dass darum nun gehandelt werden müsse.“


 

Dietrich Bonhoeffer,04.02.1906 – 09.04.1945,
war führender Kopf der Bekennenden Kirche, der bedeutendsten kirchlichen Oppositionsbewegung. In seiner zweijährigen Haftzeit im Gefängnis Tegel entstanden seine wichtigsten theologischen Werke.