Titelthema: Urbane Oasen
Die neue urbane Gartenbewegung
Gemeinschaftlich Gemüse anbauen hat auch mit zivilgesellschaftlichem Engagement und der Suche nach einer neuen Definition von „Stadt“ zu tun.
Die Zukunft der Städte liegt darin, dass wir überlegen, was kann die Stadt selber an Energie produzieren, was kann sie selber an Nahrungsmitteln produzieren. Das sind die großen Herausforderungen für die Zukunft.“
Dieses Statement stammt nicht von einem Visionär der Postwachstumsgesellschaft, sondern vom letzten Geschäftsführer der Internationalen Bauausstellung in Hamburg. Der Urbanist Uli Hellweg meint, dass sich die Stadtplanung nicht nur verabschieden muss vom klassischen Paradigma der funktionalen Trennung von Wohnen, Freizeit und Arbeit, sondern auch von der Vorstellung einer Stadt, die lediglich Importeur von Energie, Nahrungsmitteln und Waren aus aller Welt ist.
Hellweg postuliert stattdessen eine Urbanitas, die sich über Kreislaufwirtschaft und Selbstversorgung definiert – Begriffe, die man bislang aus dem Kontext einer zumindest in den Wohlstandsgesellschaften längst überwunden geglaubten kleinbäuerlichen Landwirtschaft kannte. In Hamburg, New York oder München könnten sie demnächst städtebauliche Realität werden.
Grundlegender Paradigmenwechsel
Eine Stadt zu denken, die sich (auch) über die Grundlagen ihrer Existenz definiert und die Kosten von Produktion und Transport nicht externalisiert, sondern sie weitestgehend minimieren will, das verweist auf einen grundlegenden Paradigmenwechsel, der sich vielerorts bereits manifestiert. Heute muss die Stadt nicht nur dem Klimawandel begegnen, sondern auch Antworten auf wachsende Migrationsbewegungen geben und den Bedürfnissen jüngerer Generationen gerecht werden.
Zivilgesellschaftliche Initiativen
Eine wichtige Rolle in diesem Transformationsprozess spielen neue zivilgesellschaftliche Initiativen. Eines der wirkmächtigsten und augenfälligsten ist die Urban-Gardening-Bewegung. Seit Ende der nuller Jahre betreten neue urbane Gemeinschaftsgärten die Bühnen des öffentlichen Raums.
Die Aktivisten verwandeln Brachflächen, Garagendächer und andere vernachlässigte Orte in eigener Regie in grüne, lebensfreundliche Umgebungen. Aus Europaletten, Industrieplanen und Bäckerkisten bauen sie mithilfe einer oftmals breiten Beteiligung aus dem Viertel mobile Gemeinschaftsgärten mitten in der Stadt auf. Sie halten Bienen, imkern, säen, ernten, kochen, reproduzieren Saatgut, bauen Lehmöfen und Lastenfahrräder aus Schrottteilen, bauen Hafencontainer zu Werkstätten und Gartenbars um, eignen sich handwerkliches Wissen an und kultivieren Formen der Begegnung, die Pflanzen ebenso wie Menschen unterschiedlichster sozialer und kultureller Herkunft einschließen.
Dem Gemüseanbau kommt dabei eine zentrale Bedeutung zu. Er ermöglicht milieu- und kulturübergreifenden Austausch und dient zugleich dazu, die industrielle Nahrungsmittelproduktion und ihre Handelsketten zu hinterfragen, zu unterlaufen, zu verändern. Die Beschäftigung damit, wie Lebensmittel wachsen, welche Umgebungen und Formen der Zuwendung sie benötigen und wie sie verarbeitet werden können, wird kombiniert mit gesellschaftlichen Fragen, zum Beispiel der danach, wem eigentlich der Boden gehört und woher die Nahrungsmittel in Zukunft kommen sollen.
Die urbane Gartenbewegung greift damit Fragen einer nachhaltigen Umgestaltung von Gesellschaft auf. Sie tut dies in auffallend unideologischer Weise und bearbeitet sie unmittelbar vor Ort. Urban Gardening ist damit also nicht Ausdruck einer romantischen Verklärung des Landlebens, sondern vielmehr Ausdruck der Suche nach einer anderen Stadt, die sich nicht zuletzt auch für die ökologischen und die sozialen Kosten ihrer Existenz zuständig erklärt.
Nachhaltige Quartiersentwicklung
Urban-Gardening-Projekte sind „urbane Gärten neuen Typs“, Gärten also, die nicht nach einem Refugium jenseits der lauten Stadt suchen, wie es die für die Epoche der Industriemoderne typischen Kleingärten tun. Vielmehr wollen die Protagonisten der neuen Gärten mit der Stadt, mit der umgebenden Nachbarschaft kommunizieren und eigene Beiträge zu einer nachhaltigen Quartiersentwicklung leisten.
Der historische Vorläufer des urbanen Gemeinschaftsgartens ist darum auch nicht der Kleingarten mit auf Kante geschnittenen Hecken und Beeten, die großzügig gedüngt werden. Der Gemeinschaftsgarten des neuen Typs bedarf geradezu eines verdichteten urbanen Umfeldes, bedarf vor allem des öffentlichen Raums, zu dem er sich in Beziehung setzt und der so neu verhandelt wird.