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Über Russland und Deutschland

Die Partnerschaft festigen und ausbauen

Wladimir M. Grinin 11.01.2013

Die Beziehungen zwischen Russland und Deutschland haben tiefe Wurzeln in der Geschichte. Seit mehreren Jahrhunderten hatte Russland so viele und so vielfältige Kontakte zu Deutschland wie wohl zu keinem anderen europäischen Land. Sehr häufig kreuzten sich und manchmal verflochten sich für viele Jahre die historischen Schicksalsfäden Russlands und Deutschlands. Man darf auch grausame und tief tragische Ereignisse in unserer gemeinsamen Geschichte nicht vergessen, deren Auswirkungen bis in die heutige Zeit hinein spürbar sind. All das nicht vergessend, konnten beide Völker doch die Kraft aufbringen, den Weg zur Versöhnung einzuschlagen und dabei ein gutes Stück voranzukommen.

Heute entwickelt sich die russisch-deutsche Partnerschaft dynamisch, erfasst neue Felder und zeigt eine positive Tendenz nach oben. Es gibt zwar einige, denen dieses Bild nicht gefällt. Sie möchten die Sachlage anders interpretieren. Doch selbst der hartnackigste Subjektivismus ist aber nicht im Stande, uns die Realität zu verschleiern: Unsere Beziehungen sind so umfangreich und vielfältig wie nie zuvor. Die russisch-deutschen Kontakte sind heute in so gut wie allen Bereichen sehr intensiv. Ihnen zu Grunde liegen eine Atmosphäre des gegenseitigen Verständnisses und Vertrauens, eine gleichberechtigte und respektvolle Zusammenarbeit, ein offener Dialog. Dazu gehört gegenseitige Kritik, die generell begrüßt wird, wenn sie konstruktiv ist. Dazu gehört auch die Bereitschaft, auch die schwierigsten Themen zu behandeln, bei denen unsere Sichtweisen und Interessen nicht immer übereinstimmen und wir doch gelernt haben, einander zu hören und zuzuhören.

Einer der tragenden Pfeiler der Zusammenarbeit ist ein vertrauensvoller politischer Dialog. Den Ton dafür geben die regelmäßigen politischen Kontakte auf höchster Ebene an. Den Höhepunkt dabei bilden die jährlichen Regierungskonsultationen unter Beteiligung der Kabinettsmitglieder. Ihre 14. Runde hat in Moskau Mitte November stattgefunden und handfeste Ergebnisse in verschiedenen Bereichen gebracht. Die Gespräche in Moskau zwischen dem Präsidenten Russlands, Wladimir Putin, und der Bundeskanzlerin Angela Merkel verliefen wie gewohnt in einer sachlichen, aber sehr freundlichen Atmosphäre.

Wirtschaftsfragen spielten dabei die wichtigste Rolle. Und das ist recht so. Die sich vertiefende ökonomische Verflechtung unserer Länder bildet eine solide Grundlage unserer Beziehungen. Deutschland bleibt nach China der zweitgrößte Handelspartner Russlands. Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Russland und Deutschland haben die negativen Folgen der internationalen Finanzkrise erfolgreich überstanden. Das bilaterale Handelsvolumen war 2011 um fast 29 Prozent gestiegen  und hatte trotz der Krise eine Rekordmarke von 75 Mrd. EUR erreicht. 2012 muss es wohl noch höher liegen. Der Warenaustausch im ersten Halbjahr d.J. ist um 15 Prozent gestiegen. Auch die Anzahl der bilateralen Investitionsmaßnahmen hat zugenommen: Im vergangenem Jahr hat Russland über 4 Mrd. US-Dollar in die deutsche Wirtschaft investiert. Das Volumen der deutschen Investitionen in Russland betrug 2011 über 8 Mrd. US-Dollar. Und das Gesamtvolumen dieser Investitionen belief sich auf rund 30 Mrd. US-Dollar.

Diese positiven Ergebnisse wurden auch durch die aktuelle Politik des russischen Staates ermöglicht, die auf die strukturelle Umgestaltung der Wirtschaft sowie die Verbesserung des Investitionsklimas ausgerichtet ist. Gemäß diesen grundlegenden Zielen werden Maßnahmen zur Anpassung von russischen Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen, zur Verbesserung von Zollregelungen und Steuergesetzgebung, zur Bekämpfung der Korruption, zur Vervollkommnung der Rechtssprechung und der Rechtssicherheit sowie zur Abschaffung von administrativen Barrieren ergriffen, die die Unternehmertätigkeit behindern.

Zusammenarbeit im Energiebereich

Eine wichtige Fixgröße der russisch-deutschen wirtschaftlichen Kooperation ist die Zusammenarbeit im Energiebereich. Die im Oktober 2012 erfolgte Inbetriebnahme der zweiten Linie der Erdgasleitung „North Stream“ trug zur weiteren Stärkung der europäischen Energiesicherheit bei. Nun verbindet sie direkt das einheitliche Gasversorgungssystem und die größten russischen Erdgasfelder mit europäischen Endkunden. Und am 7. Dezember d.J. wurden die Bauarbeiten an einem neuen gigantischen Projekt für die Erdgaslieferungen aus Russland begonnen, das die Energieversorgung Europas auf höchstes Niveau bringen soll. Auch deutsche Unternehmen sind dabei.

Die Unternehmen beider Länder verfolgen aber auch Vorhaben jenseits von Öl und Gas. Russland und Deutschland sind durch die gemeinsame Agenda der Modernisierungspartnerschaft verbunden. In deren Rahmen ist eine ganze Reihe von Leuchtturmprojekten entstanden, die Automobil- und Maschinenbau, Transport, Energieeffizienz, Nanotechnologien und vieles andere mehr umfassen. Unsere bilaterale Kooperation spielt eine wichtige Rolle für die Erneuerung der russischen Wirtschaft, die für unser Land von schicksalhafter Bedeutung ist – auch im Zeichen seines Beitritts zur Welthandelsorganisation. Sie ist durchaus wichtig auch für Deutschland in der Zeit der sich zunehmend abkühlender wirtschaftlichen Konjunktur, sich schrumpfender Märkte und steigender Ressourcenknappheit.

Der intensive politische Dialog, der breit angelegte Ausbau der wirtschaftlichen Zusammenarbeit fördern den Aufschwung auf vielen anderen Feldern. Die humanitäre Agenda füllt sich mit weiteren neuen Vorhaben an. Gute Möglichkeiten für deren Implementierung bieten das Deutschland-Jahr in Russland und das Russland-Jahr in Deutschland 2012-2013, deren Schwerpunkte nicht nur auf der Kultur, sondern auch auf der Wirtschaft, Forschung und dem Jugendaustausch liegen. Sie festigen die strategische Partnerschaft unserer Länder und unterstreichen ihre wichtige Bedeutung für die Zukunft. Solche Ausrichtung manifestiert sich im Motto dieser Jahre: „Deutschland und Russland: Gemeinsam die Zukunft gestalten“. Übrigens sind die erwähnten russisch-deutschen Verflechtungen auf sehr anschauliche und lehrreiche Weise in der Ausstellung „Russen und Deutsche: 1000 Jahre Kunst, Geschichte und Kultur“ dokumentiert, die seit Oktober in Berlin lief (zuvor wurde sie in Moskau gezeigt) und einen der Höhepunkte der russisch-deutschen Austauschjahre 2012/2013 bildet.

Vertrauensvolle, aufrichtige Partnerschaft unserer Länder muss auf noch breitere Grundlage gestellt werden. Das kann in erster Linie durch ein Mehr an menschlichen Kontakten erreicht werden. Dieses könnte sich aus einer aktiveren  Einbindung der Gesellschaft in den deutsch-russischen Austausch heraus entwickeln. Das Potential dafür ist sehr umfangreich. Unter anderem sind damit die regionale Zusammenarbeit, die zivilgesellschaftlichen Begegnungen und insbesondere der Jugendaustausch gemeint. Denn generell sind es ja Schüler, Studenten und Jugendliche von heute, die unseren Beziehungen deren zukünftige Gestalt geben werden.

Dieses Mehr an Kontakten könnte auch durch die Schaffung besserer Rahmenbedingungen, z.B. durch die Einführung der Visumfreiheit, gefördert werden. Reisefreiheit ohne Sichtvermerke zwischen Russland und der Europäischen Union soll dem Ausbau unserer Kontakte einen gewaltigen Schub verleihen. In dieser Frage hoffen wir immer noch auf eine tatkräftige Unterstützung Deutschlands. Denn im Streben, ein Europa ohne Trennlinien zu bauen, liegen wir mit unseren deutschen Partnern auf der gleichen Linie.

Chancen und Risiken

Unsere Beziehungen haben eine gesamteuropäische Projektion, sie sind in vielen Hinsichten beispielhaft als Modell der beiderseitig vorteilhaften Kooperation. Wichtig ist, dass sich die Einstellung der Deutschen zu Russland und den Russen in vergangenen Jahrzehnten positiv gewandelt hat. Wir sind aber bei weitem noch nicht am Ziel angelangt. Es ist noch viel zu tun, um vor allen Dingen Vorurteile und Stereotype abzubauen, um den Leuten bewusst zu machen, dass der Weg zur Vereinigung unserer Ressourcen und Kräfte im europäischen Maßstab alternativlos ist.

Gewiss existieren zwischen uns manche Divergenzen. Sie sind jedoch überwindbar. Wandel durch Annäherung bleibt ein vernünftiger und effektiver Weg. Hochmutige Belehrungen führen ins Nichts.

Unsere Partnerschaft findet nicht in einem luftleeren Raum statt. Sie entwickelt sich im Sog der Globalisierung, die neue Chancen, aber auch Risiken mit sich bringt sowie alle Länder zu Anpassungen und Veränderungen zwingt. Wir stehen vor gemeinsamen Herausforderungen: Verschiebung der Machtzentren, Instabilität der Märkte, zunehmend gefährliche Zuspitzung der Lage in der für Europa wichtigen Region des Nahen Ostens, sich ausbreitende Konflikte, Terrorismus und vieles andere mehr. Ein Kapitel für sich sind scharfe klimatische Veränderungen.

Die internationale Situation verliert immer weiter an Stabilität. Unter diesen Umständen soll das Gebot der Stunde sein: äußerst behutsam mit dem positiven Kapital unserer Beziehungen umgehen, das nach gewaltigen Erschütterungen und unzähligen Opfern des vorigen Jahrhunderts mit sehr viel Mühe und mit sehr viel Not geschaffen wurde.