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Historisch

Eichmann-Prozess und die Folgen

Historisch - Eichmann-Prozess und die Folgen
Auf der Anklagebank hinter einem Glaskasten: Adolf Eichmann 1961 in Jerusalem vor Gericht © Heritage-Images/keystone archives/akg-images

Die Gerichtsverhandlung 1961 in Israel löste eine heftig geführte Kontroverse unter Rotariern in Deutschland aus.

Karen Strobel und Ulrich Niess01.04.2021

Am 11. April 1961, vor 60 Jahren, begann in einem umgebauten Theater in Jerusalem der Prozess gegen Adolf Eichmann, ehemals Referatsleiter für „Judenangelegenheiten“ im Reichssicherheitshauptamt, Schlüsselfigur bei der Organisation des Holocaust. Der Prozess, von Film und Funk begleitet, löste weltweit, vor allem aber in Deutschland und Israel, ein gewaltiges Echo aus. Die Anklage rief Zeuge auf Zeugin in den Gerichtsstand und so kamen erstmals ausführlich auch die jüdischen Überlebenden zu Wort. Sie schilderten die kaum fassbare Monstrosität der NS-Verbrechen vor der Weltöffentlichkeit. Noch war die junge Bundesrepublik weit von jener Erinnerungskultur entfernt, wie sie heute alltäglich ist. Nicht die Zeitzeugen auf der Opferseite dominierten den Diskurs, sondern, wenn überhaupt, dann sprachen die Täter. So wusste etwa der ehemalige Rüstungsminister Albert Speer sich nach seiner Entlassung 1966 aus dem Spandauer Gefängnis medial auf allen Kanälen zu inszenieren. Der Eichmann-Prozess hingegen, einer der wichtigsten Strafprozesse der Nachkriegszeit, verschaffte endlich dem individuellen Schicksal der Überlebenden Raum – freilich verbunden mit der Absicht der Staatsanwaltschaft, Eichmann als machtgierigen, gefährlichen Drahtzieher und verstockten Lügner zu enttarnen.

„Banalität des Bösen“

Das Bild von Eichmann aber wurde letztlich von der Philosophin, Literatin und Wissenschaftlerin Hannah Arendt geprägt, die als Reporterin für die Zeitschrift The New Yorker den Prozess verfolgte. Ihr Diktum von der „Banalität des Bösen“ blieb bis heute im allgemeinen Sprachgebrauch. Mit dieser griffigen Formel ging es Arendt um die Entdämonisierung der Person Eichmanns. Sie sah in ihm den Prototypen eines Schreibtischtäters, der kein spezifisches Unrechtsbewusstsein aufzubringen im Stande war. Das Erschreckende lag für Arendt in der Normalität, mit der Eichmann gleichsam als mechanisches Glied in der NS-Vernichtungsmaschinerie operierte. Eichmann war demzufolge darauf konditioniert, staatliche Direktiven – und das hieß in seinem Weltbild: den Führerbefehl – gleichsam zum alleinigen Maßstab für Recht und Gesetz zu machen und dementsprechend zu handeln. In diesem Konstrukt konnte selbst ein industriell organisierter Massenmord den äußeren Anschein von Legalität erhalten.

Der Eichmann-Prozess löste auch bei Rotary in Deutschland Debatten aus. Eine implizit unterstellte Neigung vieler „normaler“ Deutscher, den Obrigkeitsstaat als gegeben zu akzeptieren und Gehorsamspflicht über alles zu setzen, lag zum Beispiel den Ausführungen Friedrich Gorissens zu Grunde. Der Stadtarchivar und Museumsleiter in Kleve referierte am 17. April 1961, unmittelbar zu Prozessauftakt, unter dem bezeichnenden Titel „Eichmann unter uns“ in seinem örtlichen Rotary Club. Dabei trug er, wenn auch weit zuspitzender formulierend und weniger analytisch als Arendt, die These vor, Eichmann sei nicht der „Mörder“, sondern der vom Staat beauftragte „Vernichter“. Sein Handeln entspräche dem „durchschnittlichen Volksempfinden“, wonach „die Tötung auf Anordnung einer legitimen Macht als sittliche Pflicht“ angesehen werde. Und mit dieser Feststellung der besonderen Autoritätsgläubigkeit der Deutschen kam Gorissen zu der bewusst provokanten Schlussthese: „Den Beweis, dass wir unmoralischen Zumutungen mit offener Gehorsamsverweigerung, mit der Auflehnung begegnen würden, sind wir der Welt immer noch schuldig.“

Beifall und Kritik zugleich

Gorissens Vortrag löste im Klever Club ein gespaltenes Echo aus. Einerseits erhielt er respektvollen Beifall, andererseits folgte scharfe Kritik. Ein Clubmitglied vermisste nicht allein mangelndes deutsches Nationalgefühl, sondern verstieg sich zu dem Ausspruch, er könne seinen Kindern diesen Vortrag nicht zu lesen geben. Ein Mitglied des RC Kleve schickte den Vortrag an die Redaktion der Zeitschrift Der Rotarier. Unter der Rubrik „In eigener Sache“ im Mai 1961 begründete der damalige Chefredakteur Horst Meinecke, warum er Gorissens Vortrag nicht veröffentlichen wolle. Für ihn waren zu viele Äußerungen „allzu einseitig“. Und die generelle Zurückhaltung der Zeitschrift zum Thema NS-Geschichte war für ihn deshalb geboten, weil die Redaktion noch keinen Beitrag erhalten habe, der „Anspruch auf Objektivität oder wenigstens Allgemeingültigkeit hätte erheben können“.

Redaktionell ungewöhnlich war, dass Meinecke aus dem abgelehnten Aufsatz Gorissens mehrere Passagen wörtlich zitierte, auch die im Clubprotokoll abgedruckten negativen Äußerungen, um damit seine Ablehnung zu begründen. Die Folge dieser eigenartigen Linie war eine immer heftiger geführte Kontroverse zwischen einzelnen Mitgliedern des RC Kleve und dem Governorrat, die auch in persönlichen Gesprächsrunden nicht beigelegt werden konnten. In einem offenen Brief am 18. Juli 1961 an die deutschen Clubs stellte der RC Kleve diesen die Frage, ob sie die „Ausklammerung der jüngsten deutschen Vergangenheit“ seitens der Redaktion Der Rotarier für berechtigt erachteten. Zudem wurde angefragt, ob die geäußerte Ansicht richtig sei, „heiße Eisen“ zwar im Club zu erörtern, aber nicht in den Wochenberichten zu veröffentlichen. Soweit ersichtlich, scheint das Gros der Clubs sich tendenziell hinter die Linie des Governorrats gestellt zu haben.

Argumente gegen das Tabuisieren

In der Debatte um Gorissens Vortrag legte der junge Rotarier Dr. Jürg Zutt vom RC Mannheim-Brücke den Finger in die Wunde, indem er nach der eigenen Rolle Rotarys in der NS-Zeit fragte und das Vorgehen Meineckes auch brieflich monierte. Mehrfach referierte Zutt später über das Thema „Nationalsozialismus und die deutsche Gegenwart“ bei den Clubs der Region und argumentierte ganz im Stile eines Anwaltes gegen das Tabuisieren, denn: „Das Schweigen verrät das Beteiligtsein.“ An Chefredakteur Meinecke schrieb er: „Die Lektüre Ihrer Zeitschrift ist nicht für Kinder bestimmt, sondern für erwachsene Menschen in Deutschland und im Ausland, für die es beispielsweise darum geht, sich zu überlegen, wie es kommen konnte, dass rotarische Freunde verlacht, verspottet, verjagt und vergast wurden, weil sie Juden waren, und dass wir dies mit angesehen haben.“

Dabei kam Zutt auch auf den Eichmann-Prozess zu sprechen: „Was mich erschreckt ist dies: Angesichts all dessen, was gegenwärtig die ganze Welt jeden Tag von neuem in Entsetzen erstarren lässt, begnügt sich die Zeitschrift der deutschen Rotarier mit der Feststellung, man sei sich zwar ‚einig in der Ablehnung des Nationalsozialismus‘, eine andere Frage aber sei, ‚ob es sinnvoll ist, mit dieser Feststellung die Spalten unseres Rotarier zu füllen‘. Wie konnten Sie auf eine so bestürzend oberflächliche Formulierung verfallen?“

Weitere Mannheimer Clubfreunde, darunter Altoberbürgermeister Hermann Heimerich, der selbst 1930 den RC Mannheim mitinitiiert hatte und 1933 den Club verlassen musste, wandten sich schließlich in der Angelegenheit an den Governorrat. Es war Governor Kurt Magnus, selbst ein Verfolgter des NS-Regimes, der das Votum des Rats übermittelte: „Nach allem kam der Governorrat zu der Entscheidung, dass Meinecke mit Recht ablehnte. Die Begründung, die er seiner Ablehnung gab, hat der Governorrat nicht gebilligt. Letztlich aber wurde der „Wunsch ausgesprochen, dass die ganze Angelegenheit im Rotarier nicht mehr erwähnt wird.“

Keine kritische Aufarbeitung

Resigniert kommentierte Mannheims Altoberbürgermeister daraufhin: „Der Beschluss, die ganze Angelegenheit im Rotarier nicht mehr zu erwähnen, entstammt jenem Konformismus, der sich m.E. zu unserem Unglück in der Bundesrepublik – die eigentlich nur noch eine Erwerbsgesellschaft darstellt – ausgebreitet hat.“ Der Governorrat blieb bei seiner Linie, Friedrich Gorissen und ein weiterer Freund des RC Kleve kündigten im März 1962 demonstrativ ihre Mitgliedschaft. Auch Hannah Arendts „Eichmann in Jerusalem“ – 1963 in Buchform erschienen – löste zunächst deutlichen Widerspruch aus. Vieles von dem, was sie analysierte, hat die NS-Forschung indes erheblich vorangebracht. Doch Gorissens „Eichmann unter uns“ und Jürg Zutts Darlegungen über den „Nationalsozialismus und die deutsche Gegenwart“ blieben Episoden und führten nicht zur kritischen Aufarbeitung der eigenen rotarischen Geschichte.


Buchtipp

 

Ulrich Nieß und Karen Strobel

Freundschaft unter Druck
Zur Geschichte des Rotary Clubs Mannheim (1930–1950) und seiner Gründungsmitglieder.

Freundeskreis MARCHIVUM,

208 Seiten, 25 Euro

Karen Strobel und Ulrich Niess

Karen Strobel, M.A. ist Philologin, Archivarin und wiss. Mitarbeiterin im Bereich NS-Dokumentationszentrum am MARCHIVUM.
Prof. Dr. Ulrich Niess, RC Mannheim, ist Historiker und Direktor des MARCHIVUM – Mannheims Archiv und Haus der Stadtgeschichte und Erinnerung.

marchivum.de