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Rotary Historisch

Forschungsarbeit in den Niederlanden

Rotary Historisch - Forschungsarbeit in den Niederlanden
Rotterdams Innenstadt nach dem deutschen Luftangriff im Mai 1940 © Wikipedia/Gemeinfrei

Rotarische Schicksale

01.05.2022

Die Arbeit unserer Forschungsgruppe zur Aufklärung der Schicksale von mehr als 250 vom Regime der Nationalsozialisten diskriminierten, verfolgten, misshandelten oder später sogar getöteten deutschen rotarischen Freunden findet bis heute großes Interesse, insbesondere auch bei unseren europäischen Nachbarn in Polen und den Niederlanden. Mit Russlands Invasion in der Ukraine erleben wir gerade, dass aus der deutschen Vergangenheit offenbar nichts gelernt wurde. Umso dringlicher scheint uns die endgültige Aufarbeitung aller NS-Gewalttaten in ganz Europa. Nachdem wir mit den Biografien nun den ersten, für uns wichtigsten Schritt abgeschlossen haben, liegt es nahe, jetzt gemeinsam mit den rotarischen Freunden der betroffenen Nachbarländer die Schicksale ihrer NS-verfolgten Rotarier zu erforschen und zu würdigen. Kürzlich konnten wir beispielsweise mit niederländischen Freunden vom Rotary Club Rotterdam eine Zusammenarbeit beginnen, gestützt durch unsere relationale Datenbank.

Mai 1940: die Kapitulation der Niederlande

Wir erinnern uns: Die Niederlande mit ihren damals 8,8 Millionen Einwohnern, davon etwa 160.000 Juden sowie circa 20.000 gerade erst aus Deutschland geflüchtete Juden, waren bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs strikt neu tral. Adolf Hitler befahl jedoch trotzdem den Angriff auf das ebenso neutrale Belgien und die Niederlande, um Frankreich vom schwächer gesicherten Norden angreifen zu können. Gleichzeitig wollte er Flugbasen für später geplante Luftangriffe auf Großbritannien erobern.

Nach fünftägigem Verteidigungskampf gegen die Wehrmacht mit ihren verheerenden Bombardements auf die zivile Bevölkerung kapitulierten die Niederlande am 14. Mai 1940. Unmittelbar nach der Invasion begannen die Verfolgungen, besonders zunächst der aus Deutschland Geflohenen durch den sofort nachrückenden Sicherheitsdienst des Reichsführers SS (SD), unterstützt durch den schon bestehenden, kollaborierenden paramilitärischen Apparat der „Nationaal Socialistische Beweging (NSB)“. Zeitgleich bildeten sich mehrere Widerstandsgruppen mit verschiedenen religiösen, politischen und humanen Motivationen – und waren deshalb wenig koordiniert. Es formierte sich bewaffneter und ziviler Widerstand im Untergrund mit dem Ziel, Verfolgte unterzubringen, Fluchthilfe zu leisten, Spionage- und Sabotageaktionen auszuführen. Unter den Verfolgten und Widerständlern befanden sich zahlreiche Rotarier. Einige spielten im holländischen Widerstand eine Schlüsselrolle. So organisierte Iman Jakob van den Bosch (Rotary Club Eindhoven) mithilfe einer „Untergrund-Bank“ die Finanzierung des Lebensunterhalts der Widerstandsorganisation und der im Lande verbleibenden Familien der Exilanten, zum Beispiel von Mitgliedern der Regierung und Militärs in England. Dem Apotheker Dr. Hendrik Cohen (Rotary Club Rotterdam) gelang es als Vorstandsmitglied des regionalen jüdischen Rats gleich zu Beginn der Judendeportationen, diese über längere Zeit zu unterlaufen. Beide Rotarier gaben für ihre humanitäre Überzeugung ihr Leben.

RC Rotterdam: Private Meetings trotz Clubverbot

34 Clubs existierten vor dem Krieg in den Niederlanden. Über 30 holländische Rotarier kamen im Zweiten Weltkrieg durch die deutschen Besatzer ums Leben. Im Deutschen Reich mit einer Einwohnerzahl von 80 Millionen (Stand Mai 1939) kamen in der deutlich längeren Zeitspanne von 1933 bis 1945 nach heutigem Forschungsstand 30 rotarische Freunde aus 45 Vorkriegsclubs durch das NS-Regime zu Tode. Viele weitere rotarische Freunde wurden wegen „illegaler Betätigung“ inhaftiert und in Kon zentra tions lager des Reichsgebietes verschleppt.

Unterdessen treffen die Kriegsfolgen auch den Rotary Club Rotterdam. Die Clubchronik berichtet, dass ein letztes Vorkriegsmeeting am 27. März 1940 in altbewährter Weise abgehalten werden konnte. Nach dem Tag der bedingungslosen Kapitulation am 14. Mai 1940 konnte der Club nicht mehr im Clubhotel tagen, da die Räumlichkeiten durch die Kriegshandlungen schwer beschädigt waren. Als Ausweichquartier stellt ein Clubmitglied den Versammlungsraum seines Institutes für die wöchentlichen Meetings zur Verfügung, die Clubfreunde bringen zum Lunch Butterstullen mit. Am 3. September 1940 befiehlt der SD, die Rotary- Meetings einzustellen, Clubarchiv und -vermögen werden eingezogen. Der Club war somit auf Befehl der Besatzer ausgelöscht. Aber was die deutschen Eindringlinge nicht zu zerstören vermochten, war die Freundschaft unter den Clubmitgliedern: Nun wurde eben in ihren Privatwohnungen fünf Jahre lang jeden Mittwoch zwischen 14 und 16 Uhr ein Clubmeeting abgehalten.

Karsten D. Wick, Rotary Club Hamburg-Lombardsbrücke