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Rotary Aktuell

Erlaubt, aber „inopportun“

Rotary Aktuell - Erlaubt, aber „inopportun“
Ansicht von Jena 1938. Blick von der Johannisstraße auf die Stadtkirche © Private Sammlung

Ein Blick in die Geschichte: Warum 1935 die Gründung eines Rotary Clubs in Jena scheitern musste.

01.04.2022

Mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 begann für die 34 deutschen Rotary Clubs eine Phase unsicherer Neuorientierung: Einerseits war den Mitgliedern bewusst, dass ihr Serviceclub mit seinem internationalen Netzwerk und der humanitären Ausrichtung in der neuen Zeit kaum eine Chance haben konnte, andererseits hofften sie darauf, sich durch Anpassung an Vorschriften des nationalsozialistischen Regimes als „deutsche“ Clubs behaupten zu können.

In den ersten Jahren lastete der Druck der NS-Regierung vor allem auf den jüdischen Mitgliedern, von denen sich die Clubs zumeist geräuschlos trennten, auch wenn sie damit gegen einen Grundwert Rotarys verstießen. Im Gegenzug blieben die Clubs zunächst noch unbehelligt, waren dem Regime sogar willkommen – wohl auch als eine Art Feigenblatt, mit dem international Weltoffenheit vorgespiegelt werden sollte. Spätestens nach den Olympischen Spielen 1936 schlug diese vermeintliche Weltoffenheit in unnachgiebige Gleichschaltung um. Das führte 1937 zur erzwungenen Selbstauflösung der deutschen Rotary Clubs.

Zehn Clubgründungen

In den Jahren 1933 bis 1937 kam es im Deutschen Reich immerhin noch zu zehn Clubgründungen und mehreren Gründungsversuchen. Ein näherer Blick auf die gescheiterte Initiative in Jena wirft dabei ein exemplarisches Licht auf die Kräfte, die hier die rotarische Idee zu verhindern wussten: Es waren nicht nur zentral ausgerichtete Parteiaktivisten, sondern karriereorientierte Verwaltungsbürokraten, die eingeschüchterten Männern den Mut nahmen, die Clubgründung beherzt anzugehen.

Bereits seit 1930 hatten Rotarier aus Dresden, Leipzig und Halle erste Schritte unternommen, um Rotary auch in Jena zu verankern. Ihre Ansprechpartner in Jena waren Professor Dr. med. Johannes Zange (1880–1969) und Professor Dr. phil. Moritz Rohr (1868–1940), die 1935 aber aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr zur Verfügung standen, auch weil sie die Ablehnung von Partei- und Staatsseite fürchteten. Georg von Hase (1878–1971), Präsident des RC Leipzig und „Bezirksleiter Süd-Ost“ (vergleichbar einem Assistant Governor), bat im Juni 1935 im Einvernehmen mit den beiden Jenaer Professoren den Reichsstatthalter in Thüringen, Fritz Sauckel, um eine grundsätzliche Stellungnahme „im Sinne der Anordnung des Obersten Parteigerichts vom Ende April 1934, dass den Mitgliedern eines in Jena zu begründenden Rotaryklubs keine Schwierigkeiten bereitet werden“. Eine Antwort des Reichsstatthalters an von Hase ist nicht bekannt. Die zukünftigen Rotarier, vor allem die Beamten unter ihnen, fürchteten ein Verbot und auch einen Karriereknick. Eine Gründung ohne Staatsbeamte und insbesondere ohne Wissenschaftler der Universität und der Firma Zeiss schien den Initiatoren aber „inopportun (…), soll nicht der Klub unterwertig sein“.

Beitritt von Professoren unerwünscht

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Emil Abderhalden, Präsident der Leopoldina (1932–1950) © Wikimedia Commons

So führte wohl die Anfrage des Ordinarius für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde, Johannes Zange, an den Rektor der Jenaer Universität, Prof. Abraham Robert Esau (1884–1955), ob sein Eintritt in einen Jenaer Rotary Club akzeptiert werden könne, zum Aus der gesamten Initiative. Eine vordergründige Rolle spielte dabei der Ministerialrat im Reichskultusministerium Karl Theodor Vahlen (1869–1945), ein Nationalsozialist der ersten Stunde, der Rotary strikt ablehnte. So beklagte sich der Altpräsident des RC Halle, der ebenfalls in Jena lehrende Professor Emil Abderhalden (1877–1950), im November 1936 bei Governor Franz Schneiderhan (1863–1938) über den Vorstoß Zanges beim Rektor: „Es erfolgte die Antwort, dass der Beitritt von Professoren unerwünscht sei. Das Unglück wollte es, dass der Rektor zugleich eine führende Stellung bei der Fa. Zeiss innehatte. So wurde auch hier der Riegel vorgeschoben. Ich habe später noch einmal einen Versuch unternommen. Er blieb jedoch auch erfolglos. Herr Kroeger (Past-Gov. Otto G. Kroeger, Anm. d. Autoren) hat versucht, im Kultusministerium die Meinung des Herrn Prof. Vahlen umzustimmen, dann wäre die Gründung des Jenenser Clubs sofort möglich. Von Jena aus kann man nach meinen Erfahrungen nichts mehr erreichen.“

Rotary hat im NS-Staat keinen Platz

Abderhalden irrte in diesem Punkt. Als Vahlen im Januar 1937 seinen Posten wegen interner Machtkämpfe um die Führung der Deutschen Forschungsgemeinschaft räumen musste, wurde deutlich, dass seine Person nicht der überschätzte Bremsklotz für Neugründungen von Rotary Clubs war. Es war schon länger spürbar, dass Rotary im NS-Staat keinen Platz hatte. Abderhalden beschreibt schon Ende März 1936 die zunehmend feindselige Atmosphäre in verbaler, aber auch gewalttätiger Hinsicht gegenüber seinem RC Halle in einem Brief an den Präsidenten des RC Leipzig, Hermann Rausch (geb. 1895; 1945 nach Südafrika verzogen): „Wie schwierig die Ver haelt nis se noch liegen, zeigt, dass unser Rotary-Schild zertrümmert worden ist. Es kann nur jemand diese Untat begangen haben, der der Auffassung war, dass Rotary bekaempft werden muss.“

Ähnlich kompliziert wurde die Situation hinsichtlich der Gründung weiterer Clubs auch andernorts gesehen. Dies zeigt auch ein Schreiben des Landrats a. D. Freiherr Tilo von Wilmowsky (1878–1966) aus Naumburg (Saale) an Governor Franz Schneiderhan, RC Wien, vom 15. Januar 1937. Danach „(sollte) man abwarten, bis der in Aussicht genommene Besuch des Präsidenten von Rotary International in Berlin zustande gekommen ist. Ich bin überzeugt, dass dann die Gesamtlage eine wesentlich andere sein wird, und dass man dann Persönlichkeiten zur Förderung des Vorhabens finden wird, die sich jetzt notgedrungen zurückhalten müssen.“

Erkennbar bleibt als Hauptgrund für das Scheitern Rotarys die prinzipielle Ablehnung einer privaten, staatlich nur schwer zu kontrollierenden Vereinigung von Unternehmern, Wissenschaftlern und Beamten. Dahinter aber wird ein zweiter Grund ersichtlich: Es fehlte zu Beginn der 1930er-Jahre an umsetzungsstarken Männern. Zugleich gab es zu viele Biedermänner, die die Brandstifter nicht sehen, hören oder riechen wollten.

RC Jena 1991 gegründet

Die Geschichte der deutschen Rotary Clubs während des Nationalsozialismus ist bisher nur unvollständig erzählt. Erst nach dem Ende zweier Diktaturen war es auch in Jena möglich, Rotary zu leben. Im Distrikt 1950 wurden am 13. April 1991 der RC Jena (vom RC Erlangen) und am 1. Mai 2007 der RC Jena Ernst Abbe von den Clubs Jena sowie Apolda-Weimarer Land gegründet.

Hilmar Gudziol und Gerhard Lingelbach, RC Jena Ernst Abbe