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Titelthema: Populismus

Eine Wiederkehr des Politischen

Der Populismus ist auch eine Folge der zunehmenden Machtverschiebung von gewählten Organen hin zu bürokratischen Institutionen.

John O'Sullivan01.05.2017

In Europa geht ein Gespenst um“, lautete die Schlagzeile in einer im vergangenen Herbst erschienenen Sonderausgabe des Journal of Democracy (eine nüchterne Veröffentlichung, die vom National Endowment for Democracy veröffentlicht wurde). In dieser Sonderausgabe wird die Zunahme der politischen Parteien hinterfragt, die sich jenseits der breiten europäischen Masse nach rechts und links orientieren. Europäer sind normalerweise entweder beunruhigt oder ein­geschnappt über die Sorge der Amerikaner um das Schicksal ihrer Demokratie, aber dieses Mal stimmt die liberale Meinung auf beiden Seiten des großen Teichs überein: Populismus ist eine Gefahr für die Demokratie.

Die Einstellung des Journals ist normalerweise vielfältiger und subtiler. Die Son­derausgabe beinhaltete eine praktische Zusammenfassung aller Parteien, politischen Richtungen und Themen, die im breiten Spektrum des Populismus enthalten sein können. Takis S. Pappas, ein grie­chischer Politiktheoretiker, der in Ungarn lebt, listet in einem Artikel 22 verschiedene Parteien auf, die er vorsichtig als „Herausforderer der liberalen Demokratie“ bezeichnet. Er schlüsselt sie in drei Kategorien auf: Anti-Demokraten, „Nativisten“ und Populisten (in den europäischen und amerikanischen Medien werden üblicherweise alle drei Gruppen als Populisten bezeichnet).

Pappas führt sehr hilfreich (und wenig überraschend) auf, dass sieben der populistischen Parteien in einer Koalition und weitere vier allein an der Macht waren und sind und dass alle Anti-Demokraten bis auf einen entweder „in der Opposition isoliert“ oder „untätig“ sind.

Erfolge der Populisten
Trotz der Erfolge der Populisten bleibt die liberale Demokratie in den betroffenen Ländern erhalten. Dabei hat Professor Pappas sein Netz weit ausgeworfen, bis hin zum sozialistischen Pasok, der Griechenland 22 Jahre lang regierte und die Christdemokraten verließ, sich aber immer noch mit zahlreichen anderen gegenseitig auf die Schulter klopfte, als die Regierung an Syriza (ebenfalls in der Liste) übergeben wurde. Pappas bezeichnet die UKIP ebenso als populistisch wie die von Berlusconi gegründete wichtigste Oppositionspartei Italiens oder die derzeitigen Regierungsparteien von Ungarn und Polen, obwohl zumindest einige dieser Partien eher eine traditionell konservative Meinung vertreten und/oder von charismatischen Politikern wie Viktor Orban geleitet werden.

Pappas argumentiert weiterhin, leicht paradox, dass aus seinen drei Kategorien die Populisten wahrscheinlich die größte Herausforderung für die Demokratie sein könnten, eben weil sie sie grundsätzlich unterstützen und damit demokratische Wahlen gewinnen. Sobald sie gewählt wer­den, könnten sie in Versuchung geraten, verfassungsrechtliche Beschränkungen durch ihre Macht außer Kraft zu setzen. Er erklärt dies folgendermaßen: „Populistische Parteien beschreiten den Weg der Demokratie, aber nicht den des Liberalismus.“ Doch Liberalismus ohne Demo­kratie kann es seiner Meinung nach nicht geben.

Obwohl das Netz von Professor Pappas sehr engmaschig ist, lässt es einige große Fische entkommen. Denn das große, zumeist nicht diskutierte Problem ist, dass „Liberalismus ohne Demokratie“ dasje­nige Regierungssystem ist, in dessen Richtung sich der Westen seit mindestens einer Generation kontinuierlich bewegt. Es gibt eine zunehmende Machtverschiebung von gewählten und verantwortlichen Organen  wie dem Parlament hin zu halb-unabhängigen bürokratischen Behörden, die ihre eigenen Gesetze (Verordnungen genannt) für die Gerichte und in den letzten Jahren auch für europäische und andere transnationale Organe verabschieden.

Stille Machtverschiebung
Dies war möglich, weil liberale, fortschritt­liche Eliten an der Spitze der großen politischen Parteien bei dieser Machtverschiebung mitgewirkt haben. Dies verhalf ihnen dazu, offensichtliche Wünsche der ­Wähler zu ignorieren oder sich über diese hinweg­zusetzen. Grundlegende strittige  Fragen wurden einfach nicht diskutiert – sie wur­den aus der Politik herausgehalten. Die Zuwanderung und „Europa“ sind Bei­spiele dafür. Im Laufe der Zeit wurden wichtige Entscheidungen in der demokratischen Politik nicht mehr auf der Basis von Mehrheiten getroffen. Die Demokratie mutierte somit zu einem System, das John Fonte vom Hudson Institute als Postdemokratie bezeichnet, in der die Eliten und Institutionen immer mehr Kontrolle und Macht ausüben als die Wähler und deren Vertreter in den Parlamenten.

Meine Theorie dazu möchte ich mit dem Bild eines Diagramms schildern: Auf der linken Seite des Spektrums steht die Postdemokratie; auf der rechten Seite befindet sich der Populismus; in der Mitte steht die klassische Mehrheitsdemokratie. Libe­rale Beschränkungen demokratischer Mehrheiten nehmen an Anzahl und Bedeutung zu, wenn die Bewegung in Richtung Post­demokratie geht; und sie nehmen gleicher­maßen an Anzahl und Bedeutung ab, wenn sie in Richtung Populismus gehen. Aber je mehr sich diese Kräfte zu den liberalen Institutionen verlagern und je schwächer diese demokratischen Mehrheiten verfassungsrechtlich werden, umso eher ist es wahrscheinlich, dass der Populismus auf Wunsch des Volkes die Aufhebung verfassungsrechtlicher Beschränkungen fordert.