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Titelthema: Populismus

Symptom der Krise – und Chance für die Demokratie

Der Erfolg populistischer Bewegungen ist Ausdruck des Versagens der repräsentativen
Demokratie – und zugleich die Gelegenheit zu deren Revitalisierung.

Albrecht von Lucke01.05.2017

Wo auch immer dieser Tage gewählt wird, malt man den populistischen Teufel an die Wand. Und umso größer ist die Erleichterung, wenn der dro­hende Sieg noch einmal verhindert werden konnte. Dieser Bannfluch geht aber letztlich am Kern des Populismus vorbei, wie auch an der Suche nach den wahren Ursachen dieses erstaunlichen Phänomens in ganz Europa.

Fest steht: Der Erfolg jeder populistischen Gruppierung ist Ausdruck des Versagens der repräsentativen Demokratie – und gleichzeitig immer auch die Chance zu deren Revitalisierung. Exemplarisch dafür ist der Aufstieg der AfD.
Nichts dürfte der neuen Partei stärker genutzt haben als die Besetzung des Wortes „Alternative“. Und nichts hat den eta­blierten Parteien mehr geschadet als die angebliche, vor allem von Angela Merkel postulierte „Alternativlosigkeit“ ihrer Politik. Diese hat entscheidend mit zum Entstehen und Erstarken der AfD beigetragen. Denn jeder Populist legt den Finger in die Wunde: Wenn in der Demokratie etwas alternativlos ist, dann ist es die Notwendigkeit politischer Alternativen. Fallen diese aus, ist populistischer Protest die Konsequenz.

Anders ausgedrückt: Der Populismus reüssiert immer dann, wenn die beiden Volksparteien der Mitte kaum unterscheid­bar sind, der Wähler also faktisch keine Wahl mehr hat. Demnach sind Zeiten der Großen Koalition der ideale Nährboden für Populismus. Bereits die erste „GroKo“ in der Geschichte der Bundesrepublik, von 1966 bis 1969 unter Kanzler Kurt Georg Kie­singer (CDU) und Vizekanzler und Au­ßen­minister Willy Brandt (SPD), produzier­te den Widerstand aus sich heraus. Aus dem Protest am großen Mehltau im Lande – und aufgrund des Fehlens einer ablösefähigen Opposition – erwuchs jedoch nicht nur die erstarkte NPD, sondern vor allem die Neue Linke, die Außerparlamentarische Opposition, kurz APO.

Heute haben wir es wieder mit einer Großen Koalition zu tun, allerdings entsteht daraus offensichtlich keine Neue Linke, sondern eine Neue Rechte samt rechter APO, namens Pegida und Co., die längst weit mehr sind als eine „kleine radikale Minderheit“. Mit der AfD ist zum ersten Mal eine Partei rechts der Union entstanden, nachdem 1953 durch die Einführung der Fünf-Prozent-Klausel sämtliche Rechtspar­teien auf Bundesebene in der Versenkung verschwunden waren. Faktisch erlebt da­mit nun auch die CDU/CSU ihr Grünen- und Linkspartei-Moment – die Spaltung ihrer angestammten Wählerschaft. Rechts von der Union ist nun nicht mehr „nur noch die Wand“, wie Franz Josef Strauß einst als oberste Devise ausgegeben hatte.

Volkspartei neuen Typs
Zweifellos ist die AfD zu einem erheblichen Teil Fleisch vom Fleische der Union. Angela Merkel steht für deren kulturelle Funda­mentalliberalisierung. Dagegen richtete sich die AfD von Beginn ihrer Gründung an, als rechts-konservatives Korrektiv. Heute will sie allerdings längst darüber hinaus. Die Parteivorsitzende Frauke Petry postuliert, man stehe jenseits der klassischen Kategorien von links und rechts: „Wo wir sind, ist die Mitte.“ Und ihr Stellvertre­ter, Jörg Meuthen, will all jene ansprechen, die sich „von den Konservativen, von den Liberalen, von den Linken“ verra­ten fühlen und weg wollen „vom links-rot-­grün-ver­sifften 68er-Deutschland und hin zu einem friedlichen, wehrhaften Na­tio­nalstaat“. Tatsächlich zieht die AfD als „Staubsauger­partei“ Wählerinnen und Wähler aller Par­teien an. Teile der Partei drängen zudem populistisch über die Rolle der parla­mentarischen Opposition hinaus. Sie ste­­hen für die Rückkehr der radikalen System­kritik, gegen das angebliche Kartell aus „Lügenpresse“ und „Volksverrätern“.

Heute will die AfD dezidiert die Partei der sogenannten kleinen Leute sein, mit dem Anspruch, letztlich selbst die Mehrheitspartei im Lande zu werden – und das stets unter dem Slogan: „Wir sind das Volk.“ Dahinter aber verbirgt sich immer unausgesprochen auch das exkludierende, gefähr­liche: „Ihr anderen seid das Volk gera­de nicht“. Mit diesem Ausschließlichkeitsan­spruch ist die AfD eine Volkspartei neuen Typs, die allen anderen abspricht, ihrerseits das Volk zu vertreten. Faktisch geht es um eine „identitäre Demokratie“, als Einheit von Volk und Führern, die mit dem westlichen Demokratieverständnis letztlich wenig zu tun hat. Denn in pluralistischen Demokratien gibt es das Volk, wie es der Philosoph Jürgen Habermas einmal ausdrückte, immer nur im Plural.

Aber genau diese Absage an den Pluralismus macht den Populismus heute – in einer Zeit eminenter Parteien-, ja teilweise längst Demokratieverdrossenheit – für einen wachsenden Teil der Bevölkerung so attraktiv. Laut der Leipziger Mitte-Studie von 2016 („Die enthemmte Mitte“ be­für­worten heute 21 Prozent „eine Partei, die das gesamte Volk verkörpert“. Der Po­pu­lismus ist damit immer auch ein Symp­tom des Niedergangs der Demokratie und der Krise der Repräsentation. Und die AfD ist damit – wenn auch auf niedrigem ­Niveau – exemplarisch für die neue rechtspopulistische Revolte, die einen fundamentalen Angriff auf die repräsentative Demokratie darstellt.
Wie aber wäre dieser Offensive wirksam zu begegnen? Nur indem die Demokratie der Bundesrepublik ihre alte demokratische Stabilität und Stärke zumindest teil­weise wiedererlangt.

Albrecht von Lucke
Albrecht von Lucke ist Jurist und Politikwissenschaftler und seit 2003 Redakteur der Zeitschrift „Blätter für deutsche und internationale Politik“. 2015 erschien „Die schwarze Republik und das Versagen der deutschen Linken“ (Droemer Verlag). 2017 veröffentlichte er eine erweiterte Taschenbuchausgabe (Knaur TB). blaetter.de