Titelthema: Populismus
Symptom der Krise – und Chance für die Demokratie
Der Erfolg populistischer Bewegungen ist Ausdruck des Versagens der repräsentativen
Demokratie – und zugleich die Gelegenheit zu deren Revitalisierung.
Wo auch immer dieser Tage gewählt wird, malt man den populistischen Teufel an die Wand. Und umso größer ist die Erleichterung, wenn der drohende Sieg noch einmal verhindert werden konnte. Dieser Bannfluch geht aber letztlich am Kern des Populismus vorbei, wie auch an der Suche nach den wahren Ursachen dieses erstaunlichen Phänomens in ganz Europa.
Fest steht: Der Erfolg jeder populistischen Gruppierung ist Ausdruck des Versagens der repräsentativen Demokratie – und gleichzeitig immer auch die Chance zu deren Revitalisierung. Exemplarisch dafür ist der Aufstieg der AfD.
Nichts dürfte der neuen Partei stärker genutzt haben als die Besetzung des Wortes „Alternative“. Und nichts hat den etablierten Parteien mehr geschadet als die angebliche, vor allem von Angela Merkel postulierte „Alternativlosigkeit“ ihrer Politik. Diese hat entscheidend mit zum Entstehen und Erstarken der AfD beigetragen. Denn jeder Populist legt den Finger in die Wunde: Wenn in der Demokratie etwas alternativlos ist, dann ist es die Notwendigkeit politischer Alternativen. Fallen diese aus, ist populistischer Protest die Konsequenz.
Anders ausgedrückt: Der Populismus reüssiert immer dann, wenn die beiden Volksparteien der Mitte kaum unterscheidbar sind, der Wähler also faktisch keine Wahl mehr hat. Demnach sind Zeiten der Großen Koalition der ideale Nährboden für Populismus. Bereits die erste „GroKo“ in der Geschichte der Bundesrepublik, von 1966 bis 1969 unter Kanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU) und Vizekanzler und Außenminister Willy Brandt (SPD), produzierte den Widerstand aus sich heraus. Aus dem Protest am großen Mehltau im Lande – und aufgrund des Fehlens einer ablösefähigen Opposition – erwuchs jedoch nicht nur die erstarkte NPD, sondern vor allem die Neue Linke, die Außerparlamentarische Opposition, kurz APO.
Heute haben wir es wieder mit einer Großen Koalition zu tun, allerdings entsteht daraus offensichtlich keine Neue Linke, sondern eine Neue Rechte samt rechter APO, namens Pegida und Co., die längst weit mehr sind als eine „kleine radikale Minderheit“. Mit der AfD ist zum ersten Mal eine Partei rechts der Union entstanden, nachdem 1953 durch die Einführung der Fünf-Prozent-Klausel sämtliche Rechtsparteien auf Bundesebene in der Versenkung verschwunden waren. Faktisch erlebt damit nun auch die CDU/CSU ihr Grünen- und Linkspartei-Moment – die Spaltung ihrer angestammten Wählerschaft. Rechts von der Union ist nun nicht mehr „nur noch die Wand“, wie Franz Josef Strauß einst als oberste Devise ausgegeben hatte.
Volkspartei neuen Typs
Zweifellos ist die AfD zu einem erheblichen Teil Fleisch vom Fleische der Union. Angela Merkel steht für deren kulturelle Fundamentalliberalisierung. Dagegen richtete sich die AfD von Beginn ihrer Gründung an, als rechts-konservatives Korrektiv. Heute will sie allerdings längst darüber hinaus. Die Parteivorsitzende Frauke Petry postuliert, man stehe jenseits der klassischen Kategorien von links und rechts: „Wo wir sind, ist die Mitte.“ Und ihr Stellvertreter, Jörg Meuthen, will all jene ansprechen, die sich „von den Konservativen, von den Liberalen, von den Linken“ verraten fühlen und weg wollen „vom links-rot-grün-versifften 68er-Deutschland und hin zu einem friedlichen, wehrhaften Nationalstaat“. Tatsächlich zieht die AfD als „Staubsaugerpartei“ Wählerinnen und Wähler aller Parteien an. Teile der Partei drängen zudem populistisch über die Rolle der parlamentarischen Opposition hinaus. Sie stehen für die Rückkehr der radikalen Systemkritik, gegen das angebliche Kartell aus „Lügenpresse“ und „Volksverrätern“.
Heute will die AfD dezidiert die Partei der sogenannten kleinen Leute sein, mit dem Anspruch, letztlich selbst die Mehrheitspartei im Lande zu werden – und das stets unter dem Slogan: „Wir sind das Volk.“ Dahinter aber verbirgt sich immer unausgesprochen auch das exkludierende, gefährliche: „Ihr anderen seid das Volk gerade nicht“. Mit diesem Ausschließlichkeitsanspruch ist die AfD eine Volkspartei neuen Typs, die allen anderen abspricht, ihrerseits das Volk zu vertreten. Faktisch geht es um eine „identitäre Demokratie“, als Einheit von Volk und Führern, die mit dem westlichen Demokratieverständnis letztlich wenig zu tun hat. Denn in pluralistischen Demokratien gibt es das Volk, wie es der Philosoph Jürgen Habermas einmal ausdrückte, immer nur im Plural.
Aber genau diese Absage an den Pluralismus macht den Populismus heute – in einer Zeit eminenter Parteien-, ja teilweise längst Demokratieverdrossenheit – für einen wachsenden Teil der Bevölkerung so attraktiv. Laut der Leipziger Mitte-Studie von 2016 („Die enthemmte Mitte“ befürworten heute 21 Prozent „eine Partei, die das gesamte Volk verkörpert“. Der Populismus ist damit immer auch ein Symptom des Niedergangs der Demokratie und der Krise der Repräsentation. Und die AfD ist damit – wenn auch auf niedrigem Niveau – exemplarisch für die neue rechtspopulistische Revolte, die einen fundamentalen Angriff auf die repräsentative Demokratie darstellt.
Wie aber wäre dieser Offensive wirksam zu begegnen? Nur indem die Demokratie der Bundesrepublik ihre alte demokratische Stabilität und Stärke zumindest teilweise wiedererlangt.
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