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Interview

"Es ist ein kleines Land mit einer großen ethnischen Vielfalt"

Interview - "Es ist ein kleines Land mit einer großen ethnischen Vielfalt"
Klaus Bochmann, Leiter des Moldova-Instituts in Leipzig © Universität Leipzig

Klaus Bochmann ist Leiter des Moldova-Instituts Leipzig und ein großer Kenner der Republik Moldau. Im Gespräch berichtet er von seinen Erfahrungen im Land, die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse.

01.10.2022

Wann und zu welchem Zweck wurde das Moldova-Institut gegründet?

Das Moldova-Institut Leipzig wurde im Dezember 2005 als eingetragener Verein gegründet. Wissenschaftler und Studenten der Universität Leipzig, aber auch weitere an Moldova Interessierte, arbeiten hier. Wir sprechen übrigens von Moldova, weil die Moldauer ihr Land selbst so nennen. Offiziell spricht man in Deutschland von der Republik Moldau, in der Öffentlichkeit ist meistens von Moldawien die Rede, was auf die russischsprachige Bezeichnung zurückgeht. Wir hatten zum Zeitpunkt der Gründung viele Studenten und Doktoranten aus Moldova in Leipzig. So kam die Idee auf, so ein Institut zu gründen. Wir wollen das Land in Deutschland bekannter machen und zugleich Beziehungen zwischen unseren Ländern entwickeln. Das vor allem im Hochschulwesen, aber auch zwischen Bildungseinrichtungen anderer Art sowie im medizinischen Bereich und zwischen verschiedenen Medien beider Länder. Wir haben somit viele Zielgruppen und arbeiten auf den beschriebenen Gebieten.

Warum ist uns Deutschen die Republik Moldau so fremd?

Das Problem ist, dass die Republik Moldau nie ein selbstständiger Staat war, beziehungsweise nur in kurzen Zeitabschnitten. Sie ist hervorgegangen aus dem alten Fürstentum Moldau, das seit dem 15. Jahrhundert neben dem Fürstentum Walachei – aus beiden ist 1859 der rumänische Nationalstaat hervorgegangen - existierte. 1812 ist das Fürstentum Moldau geteilt worden. Ein Teil blieb unter türkischer Herrschaft und der andere wurde von Russland annektiert und als Provinz Bessarabien in das Zarenreich integriert. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde diese Region wieder an Rumänien angegliedert, also in gewisser Weise wiedervereinigt. Da blieb bis zum Zweiten Weltkrieg. Dann wurde Bessarabien eine eigenständige, aber unbedeutende, kleine Sowjetrepublik. Erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ist Moldova unabhängig geworden. Es gab eine ganz kurze Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, wenige Monate, in der die Republik selbstständig war, aber das war nicht wirklich von Bedeutung. Gerade diese Unselbständigkeit und zugleich geringe geopolitische Bedeutung ist die Ursache dafür, dass das Land noch immer weitgehend unbekannt ist. Im deutschen Bewusstsein ist es wohl vor allem im Zusammenhang mit den seit 1814 dort siedelnden Bessarabien-Deutschen präsent gewesen, knapp 100.000 Personen, die zwischen 1939 und 1940 nach einem Abkommen zwischen Deutschland und der Sowjetunion nach Deutschland zurückgeführt worden sind.

Plötzlich ist die Republik Moldau doch in aller Munde. Das hat mit dem Krieg in der Ukraine zu tun. Moldau hat in Bezug auf die eigene Bevölkerung die meisten Geflüchteten aufgenommen. Gibt es diesbezüglich Probleme oder gar Spannungen?

Probleme gibt es, aber von Spannungen ist mir nichts bekannt. Zunächst muss man wissen, dass Moldova eng mit der Ukraine verbunden ist, da es die längste Grenze zu diesem Nachbarn hat. Einige Regionen in der Ukraine, unter anderem die Nord-Bukowina und der westliche Teil der Oblast Odessa sind auch historisch eng mit Moldova verbunden. Das waren früher rumänische Gebiete, die erst nach 1944 in die Ukraine integriert worden sind. In Bezug auf die nun aufgenommenen Geflüchteten will ich Ihnen ein Beispiel geben, was die Problematik gut verdeutlicht. Wir haben gute Beziehungen zur Staatlichen Universität in Chișinău. Der Rektor der Universität rief uns an, dass er über 2000 ukrainische Frauen und Kinder in studentischen Wohnheimen aufgenommen habe und nun nicht wisse, wie er diese betreuen und ernähren soll. Der Staat war nicht in der Lage, der Universität dafür Mittel zur Verfügung zu stellen. Wir haben daraufhin einen Spendenaufruf gestartet und in kurzer Zeit knapp 30.000 Euro gesammelt. Die Summe haben wir dann direkt der Universität zur Verfügung gestellt. Das zeigt, wie dieses Land mit der neuen Problematik fertig wird beziehungsweise eben nicht fertig wird.

Das heißt, ohne Hilfe aus dem Ausland wäre die Aufnahme von Flüchtlingen gar nicht möglich.

Das muss man so sagen. In der Zwischenzeit sind auch Mittel der Europäischen Union sowie aus Rumänien geflossen. Aber, in der Tat, allein hätte dieses Land die Flüchtlingswelle nicht stemmen können.

Wie groß sind die Sorgen, dass der Krieg noch auf Moldau übergreifen könnte?

Diese Angst war von Anfang an da. In der Zwischenzeit hat sich dies etwas beruhigt, weil der Vormarsch der Russen ja nicht so wie befürchtet verlaufen ist. Die Gefahr bleibt dennoch bestehen. Sie ist auch insofern sehr aktuell, da ja ein Teil der Republik Moldau abgespalten ist, das sogenannte Transnistrien, das sich als selbstständiger Staat bezeichnet. Allerdings ist Transnistrien international nicht anerkannt, wird aber von Russland unterstützt. Das ist ein Problem, weil in diesem schmalen Landstreifen neben eigenem Militär auch russische Truppen stationiert sind. Es gibt eine Warnung Russlands, dass es eingreifen würde, sollte Transnistrien oder das eigene, dort stationierte Militär angegriffen werden. Es gab in der letzten Zeit rätselhafte Explosionen. In Moldova hat aber niemand Interesse an einem Konflikt. Das Land verfügt nur über eine unbedeutende Armee. Ein Krieg wäre furchtbar für Moldova. Wer auch immer hier provoziert, muss sich klar machen, wie gefährlich es werden kann.

Ist dieser Konflikt lösbar?

Jeder Konflikt ist lösbar. Die Frage ist nur, wie groß der Wille beider Seiten ist. Auf Seiten Transnistriens ist dieser bislang gering, da es unter der Schutzherrschaft Russlands agieren kann.

Zeigt sich anhand dieses Konfliktes, dass die Bevölkerung Moldaus insgesamt auf Identitätssuche ist? Gespalten zwischen jenen, die zur EU tendieren und jenen, die sich als Teil der russischen Welt betrachten?

Es ist in der Tat so. Da sich Moldova so lange unter russischer beziehungsweise sowjetischer Herrschaft befunden hat, hat sich nicht nur die Bevölkerungsstruktur verändert, sondern auch die Einstellung. Man kann schon sagen, dass das Land noch immer diesen Identitätskonflikt hat. Es gibt zwar eine verstärkte Hinwendung zur Europäischen Union, Moldova hat ja den Status eines Beitrittskandidaten erhalten, allerdings gibt es einen nicht kleinen Teil der Bevölkerung, der russisch spricht und dem Einfluss der russischsprachigen Medien unterliegt. Die Beziehungen zu Russland sind nach wie vor stark, selbst wenn sie wirtschaftlich nicht mehr so funktionieren wie früher. In den vergangenen Jahren haben viele Moldauer in Russland gearbeitet und tun es heute noch. Die Unsicherheit bei der Orientierung ist nicht mehr so stark, wie vor einigen Jahren, aber sie ist noch vorhanden.

Die jetzige Präsidentin Maia Sandu forciert die Annäherung an die EU, will gar Teil von ihr sein. Droht da ein neuer Konflikt innerhalb der Bevölkerung?

Soweit ich informiert bin, akzeptiert die Mehrheit der Bevölkerung inzwischen die Annäherung an die EU beziehungsweise die Integration in die Staatengemeinschaft. Aber mit Blick zum Beispiel auf die Gagausen, einem Turkvolk im Süden des Landes, hält man sich in der Frage bedeckt.

Können Sie sich wirklich vorstellen, dass Moldau Mitglied der EU wird und die Staatengemeinschaft sich somit den Transnistrienkonflikt ins Haus holt?

Die EU hat bereits alles getan, um Moldova einzubinden. Sicherlich ohne Transnistrien, das wird dabei wahrscheinlich außen vor bleiben. Auf der anderen Seite gibt es viele Transnistrier, die nichts dagegen hätten, einen EU-Pass zu erhalten. Das muss man mitbedenken.

Aber auf dem Weg in die EU ist doch für Moldau noch ein weiter Weg zurückzulegen.

Es ist bewundernswert mit welcher Energie die Annäherung an die EU im Lande vollzogen worden ist. Man hat sehr schnell versucht, sich die Standards des Westens zu eigen zu machen und die geforderten Kriterien zu erfüllen. Natürlich bleiben große Probleme. Die Wirtschaft ist noch wenig entwickelt, und die demokratischen Institutionen sind schwach, da sie noch nicht so tief im Bewusstsein der Bevölkerung verankert sind. Es gibt zudem ein nur schwaches politisches Engagement der Bevölkerung, wenig zivilgesellschaftliche Organisationen, dafür aber vor allem Korruption. Diese funktioniert auf allen Ebenen des öffentlichen Lebens. Es ist aber viel getan worden, um vor allem die großen Korruptionsfälle zu bewältigen. Da sprechen wir zum Teil von enormen Summen auch aus dem Westen, die eigentlich zur Unterstützung des Landes gedacht waren. Aber da ist noch sehr viel zu tun. Zum Glück gibt es eine jüngere Generation, die sich dieses Problems bewusst und gewillt ist, das Land auf einen anderen Kurs zu bringen. Ich bin somit zuversichtlich, was die künftige Entwicklung anbelangt.

Spüren Sie als Institut ein gesteigertes Interesse an Moldau und speziell an ihrer Arbeit seit Beginn des Ukraine-Krieges?

Natürlich. Wir sind als Verein auf Sponsoren angewiesen, die unsere Projekte finanzieren. Es gab schon seit längerem Ausschreibungen mit Projekten zur Förderung des Landes und der deutsch-moldauischen Beziehungen, seitens des Auswärtigen Amtes, des Deutschen Akademischen Auslandsdienstes, der Friedrich-Ebert- und der Konrad-Adenauer-Stiftung und anderer Geldgeber, doch in letzter Zeit hat sich das Volumen der dafür bereitgestellten Mittel vergrößert. Das Land wird so bei seiner Entwicklung und auf dem Weg, europäische Standards zu erfüllen, unterstützt.

Geldgeber, die Sie als richtigen Projektpartner identifiziert haben.

Ja, das stimmt. Wir haben in den 17 Jahren unserer Existenz einiges an Erfahrung angesammelt und viel Anerkennung erfahren.

Bringen Sie uns doch mal ein, zwei Beispiele. Was für Projekte initiieren Sie aktuell?

Es sind im Jahr fünf bis sechs Projekte, die wir realisieren. Es handelt sich vor allem um Schulungen, Workshops und gemeinsame Seminare zu unterschiedlichen Themen. Wir bieten zum Beispiel Projekte für Journalisten an. Da hatten wir im vergangenen Jahr ein Projekt unter dem Titel „Gemeinsam gegen den Missbrauch von Medien durch die Politik und Oligarchen“. Dann haben wir Projekte für die Vertreter der Zivilgesellschaft, für Studenten, Nachwuchswissenschaftler und auch für Lehrer. Da geht es zum Beispiel um Antidiskriminierung. Erinnerungskultur ist ein weiteres und sehr gefragtes Thema, was mit den Belastungen des Zweiten Weltkrieges, Holocaust und dem Stalinismus zusammenhängt. Wir haben weiterhin Projekte, die den Umgang mit Minderheiten behandeln. Seit einigen Jahren thematisieren wir den Umgang der Medien und der Bildungseinrichtungen mit ethnischen Minderheiten, was Teilnehmer auch aus der Ukraine, Georgien und weiteren Ländern interessiert hat. Wir haben mit den Sorben ja selbst ein gutes Beispiel von einer gut integrierten Minderheit in Deutschland. Deshalb haben wir Besuche in Bautzen organisiert und den Austausch mit Vertretern der sorbischen Minderheit ermöglicht. Das Gesundheitssystem ist ein weiteres Feld unserer Arbeit. Wir fördern den Austausch zwischen der Universität Leipzig mit der Medizinischen Universität Chișinău. Hier geht es um die Ausbildung von medizinischem Personal, aber auch um moderne Behandlungsmethoden und Wissenstransfer. Wir habenalso einen breiten Fächer an Themen, die wir behandeln und mit denen wir als Mittler zwischen Deutschland und Moldova, aber zum Teil auch der Ukraine und Georgien tätig sind. Ich möchte auch noch auf eine Sommerschule hinweisen, die wir für deutsche Studierende in Chisinau anbieten. Drei Wochen lang erhalten sie einen Intensivkurs Rumänisch und lernen das Land kennen. Dabei organisieren wir Treffen mit verschiedenen Institutionen, der Regierung und zivilgesellschaftlichen Vertretern.

Können Sie den Erfolg Ihrer Projekte evaluieren? Gerade bei Projekten mit Bezug auf die Medienlandschaft oder Zivilgesellschaft stelle ich mir das schwierig vor.

Die Teilnehmer werden animiert, ihre in der Projektarbeit gesammelten Erfahrungen und das neu gewonnene Wissen entweder in Texten oder in anderen Ausdrucksformen, wie Videos oder gar Radio- oder Fernsehsendungen niederzulegen. Das ermöglicht uns zu erkennen, ob das Vermittelte auch angekommen ist und die teilnehmenden Personen es für sich angenommen haben. Bei den Sommerschulen findet am Ende immer eine Selbstevaluation statt. Ansonsten ist es schon so, dass bei Projekten, die Bildung und Erziehung betreffen, es schwer ist, ganz konkret Ergebnisse zu messen.

Was ist aus ihrer Sicht das Spannende an der Republik Moldau? Warum lohnt es sich, dieses Land zum Beispiel als Tourist zu entdecken?

Es ist ein kleines Land mit einer großen ethnischen Vielfalt. Es ist ein sehr schönes Land, wenngleich es keine Meeresküste oder hohe Berge gibt. Es ist ein Land mit einer alten Kultur, vor allem einer interessanten Klosterkultur. Die Menschen sind enorm gastfreundlich und was man auf keinen Fall vergessen darf: Moldova gehört zu den zehn größten Weinproduzenten der Welt. Die Weine waren schon immer gut, aber sie werden auch immer besser. Es lohnt sich also durchaus, das Land zu bereisen.

Das Interview führte Florian Quanz.


Prof. Dr. Klaus Bochmann ist Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig und seit 2005 Vorsitzender des Moldova-Instituts Leipzig e.V.. Seine Habilitation legte er 1976 mit dem Thema „Der politisch-soziale Wortschatz des Rumänischen von 1821 bis 1850“  an der Universität Leipzig ab. Bochmann ist Dr. h.c. der Universität Alba Iulia und der Staatlichen Universität Chişinău.