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Farewell, Prinz Philip
Er war einfach immer da, fast 100 Jahre lang. Mit dem "Duke" hat sich ein großer Europäer verabschiedet, der auch die deutsch-britischen Beziehungen verkörperte wie kaum ein anderer.
Schon lange vor dem Tod ihres Mannes wurde Queen Elisabeth II. der schöne Satz zugeschrieben, dass die britische Nation dem Herzog von Edinburgh mehr Dank schulde, als dieser jemals beanspruchen und jene jemals wissen würde. Das lässt sich auch auf andere Völker übertragen, denn Prinz Philip bot nicht nur den Menschen im Vereinigten Königreich einen Bezugspunkt. Mit dem "Duke" hat sich ein Großer verabschiedet, ein Mann, der selbstverständlich von früher erzählte und mit seiner Haltung zugleich ein Beispiel für die jungen Generationen gab.
Philips Jugend war von Personen und politischen Konstellationen geprägt, die die meisten nur noch aus den Geschichtsbüchern kennen. Seine abenteuerliche Flucht aus Korfu, wo er 1921 als Prinz Philip von Griechenland und Dänemark geboren wurde, hatte mit dem türkischen Revolutionär und Staatsgründer Kemal Atatürk zu tun. Erzogen vom Reformpädagogen Kurt Hahn kämpfte der Sohn der deutsch-britischen Alice von Battenberg zwanzig Jahre später auf der Seite der Krone gegen die Truppen Adolf Hitlers. Als er zwei Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg in London die künftige Queen heiratete, durfte er seine Schwestern nicht einladen – sie waren mit Deutschen verheiratet. An der Seite Elisabeth II. erlebte er fortan alle britischen Premierminister seit Winston Churchill. Den Führerschein gab er erst unter Theresa May ab. Seine letzten Jokes galten Boris Johnson.
Philip war kein Albert. Anders als der deutsche Prinzgemahl der Königin Victoria hinterließ er kaum sichtbare Spuren im Land, keine Bauten, kein kulturelles Erbe. Philip verlegte sich auf die Rolle des Familienoberhaupts, der die höfischen Verwaltungsstrukturen modernisierte, Hunderten Wohltätigkeitsorganisationen als Schirmherr unter die Arme griff und ansonsten seine Frau nach Kräften unterstützte. Nolens volens wurde er zu einem frühen Feministen. Mit Würde – und dazu gehört in England Selbstironie – stellte er sich in den Hintergrund und ließ die Ehefrau glänzen.
Im gebotenen Abstand zur Königin prägte er mehr als 70 Jahre lang das Gesicht der britischen Monarchie. Das Scheue, manchmal Steife Elisabeths kontrastierte er aus der zweiten Reihe mit Lässigkeit und Witz. So repräsentierten die beiden als Paar einen guten Teil des Nationalcharakters. Für Philip, den vielfach Begabten, bedeutete das auch Verzicht, vor allem die Aufgabe persönlicher Freiheiten und Ambitionen. Das stelle er nie aus, und doch merkte man es ihm stets ein bisschen an.
Philip führte der Welt als Herzog von Edinburgh vor Augen, dass das Zurücknehmen der eigenen Person, dass Dienst und Pflicht den Menschen größer und nicht kleiner machen. Die Fragen, die ihm die oft narzistische Moderne stellte, waren ihm fremd, wenn nicht zuwider. Als ein Journalist vor fast zehn Jahren von ihm wissen wollte, wie er anlässlich seines damaligen 90. Geburtstags über sich denke, sagte er: "Gar nicht. Ich bin einfach da."
Die außerordentliche Anteilnahme, mit der Prinz Philip in den vergangenen Wochen von den Briten verabschiedet wurde, dokumentiert den tief empfundenen Verlust. Natürlich schwingt auch die Sorge mit, was als nächstes kommt; die Queen beging gerade ihren 95. Geburtstag. Biologisch mag die Monarchie gesichert sein – politisch ist sie es nicht. Viele spüren, dass die Monarchie der alten Form, die der unruhig gewordenen Nation soviel Stabilität gegeben hat und gibt, vergeht. Gleichwohl, die Trauer über das Ende des "Dukes" ist genuin – sie gilt ihm persönlich. Mit Philip hat die Nachwelt nicht nur ein seltenes Original verloren, sondern eine Orientierung.
Jochen Buchsteiner ist politischer Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in London. 2018 erschien „Die Flucht der Briten aus der europäischen Utopie“ (Rowohlt).
rowohlt.de
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