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Die Queen und der Elefant im Raum

Forum - Die Queen und der Elefant im Raum
© Reuters/Suzanne Plunkett

Die Krone spendet Trost, steht für Souveränität und Sicherheit, die demokratischen Vertreter Großbritanniens kümmern sich um die Politik. Warum demokratische und monarchische Repräsentation dennoch inkompatibel sind.

Paula Diehl19.09.2022

Nach dem Tod der britischen Königin Elisabeth II. ist über die deutschen Medien geradezu eine Bewunderungswelle gerollt. Von der "Garantin des United Kingdom" (BR), "einem Anker in dem Sturm der Gegenwart" (Bild-Zeitung) und "einem Verlust für ganz Europa" (ZDF) war die Rede. Die verstorbene Königin war bereits zu ihrer Lebenszeit zum Synonym für politische Stabilität und zur allseits bewunderten Figur geworden. Nun tritt ihr Sohn Charles als König an und soll die Institution der Monarchie und die damit verbundene Projektionsfläche für ihre Untertanen aufrechterhalten. Doch es gibt einen "Elefanten im Raum". Die Repräsentationsprinzipien der Monarchie und der Demokratie sind nämlich gar nicht so kompatibel, wie es der Medienkult um die Royals suggeriert. Denn Monarchie und Demokratie folgen unterschiedlichen Logiken, die sich in ihrer Repräsentation niederschlagen.


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Die Monarchie gründet auf Tradition. Sie wird geerbt, nicht erworben oder durch Leistung verdient, und für sie gibt es keine Wahlen, wie in der Demokratie. Ihre Kontinuitätslinie ist die Familiengenealogie. Früher sprach man sogar vom "blauen Blut" der Aristokratie. Max Weber hat gezeigt, dass politische Ordnungen mit Sinn erfüllt sein müssen, wollen sie länger überleben. Im Fall der Monarchie liegt ihre Legitimität in der Tradition, während die moderne Demokratie auf der Rationalität ihrer Funktionen und Prinzipien beruht.[i] Man akzeptiert die Königinnen und Könige und glaubt an sie, weil es immer so war. Ihre Position wird gar nicht in Frage gestellt. Monarchen sind Projektionsfläche für Traditionserwartungen. Natürlich kann eine Königin oder ein König diesen Erwartungen mehr oder weniger gerecht werden. Im Fall von Elisabeth II. aber geschah etwas ganz Besonderes. Sie wurde nicht nur dem Glauben an die Tradition gerecht. 70 Jahre lang war sie die Königin des Vereinigten Königreichs und prägte drei Generationen ihrer "Untertanen". In dieser langen Zeit stützte Elisabeth die britische Monarchie während unterschiedlicher politischer Krisen und Veränderungen – unter anderem das Ende der Kolonialzeit, der Malvinas/Falkland-Krieg gegen Argentinien, der Eintritt in die Europäische Union und zuletzt der Brexit. Am Ende ihrer Amtsperiode profitierte Elisabeth nicht nur vom Traditionsglauben an die Monarchie, sie wurde selbst zur Verkörperung der monarchischen Tradition.

Das System gründet auf Ungleichheit

Das ist erstaunlich, denn Elisabeth II. stärkte die Monarchie in einer Zeit, in der diese Herrschaftsform gar nicht mehr selbstverständlich sein konnte. Als Staatsoberhaupt aller Mitglieder des Königreichs musste sie die Ko-Existenz monarchischer mit demokratischen Regeln aufrechterhalten und ein Gleichgewicht zwischen Tradition und demokratischen Ansprüchen beibehalten. Das ist umso schwieriger, wenn man bedenkt, dass die Monarchie noch weiteren Prinzipien folgt, die mit der Demokratie nicht vereinbar sind. Thronfolger oder Thronfolgerin werden in eine Hierarchie hineingeboren, die sie dazu berechtigt, Königin beziehungsweise König zu werden. Dies gehört zu einem System, das auf Ungleichheit gründet, denn die Aristokratie beansprucht Privilegien und etabliert selbst ihre Rangordnung nach Geburt. Chancengleichheit sieht anders aus. Das ist das Gegenteil des demokratischen Versprechens der Gleichheit aller Bürger und Bürgerinnen. Wenn Regierende in der Demokratie Macht ausüben, müssen sie außerdem darauf verweisen, dass sie dies nur stellvertretend für das Volk tun, und dass sie auch Bürger beziehungsweise Bürgerinnen sind. In der Monarchie dagegen zerfällt die Autorität der Monarchen, wenn die aristokratische Rangordnung und die Hierarchie zwischen Königen und Volk in Frage gestellt werden.

Gegenüber der Königin ist das Volk die Summe der Untertanen und nicht die Bürger und Bürgerinnen, die sich per Wahl vertreten lassen. Dazu kommt, dass in der Monarchie die Königin beziehungsweise der König der Souverän ist, wie die Proklamation von Charles III. bekräftigt. Charles bestätigte die ihm übertragene Souveränität mit "I am deeply aware of this great inheritance and of the duties and heavy responsibilities of sovereignty which have now passed to me.” Man ist verwirrt. Sind nicht England, Schottland, Kanada, Australien und viele andere Mitglieder des Königreichs Demokratien? Und ist in der Demokratie nicht das Volk der Souverän? Spätestens jetzt muss man den Elefanten im Raum ansprechen: Wie können zwei so grundsätzliche Systeme der politischen Repräsentation wie die Monarchie und die Demokratie in Einklang gebracht werden? Und was passiert mit der Volkssouveränität der Demokratie?

Der Schlüssel für die Antwort auf diese Fragen liegt in den Kompromissen der konstitutionellen Monarchie. Der Preis für ihr Überleben war die Unterordnung der Monarchie unter das Gesetz und die Abgabe von Entscheidungen und Macht an die gewählten Repräsentanten und Repräsentantinnen. Die Königin darf sich zu politischen Fragen nicht äußern und muss neutral bleiben, was wiederum als Professionalität interpretiert wird. Als Charles Prince of Wales war, hat er sich für Umweltschutz und Nachhaltigkeit engagiert. Obwohl das Engagement für eine grüne Politik genau in den heutigen Zeitgeist passen würde, wird sich der König Charles III. dazu nicht politisch äußern.

Es gibt allerdings einen Kniff, den Charles bereits benutzt hat: Ökologie wird nicht im Sinne von politischen Maßnahmen präsentiert, sondern als Gesellschaftsthema. Das wäre in der Tat eine Chance für die Monarchie und für Großbritannien. Dieser Kniff zeigt bereits, wie der Kompromiss zwischen demokratischer und monarchischer Repräsentation in Großbritannien verläuft. Ihm liegt eine symbolische Arbeitsteilung zugrunde: Der Monarchie kommt vor allem die Aufgabe zu, die Gesellschaft zusammenzuhalten, Trost zu spenden, und Stabilitätsgefühl zu generieren. Dafür bringen die demokratischen Repräsentanten und Repräsentantinnen politische Programme, Positionen und Entscheidungen in die Öffentlichkeit, in der um sie gerungen wird. Das bedeutet allerdings nicht, dass die gewählten Repräsentanten Aufgaben wie symbolische Stabilität, Einheit, Trost und andere komplett aufgeben. Manche wie Tony Blair, zum Beispiel, waren sogar sehr erfolgreich darin, Nähe zum Volk auszustrahlen sowie Sicherheit und Empathie zu spenden. Blair hat auch eine zentrale Rolle gespielt, als es darum ging, die Queen zu überreden, sich zum tragischen Tod der von Charles geschiedenen Lady Diana zu äußern und das Volk zu trösten. Manche Beobachter der britischen Monarchie sehen darin einen entscheidenden Schritt, der die Popularität der Monarchie erhalten hat.

Die Brückenfunktion der Rituale

Wie wird ein Kompromiss zwischen so unterschiedlichen Prinzipien wie der Monarchie und der Demokratie praktisch gelebt? Die Antwort liegt in den Ritualen. Rituale sind heilende Darstellungspraktiken, sie halten die Gemeinschaft zusammen und wirken integrativ. Durch die Wiederholung stiften die Rituale das Gefühl von Kontinuität. Sie vermitteln aber auch Hierarchien und Ordnung und tragen zu deren Akzeptanz bei. Aus heutiger Sicht wirken die Rituale der Monarchie besonders aus der Zeit gefallen. Ihr Pomp, ihr starrer Ablauf und die strikten Rollen der Protagonisten scheinen nicht so ganz in die Zeit der sozialen Medien zu passen. Und dennoch erfüllen sie nach wie vor eine wichtige Funktion. Außerdem gibt es ein Netz von Ritualen der britischen Monarchie, in dem nicht nur die Tradition der Könige bestätigt, sondern auch der beschwerliche Weg der Kompromissaushandlung mit der Demokratie dargestellt wird. So wird zum Beispiel jedes Mal, wenn ein neues Parlament von der Königin eröffnet wird, zunächst ihre Gesandte beziehungsweise ihr Gesandter vom Parlament abgewiesen, bevor sie oder er schließlich ins Parlament hineingelassen wird. Dies erinnert an den Bruch mit der Monarchie durch den Bürgerkrieg und markiert die Unabhängigkeit des Parlaments. Damit wird die Monarchie in das demokratische System eingeordnet und kann ihre integrative Funktion ausüben.

Zwischen Celebrity und Protokoll

Aber die moderne Demokratie ist eine massenmediale Demokratie geworden. Während die Rituale unbeweglich bleiben, um die Tradition zu bewahren, ist die massenmediale Kommunikation dynamisch, flexibel und hybrid. Mit Internet und sozialen Medien hat die demokratische Gesellschaft weitere Kommunikationsformen entwickelt, die den traditionellen Ritualen der Monarchie zuwiderlaufen. Verlangt wird Spontaneität anstatt der Ausführung eines festen Ablaufs, Authentizität und Nähe anstelle einer festgelegten Rolle sowie Settings, die unterhaltsam sind. Schon vor dem Internet drohte die britische Monarchie aus der Zeit zu fallen. Paradoxerweise war es Diana, die eine Brückenfunktion zu den Massenmedien bot und die Monarchie mit Celebrities verbunden hat. Der von ihr ausgestrahlte mediale Glamour sorgte dafür, dass die Zuschauer und Zuschauerinnen eine Projektionsfläche wiederfanden, die ihrer medialen Realität näher stand als das Bild des altertümlichen Königreichs. Das Tragische daran war, dass Diana zum Opfer ihres Umgangs mit den Medien wurde. Sie wurde auf unzähligen Covers von Hochglanzmagazinen präsentiert und fand die Nähe zum Volk, aber der Preis war das Bedrängen ihres Privatlebens. Doch dabei lernte die Krone, dass Celebrity-Glamour eine Verbindung zwischen starrer Tradition und massenmedialer Lebenswelt herstellen kann.

Celebrities sind dadurch gekennzeichnet, dass sie eine doppelte Position zu ihren Fans einnehmen. Zum einen sind Celebrities unerreichbare Superstars, zum anderen zeigen sie auch, dass sie wie ihre Fans sind, indem sie ihre Leiden offen ansprechen. Liebesdrama, Burnout und Gesundheitsprobleme werden mit den Fans geteilt und stiften Nähe und Empathie. Genau das hatte Diana geboten. Sie sprach von ihrer Magersucht und ihrem Kummer und scheute sich nicht zu zeigen, wie sie unter der unglücklichen Ehe mit Charles litt. Das brachte ihr Sympathie ein. Seitdem bemühen sich die Royals um die richtige Dosierung von Inszenierung von Privatheit mit Celebrity-Glamour, ohne Opfer des Voyeurismus zu werden.

Weder traditionelle Rituale noch massenmediale Celebrity lösen das Problem der Inkompatibilität zwischen Monarchie und Demokratie. Der Widerspruch bleibt. Charles III. wird weiterhin den symbolischen Balanceakt suchen müssen. Neuere politikwissenschaftliche Umfragen bei den unzähligen Trauernden um die Queen haben ein erstaunliches Ergebnis gezeigt. Die meisten empfinden nicht Trauer, sondern "Gratitude" (Dankbarkeit). Charles hat bereits begonnen, mit dieser Ressource zu arbeiten. Mit seinem Sohn Prinz William hat er sich bei den Untertanen in die Warteschlange zum Sarg seiner Mutter gemischt, und ihnen Mut zugesprochen.

Paula Diehl

Paula Diehl ist Professorin für Politische Theorie, Ideengeschichte und Politische Kultur an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Ihre Schwerpunkte sind Demokratietheorie, Populismus, Politik und Medien.

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