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Titelthema

Vertrauen und Misstrauen

Titelthema - Vertrauen und Misstrauen
In unruhigen Zeiten präsentiert sich der Bundesadler als stolzer Wächter der Demokratie. © DPA Picture-Alliance / Daniel Kalker

Angriffe auf die demokratische Ordnung nehmen zu. Über ihre Stärken und Schwächen und die entscheidende Rolle der Zivilgesellschaft.

Paula Diehl01.04.2020

Der Schleier des Corona-Virus hat uns in den letzten Wochen einiges ausblenden lassen. Doch es ist nicht so lange her, dass die Wackelpartie in Thüringen der Öffentlichkeit gezeigt hat, wie sehr die Demokratie von Demokraten abhängt. Die Attentate in Hanau und Halle führten uns vor Augen, wie labil die demokratische Ordnung sein kann und dass rassistisch diskriminierte Gruppen physisch stark gefährdet sind. Nun sind die Aufregungen des letzten Monats inzwischen in den Hintergrund getreten. Aber sie geben nach wie vor den dringenden Anlass, über den Zustand der Demokratie nachzudenken. Sie zeigen auf unterschiedliche Weisen, dass das friedliche demokratische Leben sowohl Institutionen und Politiker als auch eine Zivilgesellschaft, Bürgerinnen und Bürger braucht, die sich dafür einsetzen.

Im ersten Fall, also bei den Geschehnissen um die Wahl des Ministerpräsidenten in Thüringen, stellt sich die Frage nach dem demokratischen Handeln von politischen Vertretern. Sicherlich gehört das Ergreifen von Opportunität zur Politik. Aber zur demokratischen Politik gehört mehr, als die Chance zu nutzen, an die Macht zu kommen und diese zu erhalten. Nicht jede Opportunität ist ratsam, und Machtsicherung ist keine Garantie für eine demokratische Politik. Im Fall der terroristischen Attentate sind die Fragen anders gelagert. Wie kann man verhindern, dass antidemokratische Gruppierungen die demokratische Ordnung gefährden? Ab wann fängt diese Gefahr an? Und wie kann die Zivilgesellschaft zur demokratischen Lebensweise beitragen? In beiden Fällen werden die Grenzen der Demokratie getestet.

Nun überlagern sich die Faktoren, die die Demokratie unter Druck setzen: die Krise der demokratischen Repräsentation, das Aufkommen des Populismus und die zunehmende Normalisierung antidemokratischer Ideologeme aus dem rechtsradikalen Spektrum. Das Problem ist: Diese Faktoren treten in miteinander verwobener Form auf. Sie zu verstehen kann dabei helfen, die Schwächen, aber auch die Resilienz der Demokratie zu ergründen.

Krise der Repräsentation

Die Krise ist der Demokratie inhärent. Sie gehört zum demokratischen Design, denn die repräsentative Demokratie beruht auf zwei gegensätzlichen Prinzipien: Zum einen stützt sie sich auf die Volkssouveränität, also auf die Macht des Volkes. Zum anderen aber ist die moderne Demokratie eine repräsentative. Sie funktioniert nur, wenn die Bürgerinnen und Bürger Repräsentanten wählen, die an ihrer Stelle entscheiden und handeln. Diese zwei Prinzipien stehen im Spannungsverhältnis. Das Volk hat zwar die Macht, übt sie aber nicht aus, sondern delegiert sie an die politischen Repräsentanten, die de facto regieren. Damit die Balance hält, braucht die Demokratie Mechanismen, die den Austausch zwischen Regierung und Zivilgesellschaft garantieren. Es bedarf des Austauschs zwischen den Bürgern und ihren Repräsentanten. Partizipative Mechanismen können auch einen Ausgleich bieten. Funktioniert diese Balance nicht, wird die Krise der Repräsentation nicht mehr zur Herausforderung, sondern zum Problem.

Es gibt Faktoren, die die Krise vertiefen. Dazu gehören Finanzkrisen und die Zunahme von ökonomischer Ungleichheit, die Krise der politischen Institutionen und Volksparteien sowie das Legitimationsdefizit der Repräsentationsverfahren in supranationalen Institutionen wie etwa in der EU. Sie generieren bei den Bürgern das Gefühl, von ihren Vertretern nicht gehört und repräsentiert zu werden. Besonders brisant ist die Situation, wenn politische Institutionen nicht mehr in der Lage sind, die Interessen der Bürger zu vertreten und Zukunftsvisionen zu entwerfen. Der Politikwissenschaftler Collin Crouch hat auf die Erosion demokratischer Institutionen aufmerksam gemacht, die die repräsentative Demokratie zur Postdemokratie führt. In diesem Zustand bleiben die Institutionen zwar erhalten, doch sie funktionieren nicht mehr demokratisch. Stattdessen werden sie von ökonomischen Interessen getrieben. Begleitet wird diese institutionelle Krise von der Krise der Parteien. Mit zunehmendem Bröckeln von sozialen Milieus, Flexibilisierung und Prekarisierung der Arbeit sowie mit der Fragmentierung der Öffentlichkeit haben Volksparteien es besonders schwer, sich zu positionieren und ihre Wähler zu erreichen. Die Repräsentation der Bürger kann nicht mehr von ihnen garantiert werden. Schließlich kann man von einer Krise der Kommunikation zwischen Repräsentierten und Repräsentanten sprechen, bei der sich beide Seiten dermaßen voneinander entfernt haben, dass sie unterschiedliche Sprachen sprechen und verschiedene Lebensrealitäten erleben. Damit entfällt die notwendige Schnittmenge für die demokratische Repräsentation und die Bürger erleben ihre Vertreter als fremd.

Populismus und Rechtspopulismus

In diesem Kontext trifft der Populismus den Kern der Krise. Er prangert die Entfremdung der Repräsentanten gegenüber den Repräsentierten und die Unfähigkeit der politischen Institutionen, im Interesse der Bürger zu funktionieren, an und wirft den etablierten Parteien vor, keine demokratischen Visionen zu entwickeln. Er setzt etablierte Parteien mit der Elite gleich und wirft ihnen vor, dem Volk seine Souveränität zu rauben. Aber der Populismus ahnt die Erosion der politischen Institutionen und klagt die mangelhafte Vertretung des Volkes an, verlangt nach mehr Rechenschaft der politischen Repräsentanten und mehr Partizipation. Allerdings sind diese Forderungen diffus, unartikuliert und pauschal. Beim Verlangen nach mehr Rechenschaftspflicht schlägt der Populismus keineswegs neue Prozeduren der Kontrolle politischer Vertreter vor, sondern lediglich den Ersatz der etablierten Parteien durch die populistische Führerperson und Partei, und unter Partizipation sind keineswegs Verfahren der Selbstorganisation der Bürger gemeint, sondern Referenda, die auf vorgegebene Fragen mit „Ja“ oder „Nein“ antworten und akklamatorisch wirken können.

Die Wirkung des Populismus auf die Demokratie ist ambivalent. Seine Tendenz, Tabus zu brechen, manichäisch zu denken und zu dramatisieren dient nicht gerade der Verständigung und sachlicher Auseinandersetzung. Populismus macht die Diskussion laut und polarisierend. Das Gemeinwohl kann dabei als Ziel verloren gehen. Besonders problematisch ist die Gleichsetzung der Stimme der populistischen Führer mit der Stimme des Volkes, die jede Aussage von populistischen Akteuren legitimiert, nach dem Motto „vox populi, vox dei“. Trotzdem trifft der Populismus den Kern der Repräsentationskrise und kann zu Korrekturen beitragen, indem er an die Volkssouveränität erinnert, den kritischen Geist der Bürger weckt und die Zivilgesellschaft politisiert.

Wenn aber die populistische Kritik den Kern der Krise trifft, verschiebt der Rechtspopulismus diesen. Rechtspopulismus ist eine besondere Mischung aus Populismus und rechtsradikalen Ideologien. Er trägt ein zentrales antidemokratisches Ideologem in sich: die Zugehörigkeit zum Volk wird nicht nur gegenüber der Elite definiert, wie im Fall anderer Populismusformen, sondern vor allem gegenüber vermeintlichen Fremden, die den „Volkskörper“ angreifen können. Rassismus, Xenophobie, Gender-, kulturelle und religiöse Diskriminierungen dienen dabei der Abgrenzung des Volks von seinen Feinden. Diese exklusivistische Volkszugehörigkeit etabliert eine Hierarchie zwischen Gruppen der Gesellschaft und unterminiert das demokratische Gleichheitsprinzip. Der Kern der Krise, also das Problem der demokratischen Repräsentation des Volkes und der Anliegen der Bürger, wird auf die Beseitigung der Fremden hin verschoben.

Antidemokratische Ideologien

Nun ist Populismus besonders medienkompatibel. Populismus ist hochemotional, simplifiziert Sachverhalte, hat eine manichäische Struktur, dramatisiert und personalisiert die politische Debatte. All diese Elemente finden ihr Pendant in der Logik der Massenmedien. Ob online oder offline, Massenmedien sind Kanäle der Simplifizierung und brauchen eine gewisse Emotionalisierung und Dramatisierung, um die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zu ziehen, Personalisierung inklusive. Ihre Aufmerksamkeitslogik privilegiert außerdem unerwartete Ereignisse, Skandale und Tabubrüche. Rechtspopulisten haben daher einen Vorteil, denn sie bedienen die Kriterien der Medien. Rassistische, xenophobe oder sexistische Sprüche sind effektive Mittel, um die Medienaufmerksamkeit zu wecken, denn sie sind Tabubrüche. Trump zeigt, wie es geht. Die massenmediale Dynamik hat einen Nebeneffekt. Rechtsradikale Ideologeme verbreiten sich durch die massenmediale Überexposition des Rechtspopulismus und werden teilweise normalisiert. Schon Niklas Luhmann hat vor dem Gewöhnungseffekt der Massenmedien gewarnt. Was man häufig hört und sieht, gehört irgendwann zur Normalität und wird immer weniger hinterfragt. Für die Demokratie bedeutet die Überexposition des Rechtspopulismus zweierlei: Zum einen können rechtsextreme Ideologeme normalisiert und die Grenzen des Sagbaren und Machbaren verschoben werden. Zum anderen sind rechtspopulistische Akteure dazu gezwungen, immer stärker den demokratischen Konsens zu verletzen, um weiterhin die Aufmerksamkeit der Massenmedien auf sich zu ziehen. Sie radikalisieren sich.

Das Problem ist, dass die etablierten Parteien dieser Dynamik hilflos gegen- überzustehen scheinen. Ein typisches Beispiel ist die sogenannte „Angst vor Fremden“. Rechtsextremismusexperten kennzeichnen Xenophobie als eines der wichtigsten rechtsextremen Ideologeme. Nach der Pegida-Reaktion auf die Öffnung der Grenzen für Flüchtlinge im Jahr 2015 zog eine paternalistische Haltung in die Parteienlandschaft ein, wonach man „die Angst der Menschen ernst nehmen“ wollte. Damit war die Angst der Menschen vor Fremden gemeint. Es gibt hier einige Verwechslungen: Erstens handelt es sich nicht um Menschen im Allgemeinen, die Ängste haben – dies wäre eine Aufgabe für Psychologen –, sondern um Bürger, die das Recht auf die Repräsentation ihrer Anliegen haben. Zweitens ist die sogenannte Angst vor Fremden nichts anderes als eine emotionale Übersetzung von Xenophobie. Grenzt man sich nicht davon ab, trägt man zur Normalisierung von Xenophobie bei.

Die Grenzen der Demokratie

Angesichts der Normalisierung antidemokratischer Ideen und der Gewaltbereitschaft rechtsextremer Gruppierungen ist diese Frage keineswegs rhetorisch gemeint. Demokratie ist nicht nur eine politische Ordnung, sie ist auch ein Gesamtprojekt der Gesellschaft. Wenn das demokratische Leben nicht mehr gelebt wird, die Bürger keine Möglichkeiten zur Repräsentation und politischen Beteiligung finden, entstehen Lücken für antidemokratische und sogar totalitäre Bewegungen. Dies zu verhindern setzt eine politisch-institutionelle und eine gesamtgesellschaftliche Arbeit voraus. Politische Institutionen und Politiker, aber auch zivilgesellschaftliche Organisationen, Bürger und Medienmacher sind aktive Akteure der Demokratie. Institutionell gilt es, den Rahmen für demokratische Interaktionen und den Raum für Repräsentation und Beteiligung der Bürger zu schaffen. Politiker müssen die Anliegen der Bürger ernst nehmen und sie zum offenen Dialog einladen, aber sie müssen zugleich darauf achten, nicht Teil der Normalisierung rechtsextremen Denkens zu werden. Medienmacher haben eine besondere Verantwortung: Selbstkritik und Sorgfalt in der Setzung diskursiver und emotionaler Rahmung. Diese Selbstkritik gilt auch für die Bürger. Rassismus und Diskriminierung fangen oft mit einem Witz an. Es braucht immer jemanden, der dem widerspricht. Es ist nicht gesichert, dass die demokratische Lebensweise weiterhin erhalten bleibt, aber es lohnt sich, sich dafür einzusetzen.

Paula Diehl

Paula Diehl ist Professorin für Politische Theorie, Ideengeschichte und Politische Kultur an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Ihre Schwerpunkte sind Demokratietheorie, Populismus, Politik und Medien.

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