https://rotary.de/gesellschaft/gegen-sich-selbst-a-17077.html
Forum

Gegen sich selbst

Forum - Gegen sich selbst
© Klaus Vedfelt/Getty Images

Fünf bis zehn Millionen Deutsche leiden an einer oft rätselhaften Autoimmunerkrankung. Müssen Betroffene eine Covid-19- Infektion besonders fürchten?

Fabian Heizmann, Ulrich R. Fölsch und Dieter Kabelitz01.12.2020

Autoimmunerkrankungen sind keine Seltenheit: Jährlich erkranken Tausende Menschen völlig unverschuldet und oft folgenschwer, meistens aus heiterem Himmel und im besten Lebensalter. Der Formenkreis der autoimmunen Erkrankungen, der nach seinem bekanntesten Vertreter oft auch als „rheumatisch“ bezeichnet wird, reiht sich an dritter Stelle der weltweit häufigsten Erkrankungen ein – Tendenz weiter steigend. Dennoch werden Autoimmunerkrankungen in der Gesellschaft weiterhin als Randerscheinung wahrgenommen. Die Symptome, mit denen sich dieses rätselhafte Sammelsurium aus rund 80-100 Diagnosen präsentiert, sind vielfältig und bedeuten für zahlreiche Betroffene erhebliche Einschränkungen im Alltag – und für einige letztendlich den Tod.

Häufige Autoimmunerkrankungen

Zu den häufigsten Autoimmunerkrankungen zählen die Schuppenflechte (Psoriasis), die mit juckenden und schuppenden Hautveränderungen einhergeht, die rheumatoide Arthritis, welche im Zusammenhang mit schmerzhaften Gelenkschwellungen diagnostiziert wird, und die Hashimoto-Thyreoiditis, eine Schilddrüsenfunktionsstörung, die bei Betroffenen zu dauerhafter Müdigkeit und zu Gewichtszunahme führt. Auch bei der „Zuckerkrankheit“ Diabetes Typ-1, welche meist schon im Kindesalter in Erscheinung tritt, handelt es sich um eine Autoimmunerkrankung. Einige Autoimmunerkrankungen, wie etwa die Multiple Sklerose (MS), betreffen das Nervensystem und können zu dauerhaften Bewegungseinschränkungen führen oder auch – wie die seltene Myasthenia gravis – in manchen Fällen zum Tod.

Unser Körper verfügt über ein Abwehrsystem in Form von weißen Blutkörperchen, welche eingedrungene Erreger wie Bakterien und Viren bekämpfen. Ein Teil dieses Abwehrsystems setzt sich aus charakteristischen Immunzellen, den sogenannten T- und den Antikörper produzierenden B-Lymphozyten zusammen. Diese spezifischen Wächter werden in der Thymusdrüse (T-Zellen) und im Knochenmark (B-Zellen) auf das Erkennen und Bekämpfen fremder Antigene trainiert, welche sich auf Zellbestandteilen der Erreger befinden (adaptives Immunsystem). Beim gesunden Organismus werden die Immunzellen durch sogenannte regulatorische T-Zellen (Treg) so kontrolliert, dass sie normalerweise nicht den eigenen Körper angreifen (siehe Abbildung). Im Falle von Autoimmunerkrankungen wird das adaptive Immunsystem fatalerweise auf die Antigene von körpereigenen Strukturen abgerichtet und der Körper bekämpft sich selbst – es entsteht die sogenannte Autoimmunität oder Selbstimmunität. Hierbei funktionieren oft die regulatorischen T-Zellen nicht mehr regelhaft. Die Folge ist eine entzündliche Zerstörung oder Beeinträchtigung des jeweils attackierten Gewebes durch zu viele Entzündungsbotenstoffe (Zytokine) und zytotoxische Zellen, was im Fall der Psoriasis zu schuppigen Zelluntergängen der Haut führt, bei Diabetes Typ 1 zum Organversagen der Bauchspeicheldrüse oder bei der Multiplen Sklerose zu teilweise irreversiblen Schäden an Hirn und Rückenmark. Warum dies geschieht und unter welchen Umständen sich Autoimmunität als Erkrankung manifestiert, ist trotz intensiver Forschungsbemühungen in vielen Aspekten weiterhin unklar.

Auslöser und Risikofaktoren

Grundsätzlich ist die Wahrscheinlichkeit, an einer Autoimmunerkrankung zu erkranken, im Einzelfall nicht vorhersagbar. Es gibt jedoch einige wichtige Faktoren, etwa bestimmte Genvarianten, zum Beispiel in den sogenannten HLA-Genen (Human Leukocyte Antigen), weibliches Geschlecht oder Umweltfaktoren wie Stress, virale Infektionen und Schwangerschaft, welche die Entwicklung von Autoimmunität statistisch begünstigen. Weltweit nimmt die Zahl der Neuerkrankungen jährlich zu – wobei die sich in den letzten Jahrzehnten verändernden Lebensbedingungen eine Rolle spielen.

Die prinzipiell einheitliche Entstehung von Autoimmunerkrankungen, die im Detail hochkomplex ist, hat über die Jahre zu einer standardisierten Behandlungsstrategie geführt, nämlich der Unterdrückung des körpereigenen Abwehrsystems durch Medikamente, sogenannte Immunsuppressiva. Kortison hat sich hierbei einen Stammplatz erobert.

Bahnbrechende Therapieerfolge wurden in den vergangenen Jahren aber zum Beispiel durch den Einsatz sogenannter Biologicals wie Tumornekrose-Alpha-Blocker (TNF-α-Blocker) erzielt,hochmoderne und teure Medikamente, die entzündungsfördernde Moleküle gezielt hemmen und vielen Patienten eine signifikante Verbesserung der Lebensqualität beschert haben. Jedoch kann nicht allen Patienten geholfen werden und die eigentliche Ursache der Erkrankungen, die Autoimmunität, kann derzeit nicht geheilt werden. Weiterhin hat die immunsuppressive Therapie einen hohen Preis – durch die Unterdrückung des Abwehrsystems erhöht sich für Patienten das Risiko für die Entwicklung schwerwiegender Infektionen.

Umso verständlicher ist es, dass sich derzeit Millionen von Deutschen mit Autoimmunerkrankung im Angesicht der Coronapandemie die Angst einer zusätzlichen Gefährdung aufdrängt. Aufgrund der aktuellen wissenschaftlichen Datenlage ergibt sich, unter Vorbehalt, jedoch eine vorläufige Entwarnung. Aktuelle Studien sowie die Daten mehrerer tausend Patienten aus einem europäischen und einem weltweiten Register lassen für keine einzelne Autoimmunerkrankung oder spezifische Therapie ein besonderes Risiko für eine Sars-CoV2-Infektion im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung erkennen. Lediglich die Einnahme von mehr als zehn Milligramm Prednison pro Tag war bislang mit einer höheren Wahrscheinlichkeit eines Klinikaufenthalts verbunden.

Interessante Beobachtung

Andererseits kann die Covid-19-Infektion per se auch zu Autoimmunreaktionen führen – im Rahmen der Infektion können große Mengen der gleichen Entzündungsbotenstoffe (wie etwa TNF-α) produziert werden, die auch bei Patienten mit Autoimmunerkrankungen an der Gewebezerstörung beteiligt sind. Patienten mit Autoimmunerkrankungen sollten sich an die allgemein geltenden präventiven Maßnahmen (zum Beispiel das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes) halten, haben jedoch keine strikteren Schutzvorkehrungen als die Allgemeinbevölkerung zu treffen. Die Entscheidung über die Weiterführung einer immunsuppressiven Therapie im Falle einer Sars-CoV2-Infektion sollte in jedem Fall im engen Austausch mit den behandelnden Ärzten erfolgen. Dies stellt sowohl Patienten als auch Experten vor bislang unbekannte Herausforderungen. Interessanterweise gibt es aber aus dem Universitätsklinikum Erlangen die Beobachtung, dass die erwähnten TNF-α-Blocker sogar einen positiven Einfluss auf die Coronainfektion haben können, weil der Botenstoff TNF-α eine wichtige Rolle bei der im Rahmen der Covid-19-Erkrankung auftretenden Entzündung spielt.

Georg Schett, Direktor der Medizinischen Klinik 3 am Universitätsklinikum Erlangen, sagt: „In einer großen Antikörperstudie konnte gezeigt werden, dass Patienten mit Autoimmunerkrankungen wie Rheumatoide Arthritis, entzündliche Darmerkrankung (Morbus Crohn) oder Schuppenflechte trotz gleicher Exposition ein deutlich niedrigeres Risiko einer Sars-CoV-2-Infektion aufwiesen, wenn sie mit TNF-α-Blockern oder anderen Hemmern von Entzündungsbotenstoffen behandelt wurden. Dabei dürften solche Therapien zwar nicht verhindern, dass das Virus in Körperzellen eindringt, allerdings wird die vorher bereits erwähnte, oft überschießende und krankmachende Immunreaktion des Körpers auf das Virus durch diese Therapien wohl abgeschwächt.“

Ausblick

Nach HIV und Krebs, bei denen immense Forschungsanstrengungen zu teilweise bemerkenswerten Fortschritten in der Behandlung geführt haben, werden nun seit wenigen Jahren zunehmend auch die Autoimmunerkrankungen in der Öffentlichkeit als weit verbreitete und damit gesellschaftlich relevante Erkrankungen wahrgenommen. Dennoch – und gerade deshalb – besteht hier der dringende Bedarf an weiteren Forschungserkenntnissen und verbesserten Behandlungskonzepten, um diesen komplexen Erkrankungen in den kommenden Jahren und Jahrzehnten mit wirkungsvollen Therapien begegnen zu können.


Die Deutsche Autoimmun-Stiftung:

Die Deutsche Gesellschaft für Autoimmunerkrankungen e.V. wurde 1999 von Karl-Manfred Richter (RC Kiel) unter der Schirmherrschaft des ehemaligen Präsidenten der Deutschen Arbeitgeberverbände Dr. Klaus Murmann (RC Kiel) gegründet mit dem Ziel, ein gemeinsames Forum für alle Autoimmunerkrankungen zu schaffen, um interdisziplinär Wissensaustausch, Fortbildung und Forschung zum Wohl der betroffenen Patientinnen und Patienten zu fördern. Ergänzend wurde 2012 die Deutsche Autoimmun-Stiftung gegründet. Die Stiftung verfolgt allein gemeinnützige Zwecke und finanziert sich ausschließlich aus Spenden.

www.autoimmun.org/aktuelles-stiftung

Fabian Heizmann, Ulrich R. Fölsch und Dieter Kabelitz

Dr. med. Fabian Heizmann (oben rechts) ist Assistenzarzt für Innere Medizin im Krankenhaus Barmherzige Brüder in München und verfasst regelmäßig kurze Beiträge für die Homepage der Deutschen Autoimmun-Stiftung zu aktuellen Entwicklungen in der Diagnostik und Therapie von Autoimmunerkrankungen.
Prof. Dr. med. Ulrich R. Fölsch (links)RC Kiel, war langjähriger Direktor der Klinik für Innere Medizin I am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein. Ebenso war er bis vor kurzem langjähriger Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin und ist stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Autoimmun-Stiftung.
Prof. Dr. med. Dieter Kabelitz (unten rechts), RC Kiel, ist emeritierter Direktor des Instituts für Immunologie der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel im Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (Campus Kiel). Kabelitz ist Vorsitzender der Deutschen Autoimmun-Stiftung und der Deutschen Gesellschaft für Autoimmunerkrankungen (DGfAE) e.V. Kontakt: dietrich.kabelitz@uksh.de