Kolumne
Gelassenheit ist Bürgerpflicht
Manche spüren schon einen Hauch von Weimar in der Bundesrepublik – diese Epoche begann mit der Ausrufung der Republik am 9. November 1918 und endete mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933. Sie war geprägt von Kriegsfolgelasten, Hyperinflation und Wirtschaftskrisen – und einem sich brutalisierenden Streit zwischen Links- und Rechtsradikalen.
Nein, der Ludergeruch dieser unglückseligen Vorphase zur Katastrophe deutscher Geschichte liegt nicht in Luft. Historische Parallelen gibt es nicht. Bis auf eine: Eine Verschärfung der politischen Auseinandersetzung. Da brennen Asylbewerberheime, gegen Flüchtlinge wird auf gemeine Art und Weise protestiert. Die andere Seite ist nicht weniger grob, auch wenn vorsichtiger darüber berichtet wird: Autos von Politikern werden angezündet, ein Mob liefert der Polizei Straßenschlachten, Parteiveranstaltungen werden gesprengt. Ein „Kampf gegen Rechts“ dient manchen als Legitimation für Schlägereien und Pöbeleien. Der Einzug der AfD in insgesamt acht Landtage gilt als Beweis für den „Rechtsruck“ in Deutschland.
Wir sollten uns auf solches Gerede nicht einlassen. Die demokratischen Institutionen des Landes werden von niemandem infrage gestellt außer von einigen isolierten Spinnern. Die übergroße Mehrheit der Bürger steht zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit – das war in der Weimarer Republik anders, grundlegend anders. Die Verfassungsmäßigkeit der NPD wird geprüft – einer Splitterpartei, über die die Wähler längst ihr Urteil gesprochen haben.
Politische Debatten um grundlegende Fragen schaden nicht der Demokratie – sie machen sogar ihren Wesenskern aus. Im Bundestag herrscht eher zu viel als zu wenig Harmonie – das ist die Folge einer sehr großen Großen Koalition und der Tatsache, dass wegen der Fünf-Prozent-Hürde fast zehn Prozent der Wählerstimmen nicht im Hohen Haus repräsentiert werden: FDP und AfD. Ein parteienübergreifender Mitte-Links-Konsens schafft eine trügerische Harmonie und weitgehende Übereinstimmung, die außerhalb so nicht geteilt wird. Das ist
in der Frage der Euro-Rettung so, und das wiederholt sich in der Flüchtlingsdebatte, die keine des Bundestags ist.
Die Arena der Politik hat sich aus dem Bundestag in die Talk-Shows des Fernsehens verlagert. Dort geht es weniger gesittet, häufig grob und oft manipulativ zu. Nicht jeder, der die Ausgestaltung der Einwanderungspolitik kritisiert, ist ein Ausländerfeind. Gemeinsam sollten wir den Gebrauch eines Wortes streng limitieren: Nazi. Ich kenne niemanden, der diese Zeit gutheißt oder wiederholen will. Wer dieses Wort gedankenlos um sich wirft wie Konfetti, erreicht das Gegenteil: Die ungeheuren Verbrechen werden verharmlost. Auch Begriffe können inflationiert, also entwertet werden. In dieser aufgeregten Phase ist nicht Ruhe, aber Gelassenheit erste Bürgerpflicht und rhetorische Abrüstung.