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Interview

„Geld allein schießt noch immer keine Tore“

Interview - „Geld allein schießt noch immer keine Tore“
Als amtierender Weltmeister und Confed-Cup-Sieger steht der deutsche Fußball seit Jahren an der Weltspitze. Doch die Konkurrenz hat aufgeholt. © Simon Prades

Im Gespräch mit Friedrich Curtius über die Grundlagen eines modernen erfolreichen Fußballs

01.06.2018

Herr Curtius, auf der Ebene der Nationalmannschaft ist Deutschland Weltmeister, auf Vereinsebene herrscht – nachdem der FC Bayern nun zum sechstenmal in Folge Deutscher Meister geworden ist – beinahe Langeweile. Wo steht für Sie der deutsche Fußball?
Der deutsche Fußball ist nach wie vor in der Weltspitze. Wir sind nicht nur Weltmeister, sondern auch im vergangenen Jahr Confed-Cup-Sieger geworden. Allerdings stellen wir fest, dass in den letzten Jahren die Konkurrenz aufgeholt hat. Dass zum Beispiel unser WM-Gruppengegner Schweden in der Qualifikation zuerst die Niederlande und dann Italien ausgeschaltet hat, zeigt, wie eng die Weltspitze ist.
Im deutschen Clubfußball gibt es in der Tat eine große Dominanz des FC Bayern München. Doch diesen Erfolg – zu dem auch gehört, dass die Bayern zur Weltspitze des Vereinsfußballs zählen – kann man ihnen schwerlich vorwerfen. Wir müssen vielmehr überlegen, wie auch andere Vereine so stark werden, dass sie eines Tages um die Meisterschaft mitspielen können. Und ich bin hoffnungsvoll, dass wir in den nächsten Jahren wieder einen spannenderen Meisterkampf erleben werden.

Worauf stützen Sie diese Hoffnung?
Es gibt einige Vereine wie zum Beispiel Hoffenheim und Leipzig, die eine sehr gute Arbeit leisten und gute Talente entwickeln. Wenn diese Entwicklung nachhaltig ist, dann werden diese Mannschaften auch die Früchte ihrer Arbeit ernten und irgendwann um den Meistertitel mitspielen.

In Hoffenheim und Leipzig haben kapitalkräftige Investoren den Anschub finanziert, um die Vereine überhaupt auf den Weg zu bringen. Ist das die einzige Chance, um den Rückstand zur Spitze aufzuholen?
Durchaus nicht. Schauen Sie nach Schalke: Da hat der junge Trainer Domenico Tedesco in nur einem Jahr eine Mannschaft, die im Vorjahr im Mittelfeld der Liga war, zum Vizemeister gemacht und in die Champions League geführt. Und das ohne große Transfers; ganz im Gegenteil hatte Tedesco zu Beginn der Saison sogar den Weltmeister Benedikt Höwedes aussortiert.
Es gilt also weiter: Geld allein schießt keine Tore. Wichtig ist, in gute Strukturen zu investieren und Talente zu entwickeln. Natürlich kann wirtschaftliche Stärke Voraussetzungen schaffen, um besonders talentierte Spieler zu werben. Aber es ist nicht so, dass der sportliche Erfolg nur über finanzstarke Investoren möglich ist.

Leipzig und Hoffenheim stehen Traditionsvereine wie Nürnberg und Köln gegenüber, die in den letzten Jahren ständig zwischen der 1. und der 2. Liga pendeln. Auch der Bundesliga-Dino HSV ist nun erstmals abgestiegen. Diese Vereine und ihre Anhänger grenzen sich zum Teil scharf ab von den Investorenclubs, in dem sie auf ihre große Tradition pochen. Aber steht nicht, wenn man sich die sportliche Bilanz vieler Traditionsclubs anschaut, die eigene Geschichte manchem Verein auch im Wege?
Grundsätzlich schließen Tradition und Erfolg einander nicht aus. Bayern München ist ja nicht nur der erfolgreichste deutsche Verein, sondern auch einer der traditionsreichsten. Wichtig ist, dass ein Club beim Rückblick auf seine stolze Vergangenheit nicht die Grundlagen eines modernen erfolgreichen Fußballs aus den Augen verliert. In Hoffenheim und Leipzig sind ganz einfach sehr gute Leute am Werk, die kluge Konzepte entwickelt und eine attraktive Infrastruktur geschaffen haben.


Zur Person

Dr. Friedrich Curtius, RC Frankfurt am Main-Skyline, ist Generalsekretär des Deutschen Fußballbundes.


dfb.de


 
Was gehört für Sie zu einer guten Infrastruktur?
Dazu gehören u.a. attraktive Trainingsbedingungen sowie Möglichkeiten, die Persönlichkeit eines Sportlers auch außerhalb des Platzes weiterzuentwickeln. Deshalb darf zum Beispiel die schulische Ausbildung bei jungen Fußballern nicht vernachlässigt werden. Darüber hinaus gehört natürlich auch ein modernes Stadion dazu, wenn man ganz nach oben will. Ohne geht es nicht, und zwar nicht nur aus Sicherheitsgründen, sondern auch aus Gründen der Vermarktungsmöglichkeiten der Vereine. Nicht zu vergessen ist auch eine exzellente Scouting-Abteilung, die Talente entdeckt, bevor sie zu Stars werden und dann für viele Vereine unbezahlbar sind.

Auch der DFB plant gerade ein Kompetenzzentrum: die Fußballakademie, die ab Herbst in Frankfurt gebaut werden soll. Was soll diese Akademie leisten?
Wir wollen in Frankfurt eine Akademie etablieren, in der der Fußball weiterentwickelt wird. Wir wollen lernen und wir wollen Wissen weitergeben. Wir wollen die Ausbildung der Trainer und Schiedsrichter optimieren, aber auch unserer Nationalmannschaft ein eigenes Zuhause geben. Die Fußballakademie soll ein Zentrum der Vernetzung und der Begegnung werden – zum Beispiel mit anderen Sportarten oder auch mit spannenden Unternehmen –, von dem der ganze deutsche Fußball profitieren soll. Oliver Bierhoff, der diese Idee vorangetrieben hat, spricht immer vom „Silicon Valley des Fußballs“. Wir wollen sportwissenschaftliche Trends erforschen und diese in der praktischen Anwendung überprüfen und dann, wenn sie erfolgreich sind, in alle Bereiche des Sports einbringen.

Zum Thema Entwicklung gehört auch das Geschäft mit dem Sport. Vor kurzem ist in den Medien darüber berichtet worden, dass FIFA-Präsident Gianni Infantino intern ein Milliarden-Angebot asiatischer Investoren für neue Liga-Formate präsentiert hat. Wie steht der DFB dazu?
An diesen Überlegungen möchte ich mich nicht mit Spekulationen beteiligen. Ich kenne die Pläne nicht im Einzelnen. Insofern müssen wir abwarten, was davon sich wie realisieren wird.

Aber droht nicht eine Überlastung der Spieler, wenn zu den vielen Vereinswettbewerben und Länderspielen weitere Wettkämpfe hinzukommen?
Die Zahl der Spiele, die ein Spitzenspieler heutzutage in einer Saison hat, ist in der Tat sehr hoch. Es gibt aber auch Sportarten, in denen es noch mehr Spiele gibt, zum Beispiel beim Basketball oder Eishockey. Neben der Gesundheit der Spieler müssen wir uns sicher auch fragen, ob das Produkt Fußball durch neue Wettbewerbsformate tatsächlich attraktiver wird. Aber wie gesagt:  Ich kenne die Pläne und Überlegungen der FIFA nicht. Und deshalb weiß ich auch nicht, ob am Ende mehr Spiele stehen werden.

Vor einigen Tagen hat der Auftritt der Nationalspieler Mesut Özil und Ilkay Gündogan, die mit „ihrem Präsidenten“ Recep Tayip Erdogan posiert und ihm ein signiertes Trikot überreicht hatten, für viel Wirbel gesorgt. Wie steht der DFB dazu?
Wir haben diese Aktion intensiv diskutiert und unser Präsident Reinhard Grindel hat unmittelbar angesprochen, dass wir diese Aktion und das, was dahintersteht, nicht für gut heißen. Auch unser Bundestrainer hat es als einen Fehler bezeichnet. Die beiden Spieler haben in einem intensiven Gespräch mit unserer Verbandsspitze hierzu Stellung bezogen, sie haben anschließend auch mit dem Bundespräsidenten über ihre besondere Situation als deutsche Nationalspieler mit türkischen Wurzeln gesprochen.

Ein zweiter Vorfall war die Weigerung Russlands, dem ARD-Journalisten Hajo Seppelt ein Visum für die Reise zur Weltmeisterschaft zu gewähren.
Auch hier hat unser Präsident klar Stellung bezogen und daran erinnert, dass die FIFA von der russischen Regierung Garantien bekommen hat, u.a. auch in bezug auf die Visa-Freiheit für Journalisten. Reinhard Grindel hat persönlich bei Präsident Infantino gesagt, dass wir erwarten, dass Hajo Seppelt nach Russland einreisen kann. Dies hat sicherlich auch dazu beigetragen, dass die Behörden ihre Haltung noch einmal überdacht und Seppelt letztlich die Einreise bewilligt haben.

Zu guter Letzt: Wie lautet Ihr Tipp für die bevorstehende Weltmeisterschaft in Russland?
Ich sehe einen Favoritenkreis aus Frankreich, Spanien, Brasilien, Argentinien und Deutschland, vielleicht auch mit Außenseiterchancen England.
Ich hoffe natürlich, dass es uns gelingen wird, ein erfolgreiches Turnier zu spielen und möglichst lange in Russland zu bleiben.