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Gedanken zu einer aktuellen Metapher

»Global Commons« oder »Tragedy of the Commons«?

Joachim Radkau02.04.2012

Im Jahr 1968, das durch Studentenproteste von Berlin bis Berkeley legendär wurde, veröffentlichte Garrett Hardin, Biologe und Humanökologe an der University of California, einen Essay, der dem Anarcho-Sozialismus der „Achtundsechziger“ ins Gesicht schlug: „The Tragedy of the Commons“ („Die Tragödie der Allmende“). Da wird die alte Allmende der Dorfwälder und Dorfweiden zum Prototypen des bedrohten Ökosystems Erde. Der Grundgedanke ist von suggestiver Einfachheit und entspricht der Logik des „Gefangenendilemmas“, des egoistischen Verhaltens  isolierter Häftlinge, die einander wechselseitig an den Galgen bringen. Da der Mensch, möchte er auch selber gerne altruistisch sein, sich auf den sozialen Sinn der anderen nie verlassen kann, verhält er sich dann am rationalsten, wenn er egoistisch handelt und aus Gemeingütern so viel wie möglich herausholt. Natürlich werden diese dadurch auf lange Sicht ruiniert; aber wenn man dies so oder so zu befürchten hat, ist der eigene Nutzen noch am ehesten gesichert, wenn man nur an sich selbst und das Hier und Jetzt denkt. Manche mögen sich moralisch verhalten; aber insgesamt übertrumpfen die Skrupellosen die Gutmenschen.

Gegenüber seinem Freund David Brower, einem Vorkämpfer der Wildnis und Gründervater der amerikanischen Umweltbewegung, bekannte sich Hardin für seine Person zu einer selbstlosen Naturliebe: Obwohl er Beinschienen tragen musste und nicht wandern konnte, wollte er lieber darauf verzichten, die Wildnis zu sehen, als Straßen dorthin zu haben, über die die Auto-Lawine in die Stille der Natur rollte. Aber er hielt es für eine Illusion, bei der Masse der Menschen eine solche Selbstlosigkeit vorauszusetzen. Seine Konsequenz: Allein der Zwang vermag die natürlichen Ressourcen zu schützen. Daher sind überall durchgreifende Kontrollinstanzen nötig, ob private oder staatliche. Es liegt in der Natur der Sache, dass Gemeingüter heruntergewirtschaftet werden.

Grundspannungder Umweltbewegung
Hardins Essay gehört zu den Gründertexten des amerikanischen environmentalism und ist seit-her weltweit berühmt und berüchtigt geworden. Er wirft ein Schlaglicht auf eine Grundspannung in der Umweltbewegung von Anfang bis heute: Auf der einen Seite bezog diese viel vitale Kraft aus Bürgerinitiativen, aus der zivilen Selbstorganisation, und war von dem Streben nach Demokratisierung und Kooperation getragen; auf der anderen Seite bekam sie von Anfang an auch wesentliche Impulse von staatlichen Instanzen und war es jedem, der politisch dachte, stets klar, dass ein  flächendeckender Umweltschutz nicht ohne staatlichen Zwang zu erreichen ist. Diese Grundspannung bricht immer wieder auf, ob in Deutschland oder anderswo; sie hat sich noch in keiner Theorie aufgelöst.

Hardins These schlägt die Brücke von der historischen Allmende zu den global commons der Gegenwart; unter Historikern fand sie jedoch kaum Beachtung. Für den, der sich in der Agrar- und Forstgeschichte auskennt, ist sie ein ganz alter Hut: Sie tut nichts weiter, als die Polemik der Reformer vor zweihundert Jahren zu wiederholen, die nicht müde wurden, die bäuerliche Allmende mit Hohn und Spott zu überschütten und deren Aufteilung in Privatland zu propagieren: „Quod communiter posseditur, communiter neglegitur“ („Was gemeinsam besessen wird, wird gemeinsam vernachlässigt“). Diese ursprünglich aristotelische Polemik gegen den Kommunismus der platonischen Polis gehört zu den Gemeinplätzen der Agrar- und Forstreformer. Die „gemeinen Weiden“ werden den „gemeinen Huren“ gleichgestellt, die jeder nach Lust missbrauche und verderbe. Die klapperdürren Allmendekühe geistern mit kläglichem Muhen durch die Schriften jener Agrarreformer, die die Stallfütterung durch Anbau von Futterpflanzen auf der bisherigen Brache und Allmende predigen.

Die besondere Wut vieler Reformer richtete sich auf die Allmendewälder: Da habe man am krassesten vor Augen, wie der Gemeinbesitz die Natur verderbe. Bis heute nehmen viele Forsthistoriker, von Quellenkritik unbeleckt, diese Klagen für bare Münze und unterteilen die gesamte Waldgeschichte in zwei Großepochen: das Jahrtausend der von bäuerlicher Borniertheit verursachten Waldverwüstung und ab 1800 das glorreiche New Age der unter der Regie wissenschaftlich geschulter Forstleute eingeführten nachhaltigen Forstwirtschaft. Erst in jüngster Zeit wurde mehr und mehr entdeckt, dass viele alte Klagen interessengebunden waren und unter „gutem Wald“ einen Wald mit maximalem Nutzholzertrag verstanden – das war die Sicht der landesherrlichen Forstverwaltungen und großen Holzhändler. Alte Allmendewälder dagegen, wo sie erhalten sind, entzücken heutige Ökologen.

Beschränkte Analyse
Die allermeisten Quellen spiegeln die Sicht der Forstämter: Das ist das Problem! Aber wer gründlich sucht, findet auch andere Ansichten. Schon die aufständischen Bauern von 1525 beteuern, die von ihnen geforderte Rückgabe der Wälder an die Gemeinden würde nicht, wie von oben behauptet, deren Verwüstung zur Folge haben, da die von der Gemeinde gewählten Aufseher den Holzschlag überwachten. Immer wieder trumpfen Gemeinden damit auf, dass ihre eigenen Wälder, die sie selbst kontrollierten, in besserem Stande seien als die landesherrlichen, die unfähigen und korrupten Forstleuten unterstünden, die ihre Wälder nur vom „Oberförsterweg“ aus zu sehen bekämen. Das „Gefangenen-Dilemma“ passt ganz und gar nicht auf Dörfer, wo jeder jeden kennt, man sich wechselseitig kontrolliert und die Bauern nach der Kirche im Wirtshaus zusammensitzen. Diese waren zu rabiaten Sanktionen fähig, wenn einer grob gegen die Regeln verstieß. Im Weistum der Hülseder Mark an der Weser heißt es: „Wenn einer eine Eiche köpft, was soll dessen Strafe sein? Dem soll man den Kopf abhauen und an die Stelle setzen.“ Dick Grove und Oliver Rackham, streitbare britische Verfasser einer „ökologischen Geschichte“ des Mittelmeerraums, verhöhnen Hardins tragedy of the commons: „Dieser verderbliche Begriff wurde von einem Amerikaner erfunden, der keine Ahnung hatte, auf welche Weise Allmenden tatsächlich funktionieren.“ Die englische Agrarhistorikerin Joan Thirsk weist darauf hin, dass als Folge der Allmende-Teilungen die alte Gewohnheit, „die Dinge auf faire Art mit dem Nachbarn zu teilen, nachließ, und jeder Haushalt in sich eine Insel wurde“. Das sei eine der größten Revolutionen im Leben der Menschen gewesen – und keine durchweg erfreuliche.

Elinor Ostrom, Professorin für Politikwissenschaft an der Indiana University, hat in jahrzehntelanger Arbeit eine Gegenposition zur Hardin-These aufgebaut und dafür 2009 als erste Frau den Nobelpreis für Ökonomie erhalten: Durch die Kombination von lokalhistorischer Empirie und modelltheoretischer Logik demonstrierte sie, dass eine nachhaltige Bewirtschaftung natürlicher Ressourcen auf genossenschaftlicher Grundlage sehr wohl möglich ist. Ihre anschaulichsten Beispiele bezog sie aus Schweizer und japanischen Bergdörfern. Ihr Grundton ist ganz frei von schwärmerischem Utopismus, sondern nüchtern-analytisch; sie leugnet nicht, dass unter ungünstigen Bedingungen eine tragedy of the commons sehr wohl eintreten kann. Jene Dorfgemeinschaften, in denen ein nachhaltiger Umgang mit der Allmende funktioniert, sind keine Anarcho-Kommunen, wo alles nächtelang durcheinander diskutiert, sondern strukturierte Gebilde, die ihre Regeln, ihre Aufseher und ihre Sanktionen haben. Besonders kritisch ist der Punkt, dass sie imstande sein müssen, Fremde aus der Allmende herauszuhalten. Darüber hinaus erkennt man bei ihr stillschweigende Prämissen: dass die Allmende überschaubar ist, die Bevölkerungszahl stabil gehalten wird und als Garant der Ordnung eine übergeordnete Autorität existiert.

Die umstrittenste Frage ist die, ob sich ein solches Modell von der alten dörflichen Allmende auf die gesamte heutige Welt übertragen lässt und es Sinn hat, von den global commons zu reden – oder ob auf globaler Ebene Garrett Hardin eben doch Recht hat. Diejenigen, für die die „Allmende“ zum neuen Zauberwort avanciert ist, sind optimistisch; aber selbst bei Elinor Ostrom bemerkt man ein Zögern. Kein Wunder; denn ihre Allmende-Kriterien treffen auf das „Ökosystem Erde“ nicht zu. Sie erklärt denn auch die Erdatmosphäre nicht einfach zur „globalen Allmende“, sondern plädiert vorsichtiger in Sachen Klimapolitik für einen „polycentric approach“. Da einstweilen keine Aussicht auf eine Weltregierung besteht und es sehr fraglich ist, ob man sich eine solche überhaupt wünschen soll, verpufft auch der Hardinsche Ansatz auf globaler Ebene ins Leere (sofern er sich nicht die USA als allmächtigen Weltpolizisten denkt). Kein Zweifel: Zur Lösung globaler Probleme müssen neue Formen kollektiven Handelns erfunden werden.

Joachim Radkau
Joachim Radkau ist Emeritus der Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie der Universität Bielefeld. Zuletzt erschien „Geschichte der Zukunft: Prognosen, Visionen, Irrungen in Deutschland von 1945 bis heute“, (Carl Hanser Verlag, 2. Auflage 2017). joachim-radkau.de