Titelthema
Kaiserliche Furchen
Wo Menschen lebten, wurde geackert, wo geackert wurde, wurde gepflügt. Eine kleine Kulturgeschichte des Pflugs – von Virgil bis zur Gegenwart.
Seit die Menschen Landwirtschaft betreiben, bearbeiten sie den Boden. Bescheiden und doch unverzichtbar waren ihre ersten Werkzeuge. Grabstock, Furchenzieher und Hacke heißen die frühen Helfer, doch mehr als eine Oberflächenbearbeitung ermöglichten sie nicht. Die Einführung gespanngezogener Haken markiert einen großen Fortschritt. Die Flächenleistung stieg, und etwas tiefer in die Erde drangen die Geräte auch ein. Belege für den Einsatz von Gespannhaken finden sich bei den alten Ägyptern ebenso wie an vielen Orten Europas. Mal sind es Felsritzzeichnungen, mal Artefakte, die Hinweise auf die sich entwickelnde Agrikultur liefern. Um Pflüge handelt es sich dabei allerdings nicht. Pflüge schneiden, lockern, lüften, krümeln und wenden die Erde so, dass sie Kraft entwickelt für große Ernten. Mit diesem Potenzial ist der Pflug ein wahrer Tausendsassa, ein Hightech-Produkt, für dessen Perfektionierung die Menschheit Jahrtausende gebraucht hat und die im 21. Jahrhundert keineswegs abgeschlossen ist.
Schweres Gerät, davor ein Ochse
Wann und wo der erste Pflug zum Einsatz gekommen ist, wissen selbst die Aratologen nicht. Mal wird der Pflug von Aurich genannt, mal Virgils Pflug, mal der gallische Plaumoratum. Um jedes dieser und vieler weiterer Geräte ranken sich Geschichten, die vor allem eins zeigen: Der Pflug ist etwas ganz Besonderes. Nimmt man den Plaumoratum, so zählt Plinius zu seinen Gewährsleuten. Er berichtete von einem in Gallien, der Kornkammer Roms, entwickelten gespanngezogenen Bodenbearbeitungsgerät, das über ein herzförmig ausgebildetes Schar verfügt haben soll. Interessant ist die Bezeichnung „Plaumoratum“ auch für Etymologen. Einige erkennen in dem Begriff die Wörter „ploum“ und „rat“ und schlagen die Brücke zum mittelhochdeutschen „plug met rat“. Das aber ist nichts anderes als der Pflug mit Rad beziehungsweise der Räderpflug. Zuzutrauen war dies den Galliern. Auf großen Feldern betrieben sie einen intensiven Getreidebau, für dessen Ernte sie die erste Getreidemähmaschine der Geschichte, den „Gallischen Mähwagen“ konstruiert haben. Auch die Arbeit mit dem Plaumoratum war revolutionär. Das zuvor übliche Hin- und Herackern („in traverso“) wurde abgelöst durch die Arbeit in langen Reihen. Furche wurde nun an Furche gelegt und deckte schließlich den Boden komplett ab. Was den ungeliebten Beikräutern schadete, kam den Nutzpflanzen zugute. Die Ernten stiegen und genau das war das Ziel.
In der Völkerwanderungszeit geriet das Wissen von leistungsfähigem Ackerbau der Antike in Vergessenheit. Paulus Diaconus berichtete in seiner Historia Langobardorum: „Man sah das Jahrhundert in das alte Schweigen zurückfallen. Man hörte keine Stimmen auf den Feldern, kein Pfeifen eines Hirten. Die Ernte blieb liegen, die Weiden verwandelten sich in Begräbnisstätten der Menschen und die Wohnungen in Schlupfwinkel der wilden Tiere.“ Das Chaos war allgegenwärtig, doch so, wie das Chaos eine neue Ordnung gebiert, so begannen die Menschen wieder zu ackern. Beetpflüge erwiesen sich als vorteilhaft, und in dem Maße, wie die Bevölkerung anwuchs, wurden die Geräte größer und schwerer. Es gibt zeitgenössische Darstellungen von Pflügen mit vier Ochsen im Vorspann, auch fand Eisen bei den arbeitenden Teilen der Pflüge, Schar und Radvorgestell, zunehmend Verwendung. Die Praxis hatte gezeigt, dass schwere Geräte tiefer in die Erde eindrangen, untere und obere Badeschichten besser vermischten und so größere Ernten bewirkten.
Mit dem Pferd nach Osten
Wissenschaftlich begründen konnten die Menschen dies nicht, aber die Erfahrung sprach eine deutliche Sprache. Dies zählte um so mehr, da die Bevölkerung rasant anwuchs. Sollten alle Menschen satt werden, bedurfte es der Intensivierung nach innen und des Landausbaus nach außen. Bei beidem war der Pflug gefragt. Die Parole „etwas unter den Pflug nehmen“ entstand bei den Ostkolonisatoren, die vom Kurischen Haff über Ungarn bis zum Kaspischen Meer sesshaft wurden. Auch hieß es: „Rodung macht frei“. Die Arbeit mit dem Pflug, so schwer sie war, schaffte Freiheit – und das war der Traum vieler Menschen.
Dabei fiel auf, dass immer häufiger Pferde vor den Pflug gespannt wurden. Die Erfindung des Kummets und das Beschlagen der Hufe mit Eisen machten es möglich, die im Vergleich zu den Ochsen stärkeren und schnelleren Pferde vermehrt bei der Pflugarbeit einzusetzen. Pferdepflügen war die hohe Schule und blieb leistungsstarken Bauern vorbehalten. „Was ein Bauer ist, zeigt sich beim Pflügen“, hieß es auf dem Lande.
In der Frühen Neuzeit weitete sich der Horizont der Menschen. Reformation, Buchdruck, Entdeckung Amerikas seien beispielhaft genannt. Auch der Pflug leistete seinen Beitrag. Gewaltig war das Projekt des Regensburger Künstlers Peter Opel. Ende des 16. Jahrhunderts konstruierte er ein „Pflugmonstrum“ mit sage und schreibe 92 Zugpferden im Vorspann und 26 Pferdeführern. Auch dieses Projekt eilte der Zeit weit voraus, wobei heutzutage Traktor-Pflug-Kombinationen mit 92 PS eher Standard sind.
Ungleich nüchterner verliefen die Fortschritte bis zur Industrialisierung. Zu den Beetpflügen kamen Kehr-, beziehungsweise Wendepflüge. Sie ermöglichten ein direktes Zurückpflügen, was mit Zeitersparnis verbunden war. Auch ersetzten niederländische Pflugbauern den schwerfälligen Vorderkarren durch eine einfache Schleifstelze, beziehungsweise ein einzelnes Stelzrad. Leichter handhabbar wurde der Pflug dadurch – den Bauern konnte es nur recht sein. Noch einen Schritt weiter ging der schottische Uhrmacher James Small. Ihm ist 1763 die Konstruktion eines weitgehend aus Eisen gefertigten Schwingpflugs zu verdanken, mit dem ohne Umstände 15-18 Zentimeter tief gepflügt werden konnte. Sicher tat das der Erde weh, doch sie hatte ein Einsehen und lieferte zuvor ungekannte Ernten ab.
Dazu passte, dass die Monarchen das Pflügen für sich entdeckten. Friedrich dem Großen wird der Ausspruch: „Die Landwirtschaft ist die erste aller Künste (...) . Nur das ist wahrer Reichtum, was die Erde hervorbringt“, zugeschrieben. Kaiser Joseph II. beließ es nicht bei Worten. 1769, anlässlich einer Reise durch Mähren, übernahm er von einem Bauern den Pflug und zog „kaiserliche Furchen.“ Das kam einer Revolution gleich, denn es geschah nicht im Verborgenen. Jeder Fortschritt beim Pflügen wurde nun kommuniziert. Pflügende Bauern, die über Jahrhunderte die Schwere der Arbeit beklagt hatten, fühlten sich geadelt. Kein Wunder, dass Wettbewerbspflüger sangen: „Das schönste Wappen in der Welt, ist der Pflug im Ackerfeld“.
Damit war der Boden bereitet, doch die wahre Krönung der Pflügerei setzte Mitte des 19. Jahrhunderts mit der Entwicklung der Dampfpflügerei ein. Tonnenschwere, hundert und mehr PS starke Maschinen wurden so mit mächtigen Kipp-Pflügen inszeniert, dass ungeahnte Pflugleistungen sowohl in der Fläche als auch in der Bearbeitungstiefe möglich wurden – und das bei extremer Bodenschonung. Fast schien es so, als sei die Quadratur des Kreises bei der Bodenbearbeitung gelungen. Wer Zweifel hat, sei auf den schwäbischen Dichter-Ingenieur Max Eyth (1836– 1906) verwiesen. In dessen Romanen wird das Hohelied der Dampfpflügerei gesungen, das bis in die Gegenwart nachhallt.
Die Traktoren-Pflügerei schließt nahtlos daran an. Größer, schneller, besser lautet die Maxime – und das nicht nur in Deutschland und Österreich. Pflügen ist international geworden und nichts für kleine Geldbeutel. Große Pflugkombinationen können durchaus bis zu einer halben Million Euro kosten. Sie schaffen die Voraussetzung für große Ernten und helfen, die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren.
Dr. Klaus Herrmann leitete das Deutsche Landwirtschaftsmuseum der Universität Hohenheim von 1988–2012. In dieser Zeit wuchs die Ausstellungsfläche des Museums von 1600 auf 5700 Quadratmeter. Jahr für
Jahr zieht es rund 16.000 Besucher an.