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Titelthema

Grüße aus Paris

Titelthema - Grüße aus Paris
2004: Die Stunde der Offiziere ist ein semidokumentarischer Spielfilm mit Harald Schrott in der Rolle Stauffenbergs (2.v.l.). Die Szene zeigt Adolf Hitler über dem Lageplan im Führerhauptquartier „Wolfsschanze“ © Adolph Press/Monet

Nur wenig bekannt ist die Geschichte Cäsar von Hofackers. Von Paris aus bereitete er den Anschlag und die Neuordnung mit vor.

Valerie Riedesel Freifrau zu Eisenbach01.07.2024

Kein bloßer Mitläufer, sondern treibende Kraft“, „Kopf des Widerstands in Paris“, „eine der wesentlichen Figuren für die Vorbereitung des Anschlags“ – so urteilte die Gestapo nach dem 20. Juli 1944 über Cäsar von Hofacker, meinen Großvater. Dabei stützte sie sich auf seine Aussagen und ihre eigenen Ermittlungen, die mit umso größerem Nachdruck geführt wurden, als das eigene Versagen im Vorfeld des Staatsstreichversuchs immer offensichtlicher zutage trat.

Mein Großvater war ein direkter Vetter der Stauffenberg-Brüder. Er gehörte seit 1940 zum Stab des deutschen Militärbefehlshabers in Paris. Die brutale Frankreich-Politik der NS-Führung brachte ihn sehr schnell in einen inneren Konflikt zu einem Regime, das er zunächst als Hoffnungsträger für Deutschland begrüßt hatte. Er musste die völlig überzogenen Forderungen einer Besatzungsmacht vertreten, die das Land ausbeutete, seine Arbeitskräfte nach Deutschland zwangsverpflichtete, seine Bürger als Geiseln erschoss und die jüdische Bevölkerung in Konzentrationslager deportierte. Aus seiner Abwehr wurde heimliche Opposition und schließlich – dank der Verbindung zu dem sich neu formierenden Verschwörerkreis in Berlin – ab 1943 Widerstand.

Paris galt als wichtiger Nebenschauplatz, da von Frankreich aus die Kapitulationsverhandlungen mit den Alliierten geführt werden sollten. Widerstandsplanung an der Seine bedeutete, die Militärverwaltung mit ausreichend vertrauenswürdigen Leuten zu durchsetzen, SS und Gestapo auszuschalten und das militärische Oberkommando im Westen dazu zu bewegen, die Invasionsfront in der Normandie für Engländer und Amerikaner zu öffnen. Die ersten beiden Punkte gelangen, sodass der Umsturz in Paris am 20. Juli 1944 oft als positives Gegenbeispiel zu Berlin genannt wird. Es lag sicherlich nicht nur an einer guten Vorbereitung, sondern vor allem an der Überschaubarkeit der Maßnahmen im Vergleich zur Reichshauptstadt und an der kompromisslosen Handlungsbereitschaft des deutschen Militärbefehlshabers General Carl-Heinrich von Stülpnagel.

Doch das entscheidende letzte Ziel erreichten sie nicht. Der Oberbefehlshaber West, vage in eine Verschwörung eingeweiht, ließ sich nach dem Scheitern des Attentats nicht überzeugen, eigenmächtig mit einer Kapitulation im Westen vollendete Tatsachen zu schaffen. „Ja, wenn das Schwein tot wäre“, soll Günther von Kluge zu Stülpnagel und Hofacker gesagt haben, die in den dramatischen Abendstunden des 20. Juli 1944 noch einmal versucht hatten, den Feldmarschall umzustimmen.

Hofacker hatte im September 1943 eine Art Alibi-Funktion beim deutschen Militärbefehlshaber in Paris übernommen als Verbindungsmann zwischen dem militärischen Stab und der weitgehend zivil besetzten Verwaltungs- und Wirtschaftsabteilung. Auf diesem Posten konnte er, ohne Argwohn zu erregen, mit jedem in Kontakt treten, sich jederzeit mit Stülpnagel besprechen und im Auftrag des Generals nach Berlin reisen. Es war die perfekte Tarnung für seine Widerstandsvorbereitungen, die er sehr viel unauffälliger angehen konnte, als dies für den Militärbefehlshaber, die Nummer eins im besetzten Frankreich, möglich gewesen wäre. Mein Großvater widmete sich mit der ihm eigenen Leidenschaft dieser Aufgabe – was ihm auch nach dem 20. Juli 1944 von Heinrich Himmler höchstpersönlich bescheinigt wurde. Auf einer Rede vor Gauleitern in Posen sagte der Reichsleiter SS, Hofacker sei „der fanatischste Defaitist und Pessimist, den ich kennengelernt habe. (...) Leider ist er so fanatisch, dass er es wirklich versteht, auch andere in den Pessimismus hineinzuziehen.“

Seine Überzeugungskraft hatte er auch am Abend des 16. Juli 1944 eingesetzt, als der innerste Kreis um die Brüder Stauffenberg in deren Haus in der Berliner Tristanstraße zum letzten Mal zusammentraf. Ein erster Versuch, die Bombe in der „Wolfsschanze“ zu zünden, war am Vortag gescheitert. Noch einmal stellte sich die entscheidende Frage: Sollte man wirklich den so riskanten Weg des Attentats gehen, oder gab es noch andere Möglichkeiten, den Staatsstreich durchzuführen? Hofacker drängte auf jeden Fall zur Tat – und zwar so schnell wie möglich. Er hatte wenige Tage zuvor ein Vieraugengespräch mit Erwin Rommel geführt und brachte die klare Einschätzung des Feldmarschalls mit, dass sich die deutsche Front in der Normandie nur noch kurze Zeit halten könne. Welchen Grund aber sollten die Alliierten nach einer Niederlage haben, mit den deutschen Verschwörern in irgendwelche Verhandlungen zu treten?

Klares Bekenntnis zur Menschlichkeit

Allen Beteiligten in dieser Runde war bewusst: Gelang das Attentat, würden vermutlich die meisten Deutschen die dann notwendige bedingungslose Kapitulation als Verrat am Vaterland sehen, überzeugt, dass Hitler die Kriegsgeschicke doch noch hätte wenden können. Aber wenigstens wäre dann das sinnlose Blutvergießen beendet, der Terror und Rassenwahn und die Zerstörung deutscher Städte. Stauffenberg war kriegsversehrt, hatte nur noch ein Auge und einen Arm, doch nur er kam in Hitlers Nähe und war bereit, das Attentat durchzuführen. Vor allem aber fehlte dem darauf anschließenden Staatsstreich die Unterstützung der hohen Generäle mit Befehlsgewalt über die Truppe. Jeder der Männer wusste um das hohe persönliche Risiko, das sie für sich und ihre Familien eingingen.

Bis heute tun wir uns schwer, die Beweggründe für dieses verzweifelte Handeln richtig einzuordnen. Hitler selbst verbreitete schon wenige Stunden nach dem Anschlag die Mär von egoistischen Motiven eines abservierten Offiziersklüngels – und diese Lesart hat sich nach dem Krieg in unterschiedlichen Gesellschaftsschichten lange gehalten. Auf den Vorwurf des Verrats folgte eine Idealisierung des „anderen, besseren Deutschlands“ und schließlich die kritische Durchleuchtung der Widerstandskämpfer ob ihrer früheren Überzeugungen und ihrer Einstellung zur Demokratie. Die intensive gesellschaftspolitische und wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Widerstand war und ist notwendig, um ihn von einer Verdammung, Heroisierung und auch Instrumentalisierung zu befreien. Es bleibt nicht aus, dass ein solcher Prozess vom jeweiligen Zeitgeist geprägt ist, und sicherlich tragen genau diese sehr unterschiedlichen Sichtweisen zu einem umfassenderen Gesamtbild bei. Das darf jedoch die wichtigste und grundlegende Tatsache nicht überlagern: Die von ihrer Herkunft und politischen Überzeugung so unterschiedlichen Männer und Frauen des Widerstands wollten unter höchstem persönlichen Einsatz Deutschland von einer Tyrannei des Schreckens befreien. Ihr Mut, ihr klares Bekenntnis zu Menschlichkeit, Verantwortlichkeit und Rechtsstaatlichkeit, ihre Fähigkeit zu Umkehr und gegenseitiger Toleranz macht sie für uns zu Vorbildern, wenn wir uns heute für unsere Demokratie einsetzen.


 

Cäsar von Hofacker, 11.03.1896 – 20.12.1944, stellte die Verbindung zwischen den Gruppen der militärischen Opposition in Paris und Berlin her. Nachdem das Attentat auf Hitler misslungen war, wurde er in Paris verhaftet und im August zum Tode verurteilt.

 

 

 


 

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© Piper

 

Valerie Riedesel Freifrau zu Eisenbach

Der Flieger im Widerstand: Cäsar von Hofacker, das StauffenbergAttentat und der Umsturz in Paris

Piper 2024, 320 Seiten, 22 Euro

 

 

Valerie Riedesel Freifrau zu Eisenbach

Valerie Riedesel Freifrau zu Eisenbach studierte Geschichte in Straßburg und Paris und arbeitete als Journalistin. Heute führt sie mit ihrem Mann einen landwirtschaftlichen Betrieb auf Rügen. Sie ist Kuratoriumsvorsitzende der Stiftung 20. Juli 1944.

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