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Die Deutschen und die US-Präsidenten

Guter »Ami« – böser »Ami«?

Seit dem Bekanntwerden der umfassenden Überwachung des Internets durch US-Geheimdienste wird über die Konsequenzen für die deutsch-amerikanischen Beziehungen debattiert. Doch auch schon vorher diagnostizierten Beobachter eine leichte Abkühlung in den transatlantischen Beziehungen. Die folgenden Beiträge fragen, wie es um das deutsch-amerikanische Verhältnis tatsächlich steht – und welches Interesse wir daran haben.

16.01.2014

Es gibt US-Präsidenten, die von den Deutschen nahezu vergöttert werden – egal was sie tun. Und es gibt US-Präsidenten, die von den Deutschen nahezu gehasst werden – egal was sie tun.

In die Kategorie der geliebten Präsidenten gehört ohne Zweifel John F. Kennedy. Seitdem er 1963 vor dem Schöneberger Rathaus seine „Ich-bin-ein-Berliner“-Rede hielt, gehören ihm die Herzen der meisten Deutschen. Dass Kennedy zuvor zum Mauerbau nicht nur geschwiegen hatte, sondern den Russen signalisierte, dass er gegen eine Abriegelung der Zonen-Grenze nichts unternehmen würde, wenn die Präsenz der US-Truppen und die Freiheit West-Berlins unangetastet blieben, hat seiner Popularität nie geschadet. Auch dass Kennedy im April 1961 mit der CIA und einigen Exilkubanern versuchte, in der Schweinebucht zu landen, um das Castro-Regime zu stürzen; dass er während der Kuba-Krise im Oktober 1962 in einer Fernsehansprache mit einem Atomkrieg drohte, wenn die Russen nicht ihre Raketen von der Karibik-Insel abzögen; oder dass er maßgeblich zur Eskalation des Vietnam-Kriegs beitrug, indem er die Zahl der als „Militärberater“ entsandten US-Soldaten in Südvietnam von gut 700 auf über 16.000 erhöhte und Ende 1961 gar dem Einsatz von Napalm und Entlaubungsgiften zustimmte – das alles haben ihm die sonst so pazifistischen Deutschen nie angelastet. Bis heute wird Kennedy – das zeigte sich zuletzt im November 2013 anlässlich des 50. Jahrestages seiner Ermordung – in Deutschland beinahe kritiklos als Hoffnungsträger einer neuen Zeit gefeiert.

Intellektueller Hochmut

Zu den Präsidenten, die ein überwiegend schlechtes Image in Deutschland haben, gehört Ronald Reagan. Vor allem die Intellektuellen im Land der Dichter und Denker rümpfen immer noch gern die Nase über den „Schauspieler im Weißen Haus“, den plumpen Antikommunisten, der die Sowjetunion für das „Reich des Bösen“ hielt. Reagan gilt hierzulande als Förderer des SDI-Programms; als Unterstützer zahlreicher anti-kommunistischer Regime und Banden in Mittel- und Südamerika oder auch der Mudschaheddin in Afghanistan; und nicht zuletzt als derjenige, der – zusammen mit Bundeskanzler Helmut Schmidt – die Pershing-II-Raketen in der Bundesrepublik stationierte und das Wettrüsten mit dem Ostblock einleitete. Dass sich dieser US-Präsident kontinuierlich um Deutschland bemühte, wird ihm hierzulande kaum angerechnet. Reagans Checkpoint-Charly-Visite im Juni 1982 mit Schmidt ist praktisch vergessen; seine historische Rede am Brandenburger Tor am 12. Juni 1987, in der er den sowjetischen Parteichef Michail Gorbatschow aufforderte, nach Berlin zu kommen und die Mauer einzureißen, wird kaum noch gewürdigt.

Dass die Deutschen das Engagement von US-Präsidenten für ihr Land nicht unbedingt danken, zeigt auch das Beispiel des George Bush senior. Als dieser am 12. Mai 1989 – also deutlich vor dem Beginn der Flüchtlingswelle aus der DDR – bei seinem Antrittsbesuch als US-Präsident in Mainz dazu aufrief, die Teilung Europas und Deutschlands zu beenden, blieb das Echo mehr als verhalten. Zum Star der politischen Wende – und bis heute zu einem ihrer beliebtesten Politiker – wurde für die Deutschen hingegen Michail Gorbatschow. Natürlich wäre ohne die Zustimmung der Sowjetunion die Wiedervereinigung nicht möglich gewesen. Doch gehört es auch zu den Tatsachen, dass Gorbatschow sich sein Ja zur deutschen Einheit und zum Abzug der Roten Armee durch Milliardenzahlungen an die Sowjetunion abkaufen ließ – während die Amerikaner lediglich den Wunsch äußerten, dass auch das vereinte Deutschland Mitglied der NATO bleiben möge – was durchaus im deutschen Interesse lag.

Bis heute populär bei den Deutschen ist wiederum Bill Clinton. Dabei fielen auch in seine Amtszeit Kriege und militärische Programme. Eines davon war der „National Missile Defense Act of 1999“ – der Nachfolger des SDI-Programms, wegen dessen Ronald Reagan zu seiner Zeit als noch „Sternenkrieger“ bezeichnet worden war. Im gleichen Jahr war Clinton verantwortlich für den NATO-Einsatz im Kosovo-Krieg. Ohne jedes völkerrechtliche Mandat wurde gegen die damalige Bundesrepublik Jugoslawien (heute Serbien) ein Krieg begonnen. Dass dabei u.a. auch die chinesische Botschaft in Belgrad bombardiert und zivile Opfer als „Kollateralschaden“ bezeichnet wurden, wurde zwar im Einzelfall heftig kritisiert, jedoch nie dem Präsidenten persönlich angelastet. Auch dass Clinton während seiner gesamten Amtszeit wiederholt Luftwaffeneinsätze gegen den Irak fliegen ließ, sobald dieser gegen UN-Auflagen verstieß, brachte ihm nie den Ruf eines Kriegstreibers ein.

Zweierlei Maß

Ganz anders bei Clintons Nachfolger George Bush junior. Ihm werden bis heute wirklich alle – tatsächlichen oder vermeintlichen – Verfehlungen angelastet: die Alleingänge im Irak-Krieg nach dem 11. September 2001 ebenso wie seine unklugen Drohungen mit einem „Kreuzzug“ gegen den islamistischen Terrorismus. Bei keinem anderen Präsidenten ist es derart auffällig, wie bei der Bewertung seiner Politik mit zweierlei Maß gemessen wird. Während Bush immer noch der Auftritt seines Außenministers Colin Powell angelastet wird, der vor dem UN-Sicherheitsrat falsches Beweismaterial über irakische Chemiewaffen präsentierte (das übrigens aus einer vom BND geführten Quelle stammte), wird seinem Vorgänger Bill Clinton die Tatsache, dass auch das militärische Eingreifen in Jugoslawien mit einer unwahren Begründung legitimiert worden war (dem angeblichen „Hufeisenplan“ der Serben), nicht angekreidet.

Geradezu das Paradebeispiel für eine selektive Bewertung der US-Politik ist die Gegenüberstellung Bushs mit seinem Nachfolger Barack Obama. Während die in der Bush-Ära erfolgte Einrichtung eines Sondergefängnisses in Guantanamo als ein Verstoß gegen elementare Rechtsgrundsätze der USA und des Völkerrechts scharf kritisiert wurde, blieb die Kritik an seinem Nachfolger, der die Schließung Guantanamos zu einem zentralen Wahlkampfversprechen gemacht hatte und das Gefängnis bis heute betreibt, weitgehend aus. Ebenso lau ist die Kritik an der von Obama vollzogenen Änderung der Kriegsführung hin zum Einsatz bewaffneter Drohnen. Dass der Träger des Friedensnobelpreises von 2009 inzwischen tausende Menschen durch anonyme Bombardements töten ließ – ohne Feststellung ihrer individuellen Schuld durch ein Gericht und ohne eine parlamentarische Debatte über den Sinn dieses unerklärten Krieges – tat seiner Popularität in Deutschland bisher keinen Abbruch. So klang in der SPIEGEL-Schlagzeile zum Fazit der ersten Amtszeit des Präsidenten immer noch viel Empathie mit: „Schade. Obamas missglückte Präsidentschaft“. Und die ZEIT überschrieb eine Titelseite vor seiner Wiederwahl mit den Worten „Trotz allem: Ein Held“. Erst als im vergangenen Jahr herauskam, dass US-Geheimdienste seit Jahren nahezu das gesamte Internet überwachen, waren die Deutschen auch von Obama enttäuscht. Doch sogleich äußerten Kommentatoren einhellig, dass der Präsident wohl kaum etwas davon gewusst haben dürfte.

Woher kommt diese ambivalente Haltung gegenüber den führenden Repräsentanten der Vereinigten Staaten? Dass man dem einen für Militärschläge „entschlossenes Handeln“ attestiert – und dem anderen bei gleichen Taten „Isolationismus“ vorwirft? Wenn sich die US-Präsidenten in ihrer Außenpolitik wenig unterscheiden, die Deutschen aber höchst unterschiedlich auf sie reagieren, sagt dies vielleicht mehr über die Deutschen aus als über die Staatsmänner auf der anderen Seite des Atlantiks.

Der Historiker Fritz Stern hat – in einem etwas anderen Zusammenhang – einmal darauf hingewiesen, wie das im Zweiten Weltkrieg besiegte Deutschland nach 1945 in Amerikas Bann geriet: „Die neue Freundschaft zwischen Siegern und Besiegten begann zu einer Zeit, als Deutschland in Ruinen lag, moralisch vernichtet war, wirtschaftlich am Boden, geistig bankrott – und Amerika sich im Zenit seiner Macht befand.“ Vielleicht, so Stern, hatte Präsident Kennedys „Ich bin ein Berliner“ deshalb so einen elektrisierenden Effekt, weil damit die stillschweigende Identifikation so vieler Deutscher mit Amerika erwidert wurde.

Sind also die zuweilen übertrieben euphorischen Jubelstürme für Kennedy und Obama einfach nur die Folge einer Über-Identifikation mit dem großen Partner jenseits des Atlantiks? Dafür spricht das fast schon hysterische Mitfiebern in Deutschland mit dem Kandidaten Barack Obama während der letzten beiden Wahlkämpfe für das Weiße Haus – so als ob es unser Präsident war, der dort gewählt wurde.

Bewunderung und Ernüchterung

US-Präsidenten haben aus deutscher Sicht den Vorteil, dass man ihnen – im Gegensatz zu den eigenen Kanzlern – nicht bei den Mühen des täglichen Regierens zuzusehen braucht. Es reicht offenbar, wenn hin und wieder ein begnadeter Rhetoriker über den „großen Teich“ kommt und ein paar warme Worte spendet. Nur so erklärt sich das Erstaunen, mit dem die deutsche Öffentlichkeit während des letzten Wahlkampfs 2012 zur Kenntnis nehmen musste, dass in Amerika die Strahlkraft des Präsidenten Obama nach einer Amtszeit spürbar nachgelassen hatte.

Aber wie ist die Ablehnung, ja Verachtung für manch andere US-Präsidenten zu werten? Ist es einfach nur die Enttäuschung darüber, dass jene offenbar weniger rhetorisch brillierten, und manchmal einfach nur offener über Realpolitik sprachen? Oder steckt dahinter vielleicht auch die Emanzipation von dem irgendwann als übertrieben empfundenen Jubel zuvor? Tatsache ist, dass sich alle bisherigen US-Präsidenten in ihrer Außenpolitik nur marginal voneinander unterschieden: Sie haben „geerbte“ Kriege ihrer Vorgänger ebenso fortgesetzt wie deren Friedensbemühungen. Dabei fällt die Bilanz naturgemäß für den einen besser und für den anderen schlechter aus (wie im übrigen auch bei den Bundeskanzlern, englischen Premierministern oder französischen Präsidenten). Doch eines hatten alle Präsidenten gemein: Sie betrieben Außenpolitik für die Vereinigten Staaten – nicht für Deutschland – und taten dabei das, was sie zusammen mit ihren Beratern als ihrem Lande dienlich ansahen.

Die zuletzt oft zu hörende Diagnose, dass sich die deutsch-amerikanischen Beziehungen entemotionalisiert haben, bietet vielleicht die Gelegenheit, nicht mehr jeden US-Präsidenten so zu feiern – oder zu verdammen – als ob es der eigene Regierungschef wäre, sondern vielmehr zu analysieren, was er tatsächlich leistet. Vielleicht ist dann die deutsche Öffentlichkeit auch in der Lage, nüchtern zu sehen, dass gute Beziehungen zu den Vereinigten Staaten immer noch in unserem Interesse liegen – unabhängig davon, wer gerade in Washington regiert.