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Faszination Adel

Hauptsache, es glitzert und glänzt

Christine Gräfin von Brühl16.04.2011

In ganz England gibt es derzeit nur noch ein Thema: der 29. April 2011. An diesem Tag wird William, ältester Sohn von Prinz Charles und seiner verstorbenen Frau Diana, in Westminster Abbey heiraten. Kate Middleton heißt seine Auserwählte, jeder Brite kennt ihren Namen.

Das Interesse daran geht weit über die Grenzen Englands hinaus. Unzählige Bild-, Rundfunk- und Print-Journalisten aus aller Herren Länder haben sich für diesen Termin in London akkreditiert. Tausende von Menschen werden dem Ereignis persönlich beiwohnen, sei es dank persönlicher Einladung und Platzierung, sei es stehend am Rande der Straßen, an denen die herrschaftliche Kutsche mit dem Brautpaar vorüber kommt. Millionen werden das Großereignis am Fernsehapparat oder über die Online-Dienste mitverfolgen. Eine echte königliche Hochzeit, eine Eheschließung in einer der ältesten Monarchien Europas, ein vom britischen Hof anerkanntes, obwohl keineswegs standesgemäßes Liebesglück – das will sich niemand entgehen lassen. Die Tatsache, dass die Braut eine Bürgerliche ist, steigert die Anteilnahme über alle Maßen.

Zwiespältige Faszination

England weiß dies gut zu nutzen. Eine funktionierende Monarchie dient auch immer der Attraktivität des Landes. Sein Ansehen hat nach Bankencrash und Finanzkrise deutlich gelitten. Ein Volk vereint im Glück über die Hochzeit des zukünftigen Monarchen – nichts ist wirkungsvoller, um Mut zu schöpfen und nach außen Zusammenhalt, Kraft und neues Selbstbewusstsein zu demonstrieren. So dient diese Hochzeit auch der Botschaft, dass es in England endlich wieder aufwärts geht. Doch woher kommt diese Faszination für den Adel? Warum freut sich die Welt gerade dann, wenn ausgerechnet der Thronprätendent eines Landes heiratet? Was ist daran so außergewöhnlich? Fragt man einen Adligen in Deutschland nach einer Antwort auf diese Fragen, wird er, insbesondere wenn er jüngerer Natur ist, nur müde abwinken. Menschen, die hierzulande aus einer entsprechend alten Familie stammen, haben damit alles – nur keine Freude. An einem Tag werden sie und ihre Kaste gerühmt und gelobt, weil sie einen so fabelhaften Wirtschafts- und Verteidigungsminister wie Baron Karl Theodor zu Guttenberg hervorgebracht hat, der nicht nur eine gute Figur macht und die richtigen Worte für die deutschen Soldaten in Afghanistan findet, sondern sogar die Foto-Tasche des Stern-Reporters trägt, der gekommen ist, ihn zu porträtieren. Anderntags wird der gesamte Adel deutscher Nation zur Verantwortung gezogen, weil eben dieser Minister ärgerlicherweise in seiner Doktorarbeit geschummelt hat. Sobald ein adeliger Name fällt, polarisiert er die Gesellschaft. Im November 1918 dankte Kaiser Wilhelm II. ab, die Weimarer Republik wurde ausgerufen und das Zeitalter der Monarchie in Deutschland fand ihr Ende. Jahrhundertelang hatten Kaiser, Könige, Herzöge, Fürsten, Grafen und Freiherren die Geschichte Deutschlands, ja, ganz Europas mitbestimmt. Sie haben die Gesellschaft strukturiert, sie waren das, was heute gemeinhin die Beamten sind: das Rückgrat des Landes. Adlige nahmen Einfluss auf das öffentliche Geschehen, besaßen ein höheres wirtschaftliches Potenzial und leiteten daraus ihren Anspruch auf die militärische und politische Führung ab. Ihre gehobene Stellung war erblich, das Privileg des Adels festgeschrieben. Mit all dem war es 1918 schlagartig vorbei. Wer aus einer aristokratischen Familie stammt, trägt heute keinen Titel mehr. Das Adelsprädikat ist lediglich Teil seines Namens. Trotzdem löst der Adel nach wie vor eine gewisse Faszination aus. Seitenlang wird in einschlägigen Boulevardmagazinen über Mitglieder adliger Familien berichtet, ein Foto neben dem anderen abgebildet. Dabei werden historische Zusammenhänge grob missachtet. Ob die erwähnten Personen aus real funktionierenden Monarchien stammen, oder in Deutschland und Österreich leben, wo derlei längst abgeschafft wurde, ob sie aus einer altehrwürdigen, hochadeligen Familie stammen oder lediglich dem sogenannten „Winkadel“ angehören, deren Mitglieder erst kurz vor Ende der Monarchie einen Titel bekamen, ist den Reportern vollkommen egal. Hauptsache, die Namen sind länger als bei gewöhnlichen Bürgerlichen. Hauptsache, die Festlichkeiten, von denen berichtet wird, finden in Schlössern statt, und Hauptsache, es glitzert, gleißt und glänzt.

Wehmut nach dem Untergang

„Es wird sich nichts ändern“, sagt Giuseppe Tomasi, Herzog von Palma und Fürst von Lampedusa, während er aus dem Fenster seines sizilianischen Palastes schaut. Dabei schreiben wir das Jahr 1860, und seine Familie und er haben eben erfahren, dass der Guerillakämpfer Giuseppe Garibaldi sich in Marsala an die Spitze seiner Rothemden gesetzt hat und die königlichen Truppen sich aufmachen, um die Aufrührer blutig niederzuschlagen. Und Lampedusas Neffe Tancredi, den der Fürst so liebt wie einen eigenen Sohn, obwohl der sich ausgerechnet in die Tochter des Bürgermeisters verliebt hat, womit er sich keineswegs zum idealen Erben der herzöglich-fürstlichen Latifundien qualifizierte, ist auch noch auf dem Weg nach Marsala. Dort will der jugendliche Heißsporn keineswegs gegen Garibaldi anzutreten, sondern mit ihm gegen das alte Italien kämpfen. Es wird sich nichts ändern? Die Geschichte des berühmten Sizilienromans „Der Gattopardo“ (alt. „Der Leopard“), aus dem diese Episode stammt, bietet vielleicht die beste Erklärung für die Faszination des Adels. „Der Gattopardo“, einziger Roman des Fürsten Lampedusa, ist eine glühende Hommage an das alte Europa: Von seiner Familiengeschichte inspiriert, schuf Lampedusa dieses Meisterwerk um Glanz und Untergang eines Adelsgeschlechts nach der Landung Garibaldis. Doch zu Lebzeiten des Autors, das ist das entscheidende, wurde der Text von mehreren Verlagen abgelehnt. Erst nach Tomasis Tod erkannte Giorgio Bassani die Bedeutung des Manuskriptes und der Roman erschien 1958 bei Feltrinelli. Im Jahr darauf wurde er mit dem Premio Strega ausgezeichnet und bald weltweit zum Inbegriff der italienischen Literatur. Bis heute zählt der Roman zu den wichtigsten Büchern unserer Zeit, die Verfilmung von Luchine Visconti, die 1962 in Cannes preisgekrönt wurde, zu den größten Kinoereignissen. Vielleicht ist der Adel gerade deshalb so faszinierend, weil es ihn heute nicht mehr gibt. Und es ist in der Tat beeindruckend, wie unbeirrbar seine Mitglieder an ihren Traditionen festhalten. Denn natürlich gibt es sie weiterhin, die alten Familien sterben ja nicht von heute auf morgen aus, und sie pflegen überall in Europa, auch hierzulande, ihre Kultur und ihre Traditionen. Auch wenn die meisten nicht mehr in Schlössern, Burgen oder Herrenhäusern leben, erziehen sie ihre Kinder so, als könnte das schon morgen wieder Wirklichkeit sein. Wer eine Ahnenreihe hat, die bis weit ins Mittelalter zurückreicht, möchte nicht ausgerechnet das Glied in der Kette sein, an dem diese Reihe zerbricht. So lernen die jungen Adligen frühzeitig Konversation zu üben und sich korrekt zu kleiden. Sie lernen Walzer tanzen und Quadrille schreiten, Smoking tragen, beziehungsweise trägerloses Ballkleid, studieren Fremdsprachen, Kunstgeschichte, Betriebswirtschaft oder Jura und übernehmen Verantwortung, wo immer sie können. Schon in jungen Jahren engagieren sich Adlige selbstverständlich und freiwillig sozial, sie begleiten gehbehinderte Pilger und Pilgerinnen oder körperbehinderte Kinder in Marienwallfahrtsstätten wie Lourdes oder Medjugorje, und da sie darüber hinaus ausgesprochen religiös sind, verfolgen sie selbst später im Berufs- und Familienleben den Ehrgeiz, nachhaltig Gutes zu tun. Die Kunst, ein adliges Leben zu führen, ist ein ständiges Versteckspiel. Einerseits bemühen sich Aristokraten um den Erhalt ihrer Traditionen, andererseits möchten sie nicht mit den Bildern und Sehnsuchtsgeschichten verwechselt werden, die in der Yellow Press Verbreitung finden. Die Historie einer einzelnen adligen Familie kann die Geschichte eines ganzen Landes spiegeln. Die Erzählungen stammen aus einer Vergangenheit, die schließlich auch die Vergangenheit aller Bürgerlichen ist. Vielleicht entspricht die Faszination für den Adel auch einer Sehnsucht nach dem Gestern, nach der „guten alten Zeit“, einer Zeit, wo noch scheinbar alles in Ordnung war.

Was die allgemein postulierte Ehrlichkeit angeht, hat zu Guttenberg irritiert, ja viele tief enttäuscht. Doch, wer weiß? Vielleicht nutzt er den Rückzug aus der Politik und schreibt eine zweite Doktorarbeit. Seine Standesgenossen würden ihm die Schlappe nachsehen, zumindest die Verwandten, und das sind im Adel naturgemäß nicht wenige. Dabei befände sich der Ex-Minister in bester Gesellschaft. Auch Friedrich Wilhelm von Preußen, Urenkel des letzten deutschen Kaisers, Wilhelms II., übte sich einst im Schummeln. Wie sich herausstellte, hatte er große Teile seiner Doktorarbeit abgeschrieben. Doch er gestand die Schuld, zog seine Arbeit zurück und brillierte fünf Jahre später mit gänzlich neuen Thesen. Diesmal gereichten sie ihm und seiner Familie zur Ehre.

Christine Brühl
Dr. Christine Gräfin von Brühl ist Publizistin und Schriftstellerin. Sie veröffentlichte u.a. "Noblesse oblige. Die Kunst, ein adliges Leben zu führen" (Eichborn 2009), "Die preußische Madonna. Auf den Spuren der Königin Luise" (Aufbau 2011) und "Anmut im märkischen Sand. Die Frauen der Hohenzollern" (Berlin 2015). www.aufbau-verlag.de