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Titelthema

Hygge, Lykke & Co.

Die Dänen gelten seit Jahren als eines der glücklichsten Völker der Welt. Doch warum eigentlich? Wo doch Dänemark die höchsten Steuersätze der Welt hat. Erklärungsversuche von einem professionellen Glücksanalysten

Meik Wiking 01.01.2018

Schon für Aristoteles war Glück „das letzte Ziel menschlichen Handelns“. Heute ist das Glück ein zentrales Anliegen für diejenigen Menschen geworden, die unsere Gesetze verabschieden und somit unsere Lebensumstände maßgeblich beeinflussen.

In den vergangenen Jahren haben das Glück, das Wohlbefinden und die Lebensqualität einen starken Einfluss auf das Fest­­setzen gesellschaftlicher Richtlinien  und Normen genommen. Die Vereinten Nationen haben eine Resolution erlassen, in der die Länder dazu aufgefordert werden, mit dem Messen des Glücks ihrer Bevölkerung zu beginnen. In ähnlicher Weise schließt die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent­wick­lung jetzt die Lebenszufriedenheit als einen Parameter für die Entwicklung ihrer Mitgliedsstaaten ein, und der OECD-Generalsekretär, Ángel Gurría, erklärte, dass „die Steigerung unserer Lebensqualität das oberste Ziel der öffentlichen Politik sein sollte.“ Und die Vereinigten Arabischen Emirate, eine der reichsten Nationen auf der Erde, haben 2016 sogar einen Staatsminister für Glück ernannt.

Diese Bestrebungen spiegeln das wachsende Bewusstsein unter den Menschen, Politikern und Wissenschaftlern wider, dass ökonomischer Fortschritt allein kein zufriedenstellender Indikator mehr für den Fortschritt einer Gesellschaft ist. Trotz des Wirtschaftswachstums gibt es eine enorme wirtschaftliche Besorgnis. Wir sehen sogar Länder – wie die Vereinigten Staaten und Südkorea –, die in den vergangenen Jahrzehnten ein gewaltiges Wachstum erzielt haben, aber daran scheitern, den Wohlstand in Wohlbefinden für die Menschen umzuwandeln.

Das dänische Vorbild
Das wachsende Interesse am Messen des Glücks und an der Glücksforschung haben die Aufmerksamkeit auf Dänemark gelenkt. Das Land belegt bei den internationalen Glücks-Rankings regelmäßig vordere Plätze. Doch aus welchem Grund sind die Dä­­nen so glücklich? Als CEO des Kopenhagener Glücksforschungsinstituts ist es ein wichtiger Teil meines Jobs, diese Frage zu beantworten. Unsere Arbeit dreht sich im Wesentlichen um drei Fragen: Wie können wir Glück messen? Aus welchem Grund sind manche Menschen glücklicher als andere? Und wie können wir unsere Lebensqualität weiter verbessern?

Da ich mir diese Fragen täglich stelle, denke ich, dass Dänemark keineswegs eine perfekte Utopie ist und dass unser Land genauso vor großen Herausforderungen und Problemen steht wie alle anderen Län­der auch. Aber ich denke, Dänemark kann eine Quelle der Inspiration dafür sein, wie andere Länder der Welt ihre Lebensqualität verbessern können.

Nahezu jede Woche rede ich mit Journalisten aus der ganzen Welt. Da Dänemark immer wieder unter den glücklichsten Ländern der Welt eingeordnet wird, schauen mich dabei viele der Journalisten ungläubig an und fragen: „Die Dänen bezahlen die höchsten Steuern der Welt, warum sind sie also so glücklich?“

In der Tat hat Dänemark einen der höchs­­ten Steuersätze der Welt, was oft als einer der größten Einwände gegen das dä­nische Wohlstandsmodell erwähnt wird. Das durchschnittliche jährliche Einkommen in Dänemark beträgt rund 39.000 Euro (fast 43.000 US-Dollar). Darauf bezahlt der durchschnittliche Däne insgesamt 45 Pro­zent Einkommenssteuer. Die Einkommens­steuern des Landes beruhen auf einem progressiven Steuersystem, wenn Sie also mehr als 61.500 Euro (rund 67.000 US-Dollar) pro Jahr verdienen, wird über diesem Schwellenwert ein zusätzlicher Steuersatz in Höhe von 7 Prozent fällig. Dennoch hat eine Gallup-Umfrage im Jahr 2014 gezeigt, dass fast neun von zehn Dänen ihre ­Steuern einigermaßen oder sehr glücklich bezahlen.

Investitionen in Lebensqualität
Der Grund hinter dem hohen Unterstützungsniveau für den Wohlstandsstaat in Dänemark ist das Bewusstsein über die Tatsache, dass das Wohlstandsmodell unseren gemeinsamen Wohlstand in Wohlbefinden umwandelt. Wir bezahlen keine Steuern. Wir investieren in unsere Gesellschaft. Wir kaufen Lebensqualität.

Der Schlüssel zum Verstehen des ­hohen Glücksniveaus in Dänemark liegt in der Fähigkeit des Wohlstandsmodells, Ri­siken, Unsicherheiten und Besorg­nisse bei den Bürgern zu reduzieren und extre­mer Unzufriedenheit vorzubeugen. Das dänische Wohlstandsmodell gibt den Bürgern die Möglichkeit, ihr Glück von fortschritt­lichen Ausgangspositionen zu verfolgen, indem wirtschaftliche, so­ziale, geschlechts­spezifische oder kulturelle Hintergründe überhaupt nicht berücksichtigt werden. Ich werde Ihnen einige Beispiele nennen.

Bildung ist kostenlos, und auch an den Universitäten gibt es keine Studiengebühr. Darüber hinaus bekommt jeder dänische Student umgerechnet ca. 900 Dollar im Monat vom Staat. Dies bedeutet, dass sich niemand Sorgen darüber machen muss, wie er die Bildung seiner Kinder finanziert. Die Laufbahn ihrer Karrieren wird von ihren Talenten und Träumen abhängen – und nicht davon, wie viel Geld die Eltern verdienen.

Die dänischen Gesetze für Elternzeit gehören zu den großzügigsten auf der gan­zen Welt. Die Elternzeit beträgt insgesamt 52 Wochen, in denen die Eltern bis zu 32 Wochen finanzielle Unterstützung vom Staat erhalten können. Darüber hinaus haben die meisten Angestellten fünf Wochen Urlaub, wodurch es Familien und Freunden möglich ist, wertvolle Zeit miteinander zu verbringen. Es gibt eine kostenlose hochwertige Gesundheitsversorgung für jeden, und das Wohlstandsmodell funktioniert als ein Mechanismus, der Risiken reduziert. Die Dänen müssen sich im täglichen Leben einfach um weni­ger Dinge Sorgen machen als die meisten anderen Menschen und dadurch entsteht eine solide Grundlage für ein hohes Glücksniveau. Sehen wir uns nun näher an, wie das dänische Flexicurity-Konzept einen flexiblen Arbeitsmarkt mit sich bringt, während die Sorgen über die Arbeitslosigkeit reduziert werden.

Das Flexicurity-Konzept
Der dänische Arbeitsmarkt beruht auf der Flexibilität für Arbeitgeber, der Sicherheit für Arbeiter und einer aktiven Arbeitsmarkt­politik. Diese drei Elemente in Kombination stellen das goldene Dreieck der „Flexicurity“ dar, die sich als gemeinsamer Vorteil für alle beteiligten Parteien heraus­stellt. Das goldene Dreieck entspricht den Anforderungen der Arbeit­geber, der Arbei­ter und der Arbeitslosen, indem den Unter­nehmen erlaubt wird, sich an Änderungen anzupassen und im Geschäft zu bleiben, und indem es ein Sicherheitsnetz für Arbeiter und die Arbeitslosen darstellt. Arbeitgeber können Personalwechsel einfach durchführen, und die Arbeitslosen können sich neue Arbeitsstellen suchen, ohne Angst haben zu müssen, in finan­zielle Abgründe zu stürzen. Außerdem ist eine aktive Arbeitsmarktpolitik dafür gedacht, dass sowohl die Angestellten als auch die Arbeitslosen aktiv und qualifiziert bleiben. Arbeiter haben zahlreiche Möglichkeiten für die laufende Weiter­entwicklung ihrer nützlichen Fähigkeiten und für die ständige Weiterbildung. Für die Arbeitslosen stellt die aktive Arbeitsmarktpolitik Dienstleistungen bereit, durch die sie bei der Arbeitssuche unterstützt werden, damit die Arbeitslosen sich aktiv für eine neue Arbeitsstelle bewerben können.

Laut einiger wissenschaftlicher Stu­dien ist die Fähigkeit des Wohlstandsmodells, Risiken und Unsicherheiten im Leben der Menschen zu verringern, einer der Schlüssel zum Verstehen, warum Dänemark bei den internationalen Glücks-Rankings so gut abschneidet. Dies liegt zum Teil auch daran, dass unser Land gut darin ist, ex­tre­me Unzufriedenheit zu vermeiden. Die ärmsten Dänen sind im Allgemeinen viel glücklicher, als die ärmsten Amerikaner, da die ärmsten Menschen in Dänemark viele öffentliche Sozialleistungen genießen, die die ärmsten Amerikaner nicht erhalten, während der Unterschied zwischen den wohlhabendsten Menschen in beiden Ländern gering ist. Auch aus diesem Grund ist Dänemark eines derjenigen Länder, in denen die Menschen am ehesten mit Änderungen belastbar und dabei am wenigsten besorgt in ihrem täglichen Leben sind.

Somit ist das Glück in Dänemark sehr gleichmäßig verteilt. Wie Richard A. Easter­lin, Professor der Wirtschaftswissenschaften an der Universität von Südkalifornien, erklärt: „Es gibt eine größere Gleichstellung beim Glücklichsein in Dänemark und Skandinavien. Hauptsächlich, weil es den ärmsten Gruppen besser geht als in anderen Ländern.“

Vom Wohlstand zum Wohlbefinden
Allerdings haben in den vergangenen Jahren auch zahlreiche Menschen gesagt, dass wir zwar reicher, aber nicht glück­licher geworden sind. Deshalb suchen wir nach neuen Quellen der Inspiration, nach neuen Wegen, wie wir unsere Städte, unsere Politik und unsere Gesellschaften besser gestalten – und letzten Endes – unse­re Leben besser führen können.

Jeden Monat empfangen wir in unserem Kopenhagener Glücksforschungsinstitut internationale Delegationen. In letzter Zeit kommen viele dieser Delegationen aus Süd­korea – einem Land, das durch die beiden letzten Generationen eine be­eindruckende Zunahme des Pro-Kopf-BIP erreicht hat, zugleich aber damit kämpft, diesen Wohlstand in Wohlbefinden umzuwandeln. Ein südkoreanischer Reporter hat mir dabei folgendes erzählt: „Früher haben wir die USA als Vorbild gesehen – dorthin wollten wir gehen. Aber jetzt denken wir, wir sollten vielleicht in eine andere Richtung schauen. Wir suchen nach einem neuen Vorbild.“

Wie bereits erwähnt hat Dänemark, wie jedes andere Land auch, seine Heraus­forderungen zu meistern. Es ist keine Utopie – aber wir scheinen einige Dinge ganz richtig gemacht zu haben.

Meine Hoffnung ist, dass mehr Länder und mehr Politiker sich an Dänemark und den anderen nordischen Ländern ein Beispiel nehmen, dass sie nach Inspira­tion dafür suchen, wie sie bessere Lebens­bedingungen in ihren Ländern schaffen können.

Meik Wiking
Meik Wiking ist CEO des Happiness Research Institutes in Kopenhagen. Zu seinen ­Büchern gehören „Hygge. Ein ­Lebensgefühl, das einfach glücklich macht“ (2016) und „Lykke. Der dänische Weg zum Glück“ (2017, beide Ehrenwirth).
happinessresearchinstitute.com