https://rotary.de/gesellschaft/ich-konnte-kaum-denken-a-24854.html
Aktuell

"Ich konnte kaum denken"

Aktuell - "Ich konnte kaum denken"
Als die Feuer in L.A. noch nicht wüteten... © privat

Annika Echarti ist Mitglied im Rotary Club Hamburg-Hafencity. Sie lebt seit zwei Jahren in Hollywood/Los Angeles direkt neben dem Runyon Canyon, wo eines der Feuer ausgebrochen ist. Sie konnte die Feuer aus dem Fenster Ihrer Wohnung direkt und ganz nah sehen - und musste selbst evakuieren.

03.02.2025

Wo warst Du, als Du von dem Feuer erfahren hast?

Ich war zu Hause, fühlte mich seit ca. 24 Stunden das erste Mal recht sicher, weil der Tag trotz der Feuer um Los Angeles herum recht ruhig verlief und ich machte mich gerade bereit, um ab 18.30 Uhr den Behavioral-Finance-Kurs an der UCLA zu lehren.

Das Feuer brach um ca. 17.35 Uhr aus, ich hörte auf einmal Helikopter über mir kreisen, schaute raus und sah die Flammen. Binnen kürzester Zeit (wenige Minuten) war es deutlich ersichtlich, wie schnell das Feuer wuchs und sich ausbreitete.

Was waren Deine ersten Gedanken?

Ich war sofort in Kontakt mit meiner Familie in Deutschland (obwohl es dort kurz vor 3 Uhr nachts war), meinem Partner in Australien und einer Freundin aus Los Angeles. In dem Moment, als ich das Feuer sah, überkamen mich viele Emotionen, ich konnte kaum denken und war froh, dass die anderen mir "Anweisungen" gaben beziehungsweise die Schwester meiner Freundin, die zufällig gerade in der Nähe war, zu mir (Richtung Feuer) fuhr, um mich abzuholen und mich zu meiner Freundin und deren Familie zu bringen. Obwohl das Haus der Familie recht nah am Eaton-Feuer war, war ich froh, bei ihnen zu sein, um dann gegebenenfalls mit ihnen weiter zu flüchten – was wir zum Glück nicht mussten.

Einen Gedanken, den ich sehr schnell hatte als ich das Feuer sah, war, dass ich sehr froh war, meinen Rucksack bereits die Nacht vorher gepackt zu haben, als ich die Zeit und Ruhe hatte – obwohl ich mir zu der Zeit fast etwas albern vorkam. Obwohl die Feuer sich sehr schnell ausbreiteten, hatten wir noch keine Nachricht bekommen, dass wir in Hollywood direkt in Gefahr waren. Wenn man dann aber raus muss, hat man weder Zeit noch gedankliche Ruhe, um die wichtigen Dinge zusammenzusuchen. 

Wie sah die Krisenkommunikation aus?

Ich empfand sie weitestgehend als positiv. Die App "Watch Duty" macht ein Geräusch, wenn ein neues Feuer ausbricht oder es Neuigkeiten zu einem in der Nähe gibt. In den Tagen der Feuer waren wir sehr von diesem bestimmten Klang eingenommen. Neuigkeiten, die über die App verbreitet werden, sind zum Beispiel, welche Bereiche (Straßenblocks) in Habachtstellung sein sollen, welche sich bereit machen sollen und welche evakuieren müssen ("Ready-Set-Go", jeweils farblich markiert). Die App zeigt unter anderem auch Windrichtungen und Luftqualität an.

Für die Menschen, die die App nicht haben, gibt es den Amber Alert, der auf allen Handys in der Evakuierungszone alarmiert und kaum zu überhören ist. 

Evakuierungsplätze wurden immer recht spät kommuniziert, nur grobe Richtungen, in die man flüchten sollte. Meine Theorie hier ist, dass es bei der Masse der plötzlich auftretenden Feuer schwierig war, feste Evakuierungsplätze einzurichten, weil keiner wusste, wohin sich die Feuer in der Zukunft ausbreiten würden. 

Auch die Kommunikation darüber, welches Leitungswasser trinkbar und nutzbar (zum Beispiel zum Duschen) war und welches nicht, war für einige Tage nicht eindeutig – und das, obwohl auch das Abkochen des Wassers es nicht nutzbar machte. 

Es ist aber sicher eine beachtliche Leistung, dass bis jetzt "nur" 29 Tote gemeldet wurden, obwohl zirka 150.000 Menschen vor den Feuern (zwischenzeitlich) fliehen mussten. Jeder Tod ist natürlich einer zu viel. Bei der schnellen und unvorhersehbaren Ausbreitung der Feuer ist es jedoch ein Kommunikationserfolg. 

Wie hast Du bemerkt, dass das Feuer eine Gefahr für Dein Zuhause darstellt?

Ich hörte Helikopter über mir kreisen und schaute aus dem Fenster. In dem Moment fuhr die Feuerwehr direkt vor meiner Wohnung vorbei. Ich sah das Feuer im Runyon Canyon, der von mir fünf Gehminuten entfernt ist und in dem ich bis zum Feuer fast täglich wandern ging. Insbesondere sah ich das Feuer innerhalb weniger Minuten sehr deutlich anwachsen und näherkommen. Zehn Minuten später wurde der Bereich, in dem ich wohne, über die Watch-Duty-App zur Evakuierung aufgerufen.  

Was hast du mitgenommen, als du evakuieren musstest?

Wichtige Dokumente (!!) wie Reisepass, Urkunden, Visa, Versicherungs- und Gesundheitsunterlagen und Bankdokumente. Alle Bankkarten, Bargeld, kleine Wertsachen (zum Beispiel Schmuck und Dinge mit hohem persönlichem Wert), Laptop, Handy, Hard Drives, Powerbank, Ladekabel, Taschenlampe (ich hatte Fahrradleuchten), warme Kleidung und Wechselkleidung für fünf Tage, Hygieneartikel, einfache Medikamente (ich war froh über das Ibuprofen, das ich eingesteckt hatte, weil ich unfassbare Kopfschmerzen bekam), Wasser und Essen für zirka drei Tage. 

Ich packte auch meine Yogamatte, ein kleines Kissen und eine dünne, aber warme Decke ein, weil ich nicht wusste, wo ich schlafen würde. Wie gesagt, war ich sehr froh, dies alles schon am Abend vorher gepackt zu haben. Ich musste so schnell evakuieren, dass ich nicht die Zeit gehabt hätte, alles Wichtige einzupacken.

Konntest Du schon zurückkehren?

Das Hollywood-Feuer wurde zum Glück innerhalb von Stunden unter Kontrolle gebracht, sodass ich noch am gleichen Abend um ca. 0 Uhr hätte zurückkehren können. Ich blieb aber zwei Tage bei meiner Freundin und ihrer Familie, um nicht alleine in der Wohnung zu sein. Die Situation war weiterhin so unüberschaubar, dass ich froh war, mit anderen Menschen gemeinsam zu sein, um je nach Situation mit ihnen zu agieren. 

Kennst du Menschen, deren Haus Opfer der Flammen wurde?

Ja, einige Freunde meiner Freunde haben ihre Häuser sowohl im Eaton-Feuer als auch im Palisades-Feuer verloren. 

Gibst du anderen ein Zuhause auf Zeit?

Nein, ich habe keine bedürftigen Freunde, die eine Unterkunft brauchen. Auch lebe ich in einem Studio-Apartment, sodass ich nur gute Freunde in sehr großer Not aufnehmen könnte.  

Wie sieht die Versorgung aus?

Für mich in Hollywood ist nach dem Regen am letzten Wochenende wieder Normalität eingetreten – so auch in den meisten Teilen von Los Angeles. Ich weiß von keinen Versorgungslücken.  

Wie lebst du mit der Luft- und Wasserverschmutzung?

Die ersten 2,5 Wochen nach Ausbruch der Feuer sollten wir es vermeiden, das Haus zu verlasse, und die Fenster geschlossen halten. Wenn ich rausging, habe ich immer eine FFP2-Maske getragen, die man auch kostenlos zum Beispiel in Büchereien bekommen konnte. Für einige Zeit habe ich nur gekauftes Wasser getrunken. Hier bei mir ist das Wasser jedoch nicht mehr betroffen und kann genutzt werden. In anderen Stadtteilen näher an den großen Feuern (Eaton & Palisades) kann das Wasser weiterhin weder zum Verzehr noch zum Duschen genutzt werden.

Wie sehen inzwischen Deine Tage aus?

Wieder normal. Seitdem es letzte Woche geregnet hat, ist das Leben hier wieder normal.  

Inwiefern beeinflusst das Feuer auch Wochen danach Deinen Alltag?

Die ersten Wochen konnte ich kaum rausgehen und wenn dann nur mit FFP2-Maske. Wir achten noch immer auf die Windrichtungen. Wenn Winde von den abgebrannten Stadtteilen in unsere Richtung wehen, sollen wir weiterhin Masken tragen. Der API misst wohl nicht die Gifte (Asbest, Blei et cetera), die sich durch die Massen an abgebrannten Gebäuden, Autos, und so weiter in der Luft befinden, weswegen wir nicht auf diese Indikatoren zählen können.  

Wie sieht die Unterstützung untereinander aus?

Menschen waren und sind sehr hilfsbereit. Massen an Kleidung, Essen, Wasser und Hygieneartikeln wurden gesammelt. Viele Menschen haben Geld an ihre Freunde, Nachbarn und auch Fremde über "GoFundMe" gespendet.

Und wie helfen die Rotarier vor Ort?

Über rotary5280.org/page/2025-wildfire-disaster-relief/

Die Stadtteile, die abgebrannt sind, dürfen nur von befugten Personen betreten werden, müssen professionell gereinigt werden und sind zurzeit verseucht. Deswegen gibt es keine Aktionen, wo Menschen selbst die Schippe in die Hand nehmen und aufräumen. Das ist verboten und hochgefährlich. 

Es herrscht großes Mitgefühl für die Menschen, die alles verloren haben. Die Menschen brauchen einen Moment, um sich zu erholen und dann zu sehen, was die nächsten Schritte sind. Alle sind froh, dass der Januar vorbei ist. Aus vielen Gründen war dieser Monat sehr belastend und energieraubend für viele Menschen in Los Angeles. Dadurch, dass so viel passiert ist (Feuer, Amtseinführung, Flugzeug/Helikopterzusammenstoß in DC, eine neue Nachricht aus dem Weißen Haus nach der anderen), kann man schwer auseinanderhalten, was welchen Einfluss hat. 

Und was hat das Ereignis mit Dir persönlich gemacht?

Ich weiß, wie wichtig es ist, sich frühzeitig vorzubereiten, wenn möglich, auch wenn man sich fast albern vorkommt, weil es nicht sehr wahrscheinlich scheint, dass man betroffen sein wird.

Ich bin sehr dankbar für die Freunde, die mich abgeholt und mit mir ihr Haus und Bett geteilt haben. Ich bin hier seit zirka eineinhalb Jahren und hatte trotzdem nach so kurzer Zeit mehrere Freunde, die mich anriefen, als das Feuer neben mir ausbrach und mir anboten, zu ihnen zu kommen.

Ich bin auch sehr dankbar für Familie und Partner, die mir aus der Entfernung halfen, klar zu denken und mir Informationen gaben, die sie zum Beispiel über Webcams sehen konnten (zum Beispiel Verkehrsaufkommen auf dem Hollywood Boulevard, auf dem wir uns befanden, als wir im Auto evakuierten).

Die Luftverschmutzung wird wohl noch Jahre andauern. Das beunruhigt mich etwas, wird aber im Alltag doch häufig vergessen.

Wirst Du künftig anders auf solche Szenarien vorbereitet sein?

Ich glaube, ich war recht gut vorbereitet und werde beim kommenden Mal geübter sein. Dadurch, dass ich kein Wohneigentum habe, brauche ich nicht meine Versicherungen oder ähnliches zu prüfen. 

Was ist Deine Botschaft für die Rotarier in Deutschland und Österreich?

  • Macht  Euch eine Liste mit den Dingen, die in solchen Situationen wichtig sind, am besten mit Angabe des momentanen Lagerorts (zum Beispiel Pass ist in der rechten Kommodenschublade).
  • Es lohnt sich, Videos des Hauses zu machen, in denen man alles dokumentiert, was man besitzt, um es später nachweisen zu können.
  • Überprüft eure Versicherungen
  • Habt Wasserflaschen und haltbares Essen im Haus.Und: Lieber umsonst vorbereiten und packen, als am Ende ohne Andenken und wichtige Dinge evakuieren müssen.