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Im Schicksal vereint

Aktuell - Im Schicksal vereint

Sintflutartige Regenfälle verwüsteten Anfang August große Teile Sloweniens bis hin nach Österreich. Inzwischen läuft langsam Hilfe an. Doch Autor Lojze Wieser hat immer noch die Bilder des Hochwassers vor Augen.

Lojze Wieser30.08.2023

Apokalyptische Szenen. Rauschen. Es wächst an, von Nirgendwo. Der Tag verdunkelt, nimmt den Blick. Die Bäume ächzen, schütteln, drehen sich, möchten den angestammten, verwurzelten Platz nicht verlassen, widersetzen sich dem Zerren, kämpfen mit dem Wind, der sie zwirbelt, schraubt, an ihnen zerrt, sie reißt, sie zu bisher nicht gewohnten Pirouetten treibt, entblättert, sie kahl macht und die Straßen zentimeterdick bedeckt, wie Streu des Bauern, der den Tieren frische Einstreu bringt. Der blitzartige Hagel hämmert auf den Dächern, die gemarterten Autodächer ächzen wie ein Kontrabass, die erste Violine spielt der Blitz, dem der alles erzitternde Donner seine Referenz erweist. Man starrt durchs Fenster, harrt gelähmt, sich fragend, was als Nächstes kommen wird, wohin sich die Aggression des Himmels nun als Nächstes wenden wird, wo sie sich festfressen, was sie hinwegfegen möchte, das nicht niet- und nagelfest ist. Im Nu wird gelockert, was für Ewigkeiten gebaut, und ausgehebelt. 

Ziegeln fliegen, wie Papier, altehrwürdige Baumstämme bersten wie Zündhölzer und der Sturm greift an, von allen Seiten zugleich, als ob sich unsichtbare japanische Ringer verschworen hätten, die Dächer und die Häuser im nächsten Moment auf den Rücken zu legen und nicht aufzugeben, bevor sich nicht das bisher Ungeahnte als Gegebenheit in diesen Breiten im Hirn sich festgekrallt hat.  

Bäche stürzen von Hängen, alles mit sich tragend, wälzend, brechend. Unterspülen in Sekunden Fundamente, Gebäude aus Stein kommen als Pappkonstruktionen daher, denen sogar die Würde eines einzigen Aufbäumens genommen wird, um dann von den Wassermassen zermalmt im Wirbel des geisterhaften Stroms unterzugehen. Was bleibt, ist die Hilflosigkeit, die Ohnmacht. Erschlagen und gerädert starrt man in die zur Nacht gewordene Umgebung und folgt ungläubig und apathisch den Bildern, die in den Nachrichten gegeben werden.  

Grenzen fallen. Die der Wahrnehmung und die historischen territorialen. Erst langsam dringt ins Bewusstsein, dass wir mit den Tagen der Unwetter zu Zeugen humanitärer Katastrophen unvorstellbarer Dimension geworden sind. Zu reißenden Flüssen angeschwollene Bäche haben einige Gegenden auf immer verändert, Bauernhöfe verschwanden vom Erdboden, Siedlungsgebiete wurden zu unbewohnbaren Gegenden. Mit Hilfe der Einheimischen, der Feuerwehren, der Milizsoldaten, der Freiwilligen wurde das Überleben in notdürftiger Weise ermöglicht. 

Noch Tage und Wochen nach der Tausend-Jahr-Katastrophe im Norden Sloweniens sind Helikopter zu Nahversorgern geworden, in einigen Gegenden wird es noch Wochen dauern, bis die weggerissenen Zugangsstraßen wieder befahrbar werden. Es gibt wohl keine menschliche Kraft, die dieses Toben der Natur aufhalten hätte können. In manchen Gebieten leben die Menschen in ihren engen Tälern seit tausend und mehr Jahren, die bei solchen, in einem Jahrtausend sich ein einziges Mal wiederholend, einen hohen Preis fürs Dasein bezahlen. Črna in Kärntner Teil Sloweniens, Globasnitz/Globasnica im Österreichischen Teil und Luče im Savinjatal hinterm Paulitschsattel über Eisenkappel/Železna kapla in Kärnten wurden besonders mitgenommen und man fragt sich, wie die Menschen diesen Herausforderungen gewachsen sein konnten. Egal, was sie an Übermenschlichem taten, der Schaden bleibt enorm und die Zukunft ihres Zuhauses in einigen Gegenden existentiell in Frage gestellt.  

Auch stellen sich mittlerweile die Menschen die Frage, ob man zum Teil vergessen habe, wie mit hereinbrechenden Wässern zu leben ist, insbesondere in Orten, wo in den vergangenen Jahrzehnten dem Wasserschutz - aus Kurzsichtigkeit - geringe Bedeutung beigemessen wurde – oder ob die dafür bestimmten Gelder in den Kanälen von politischen Interessen und Korruptionsgier versickert seien, worüber man derzeit in Slowenien immer lauter tuschelt.

Wasser-Marshall-Pläne werden vom Staat gefordert, um demografische Katastrophen abzuwenden, um Ersatzhäuser aufzustellen, den Unterricht zu garantieren und den Tourismus neuerlich zu beleben. Hie und da der Grenze ist das Leid grenzenlos und es gibt zahlreiche gegenseitige Solidaritätsbekundungen und materielle Hilfen, um den im Schicksal vereinten Menschen allmählich die Normalität wiederzubringen. Man kommt sich im Leid noch näher und sieht über die kurzfristigen Ausgrenzungen an den staatlichen Grenzen hinweg, auch wenn diese Jahrzehnte gedauert haben. Denn die an einigen Stellen Tausend-Jahr-Wasser haben eine andere, tiefere Dimension. Der Schlamm der Muren hat vielleicht die letzten Vorurteile in sich begraben und den Weg zueinander geebnet und – die Grenzen nichtig gemacht. 

Lojze  Wieser

Lojze Wieser ist Verleger aus Klagenfurt/Celovec. Schwerpunkt seines Programms ist die südosteuropäische Literatur. Er veröffentlichte zuletzt „Geschmackshochzeit 3: Die Vermählung von Alpen und Adria“.

© Karlheinz Fessl

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