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BUGA 2015

Inszenierung einer Landschaft

Die Havel als Flusskulturlandschaft während der Bundesgartenschau 2015

Klaus Neumann12.05.2015

Seit ihren Anfängen vor über 100 Jahren gilt die  Bundesgartenschau (Buga) als Leistungswettbewerb der Gärtner. Doch sie ist noch mehr: Seit der großen allgemeinen Gartenbauausstellung 1896 in Berlin und der ersten Internationalen Gartenausstellung 1897 in Hamburg sind in über 20 deutschen Städten fast 3.000 Hektar neue städtische Garten-, Park-, Spiel und Sportanlagen entwickelt worden, was auch den damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau dazu veranlasste, Bundesgartenschauen anlässlich der Festveranstaltung „50 Jahre Bundesgartenschauen“ in Potsdam am 7. September 2001 als „Motor der Stadtentwicklung“ und  „Olympische Spiele der Gärtner“ zu bezeichnen. Besonders während des Wiederaufbaus nach dem Krieg und in den Zeiten des Zusammenwachsens Deutschlands nach dem Mauerfall betrieb man mithilfe der grünen Leitungsschau nachhaltige Stadt- und Regionalentwicklung.

Mit dem Wandel der globalisierten Wohn-, Arbeits- und Freizeitwelt, mit der Entwicklung von der Landwirtschaft- und Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft sowie mit der Verbreitung moderner, interkultureller und technologisch orientierter Lebensstile, haben Natur und Kultur in der Gesellschaft einen besonderen Stellenwert erhalten. Inwiefern fasste Bundespräsident Joachim Gauck bei der Eröffnung der Internationalen Gartenschau am 24. April 2013 in Hamburg zusammen:  „Gärten sind nicht nur Zeugnisse der unterschiedlichen Kulturen. Sie sind auch ganz allgemein Zeugnisse einmal unseres menschlichen Behauptungswillens gegen die wilde, die unberührte Natur, zum anderen unserer Sehnsucht nach Aufgehobensein und Geborgenheit in der Natur.“

Landschaft Nutzen und Erleben

Gärten haben über Generationen das Erscheinungsbild der heutigen Stadt- und Kulturlandschaft geprägt. Einzigartige Natur-, Kultur- oder auch Industrielandschaften sind entstanden. Die Art und Weise, wie die Natur, wie Gärten, Parks und Landschaften bewirtschaftet werden, wie eine Landschaft genutzt und erlebt wird, wie länderübergreifend gemeinsame Ziele entwickelt und verfolgt werden, ist das Ergebnis von neuen politischen und unternehmerischen Aktivitäten.

Eine neue Ära sowohl der Stadt- und Kulturlandschaftsentwicklung wie auch der „klassischen“ Bundesgartenschauen begann im Frühjahr 2007 unter dem Titel „Von Dom zu Dom – Das blaue Band der Havel“. Als Ziel galt es, eine neuartige Buga zu entwickeln, zur Inwertsetzung ganzer Regionen und Kulturlandschaften, insbesondere zur Entwicklung von wassergeprägten Kulturlandschaften in Flussgebieten. Brandenburgs damaliger Wirtschaftsminister Ulrich Junghans sprach von einem überzeugenden Konzept mit der Philosophie der Gartenschau als „elementare wirtschaftsstrategische Maßnahme der Regionalentwicklung“.

Mit dieser Buga unter dem Motto „Von Dom zu Dom – Das blaue Band der Havel“ beginnt eine neue Ära. Vieles daran, wie die Themen Pflanzen, Garten und Park präsentiert werden, ist neu. So überschreitet die traditionsreiche Ausstellung erstmals die Grenzen eines Bundeslands und findet gleichzeitig in Brandenburg und Sachsen-Anhalt statt. Die Havel verbindet diesen vielfach unbekannten Kultur- und Naturraum und bildet auf über 80 Kilometern die imposante Kulisse für die Buga 2015. Die beiden Dome in Brandenburg a.d. Havel und in der Hansestadt Havelberg sind ihr Anfangs- und Endpunkt. Die Besucher können von Brandenburg a.d. Havel über Premnitz, Rathenow und Amt Rhinow/Stölln bis zur Hansestadt Havelberg per Bahn, Fahrrad, Schiff oder PKW reisen. Jeder Standort hat ein eigenes Thema erhalten.

Die Baukultur der Städte an der Havel, die Architektur und Philosophie der vielen Gutshäuser, Kirchen und Schlösser wären ohne das Grün, das sie umgibt, und die weite, offen geprägte naturnahe Flusslandschaft kaum denkbar.

WIEGE DER KULTUR

Zur Symbiose von Bau- Garten- und Landschaftskultur gehört – wie wohl bisher bei keiner anderen Gartenschauregion – der Bezug zu kulturell herausragenden Persönlichkeiten, die dieses Land und diese Gartenschau-Region wesentlich geprägt haben. Die Region ist Wiege europäischer Baukultur durch einen Karl Friedrich Schinkel, Wiege europäischer Gartenkultur durch einen Peter Jospeh Lenné, Wiege der modernen Fliegerei durch einen Otto Lilienthal, Wiege der optischen Industrie durch einen Eduard Duncker und Wiege des grandiosen subtilen Humors durch einen Loriot (Victor von Bülow). Außerdem haben zahlreiche wissenschaftliche Genies in diesem Umfeld gewirkt, z.B. Max Planck oder Albert Einstein. Jeder der fünf Standorte hat durch seine Geschichte und die individuelle Gestaltung ein eigenes Gesicht erhalten.

Die Berliner Landschaftsarchitekten Klaus Neumann und Thomas Gusenburger haben in Zusammenarbeit mit dem Opernszenografen Peter Sykora Blumenhallen in den historischen Kirchen St. Johannis in Brandenburg a.d. Havel und St. Laurentius in der Hansestadt Havelberg konzipiert. Am „ältesten“ Flugplatz der Welt im Amt Rhinow wird ein Fliegerpark mit eigener Lounge präsentiert. Außerdem gibt es die Möglichkeit, einen „Blütenspaziergang“ entlang des Fliegerpfads zu unternehmen oder die Ausstellung zu Otto Lilienthal zu besuchen. Dieser Teil der Buga ist eine Reminiszenz an den Flugpionier, der an der höchsten Erhebung in der Havelregion vor knapp 120 Jahren seine ersten Flugversuche unternahm.

In der Mitte der Gesamtkulisse der Buga 2015 und zugleich im Zentrum des Naturparks Westhavelland wird in Rathenow, der Stadt der Optik, u.a. an Johann Heinrich August Duncker und somit an den Beginn und die Entwicklung der Optik erinnert. Mit der Erfindung und dem Bau der Vielschleifmaschine legte Duncker im Jahr 1801 die Grundlage für die Herstellung hochwertiger Linsen in Serie und damit den Grundstein zur industriellen Fertigung von Brillenlinsen. Der Optik-Park nimmt mit dem Thema „Farbe und florale Farbbesonderheiten“ ungewöhnliche Sichtachsen und optische Phänomene auf.

Premnitz, die ehemals von Chemie und Energieindustrie geprägte Kleinstadt an der Havel zwischen Brandenburg an der Havel und Rathenow, widmet sich dem Thema der Energie und der nachwachsenden Rohstoffe ebenso wie der „Grünen Küche“, d.h. wie die Energie der Pflanzen auf den Tisch gelangt. Hier werden die Flusslandschaft, ihre Menschen und Rezepte sogar mit einem eigenen Kochbuch „Die Naturküche der Havel“ vorgestellt. Zu den Orten, die man bei einer Tour auf keinen Fall auslassen sollte, gehören  auch das Schloss Ribbeck mit dem durch Fontanes Gedicht zu Ruhm gelangten Birnbaum oder das Landgut A. Borsig.

Die Buga läuft noch bis zum Oktober 2015 und ist wesentlich mehr als „nur“ das klassische gärtnerische Highlight. Auch Angehörige anderer Berufsgruppen können sich Inspiration holen, z.B. Architekten oder Köche.

Und noch etwas macht die Buga zu etwas Besonderem: Sie wurde gegen den heftigen Widerstand und die vehemente Gegenhaltung der damaligen Landesregierung und -minister durchgesetzt.

MITHILFE DER BÜRGER

Dem Willen und der Hartnäckigkeit der Bevölkerung und ihrer Bürgermeister bzw. Amtsdirektoren und der Unterstützung des damaligen Bundesministeriums  für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung  sei dank. „Das Konzept „Von Dom zu Dom – Das blaue Band der Havel“ spiegelt für mich eine integrative Betrachtungsweise und die Darstellung einer Vielzahl von unterschiedlichen Nutzungen wider. Es dokumentiert eine mutige Herangehensweise zur Neuausrichtung von Bundesgartenschauen, die ich für zielgerichtet halte“, heißt es in einem Schreiben des Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung vom 21. September 2007.

Gegen den anfänglichen Willen der Landespolitik aber mittels Bürgerbegeisterung und Euphorie ist so eine Gartenschau in einer Region entstanden, von der Theodor Fontane einst schwärmte: „Jede Quadratmeile märkischen Sandes hat ebenso gut ihre Geschichte wie das Main- und Neckartal – nur erzählt, nur gefunden muss sie werden.“

Klaus Neumann
Prof. Dr. Klaus Neumann (RC Berlin-Süd) ist Landschaftsarchitekt und Professor für Urbanes Pflanzen- und Freiraum-Management an der Beuth Hochschule für Technik in Berlin. Er arbeitet und forscht u.a. zum Thema „Inwertsetzung urbaner Grün- und Freiflächen“. Seit 2016 ist er außerdem Präsident der „Deutschen Gartenbau-Gesellschaft 1822 e.V.“. beuth-hochschule.de