Titelthema
Masken, überall Masken!
Die Maske und ihre unterschiedlichsten Funktionen und Bedeutungen
Mit den ersten Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie hat die Maskenpflicht unterscheidlichste Reaktionen ausgelöst und partiell Emotionen demaskiert. Dabei bedeutet „Maske“ laut Wikipedia, ursprünglich aus dem Arabischen „mashara“ abgeleitet, „Narr, Posse, Hänselei, Scherz“; in einer langen Tradition ist zuletzt die Schutzfunktion dazugekommen.
Vorausgeschickt: Ich bin mir meiner partiellen Inkompetenz in folgend erwähnten fachlichen Bereichen bewusst. Unvollständig und fragmentarisch als Denkanregungen zusammengefasst, erscheint die Maske in unterschiedlichsten Funktionen und Bedeutungen.
Die Maske als Truggesicht
Wir setzen mitunter eine Maske auf, um eine Rolle zu spielen oder uns hinter ihr zu verstecken. Dazu aus dem Stundenbuch/Das Buch von der Pilgerschaft „Ich bin nur einer deiner Ganzgeringen“ von Rainer Maria Rilke (1901): „Zufälle sind die Menschen, Stimmen, Stücke, Alltage, Ängste, viele kleine Glücke, verkleidet schon als Kinder, eingemummt, als Masken mündig, als Gesicht verstummt.“
Oder aus „Die Maske“ in „Fleurs du Mal“ von Charles Baudelaire (1857): „Nicht doch, es ist nur Maske, Zierrat zum Bestechen, Dies Angesicht, das süße Fratze helle küßt; Schau her, dort ist es, dort und schauerlich verzogen, Das wahre Haupt, das Antlitz, wie es wirklich ist; Dort hinter jenes Truggesicht zurückgezogen.“
Bewusste, spielerische Inszenierung seiner selbst kann – alternativ zu Plastiksandalen-Ästhetik oder Birkenstock-Erotik – bisweilen reizvoll und muss nicht unethisch sein.
Die Maske als Charakter
In der antiken Tragödie wurden die einzelnen Charaktere entindividualisiert durch Masken symbolisiert, als „persona“ per se dargestellt. Im weiteren Sinne mag dies eine Fortführung etwa im Puppentheater oder in der Rollenverteilung der unterschiedlich geschminkten und maskierten Clowns (Pierrot versus tolpatschiger Clown – „So ist das Leben, sagte der Clown und malte sich mit Tränen in den Augen ein Lächeln ins Gesicht“) finden.
Hier könnten sich – übergreifend zum „Trugbild“ – bestimmte Charaktere bei Molière und Carlo Goldoni oder partiell Protagonisten aus „Ansichten eines Clowns“ von Heinrich Böll (1963) einreihen; Steven-King-Figuren, Batman und Spider-Woman mögen aktuelle Analogien darstellen.
Von einem alten Bekannten wurde ich auf die Rolle der Masken in außereuropäischen Kulturen verwiesen, wobei
er einen Bogen von Papua-Neuguinea bis zum Mayakult und den Hopi-Indianern spannte. Nicht zuletzt sei auf christliche Rituale wie die Osterumzüge einheitlich vermummter Teilnehmer, vor allem in Spanien oder Süditalien verwiesen, wobei vom Büßer die Identität des Folteropfers angenommen wird.
Die Maskerade
Masken für bestimmte Rollen finden sich zum Beispiel im Harlekin ab dem 12. Jahrhundert. Sie traten neben Schauspielern ohne Maskierung in der Commedia dell ́arte des 16.-18. Jahrhunderts auf. Parallel dazu fand anlässlich höfischer Feste des Barock eine synthetische Entindividualisierung durch stark geschminkte Gesichter und das Tragen von einheitlichen Perücken statt, welche als Gegenbewegung die Zeit der Aufklärung induzierte (siehe Jean-Jaques Rousseaus „Zurück zur Natur“ oder Karikaturen von Honoré Daumier). Auf Karnevalsveranstaltungen, Perchtenumzügen, Maskenbällen oder Halloween-Partys maskiert man sich wohl auch traditionell weiterhin, um Masken fallen lassen zu können – eine Möglichkeit der Enthemmung? Diesem entgegenzuwirken, wird von Teilen des Islam für Frauen das Tragen von Gesichtsmasken bis Burka vorgeschrieben.
Unerkannt hinter einer Maske
Unterschiedlichste Motivationen können Personen oder Gruppen veranlassen, ihr Gesicht zu verbergen. Masken sollen bei vorsätzlichen Verbrechen, wie einem Bankraub, vor Identifizierung bewahren. Berufsgruppen wie Henker oder Scharfrichter sollten in ihrer Tätigkeit nicht als Person, sondern als Vollstrecker handeln. In manchen Demonstrationszügen stehen sich maskierte Teilnehmer (schwarzer Block) und lediglich durch Dienstnummern unterscheidbare Sicherheitskräfte gegenüber. Würden sogenannte Spezialeinheiten etwa bei Einsätzen am Rande Europas ohne volle Vermummung ähnlich hemmungslos agieren?
Die Maske als Schutz
Die ersten medizinischen Schutzmasken sind in Berichten über Pestepidemien ab dem 14. Jahrhundert überliefert. Im 17. Jahrhundert war die vogelschnabelartige Pestarztmaske bei Infektiologen (traditionell „Schnabeldoktoren“) verbreitet. Parallel zum Einsatz von Mund-Nasen-Schutzmasken in Laboren und bei Operationen sprechen viele Daten für den breiten Maskeneinsatz im Rahmen der Covid-19-Pandemie. Erinnern wir uns an die breite Akzeptanz bei fernöstlichen Touristen, bei denen das kontinuierliche Tragen einer Maske aufgrund der heimischen Luftverschmutzung zum Alltag geworden ist.
Masken haben eine lange Tradition mit vielschichtigen Bedeutungen. Im medizinischen Konnex sind Masken fixer Bestandteil etablierter Hygienemaßnahmen. Eine unkritische Verweigerung oder Ablehnung von Masken demaskiert kulturgeschichtliche Defizite und erhöht die Selbst- beziehungsweise Fremdgefährdung.