Eine neue Form der Krise
Medien in der Kritik
Das Jahr 2014 brachte gleich zwei neue politische Kräfte hervor: Während die Alternative für Deutschland (AfD) die Parteienlandschaft durcheinander wirbelte, formierten sich auf den Straßen Dresdens und andernorts Demonstranten unter dem Namen »Pegida«. Die Beiträge dieses Magazin-Specials widmen sich – auf durchaus unterschiedliche Weise – einzelnen Aspekten dieser Erscheinungen und versuchen sich an einer Deutung ihrer Ursachen und Folgen.
Zu den auffallenden Merkmalen der sogenannten „Pegida“-Bewegung gehört die Weigerung, sich der Öffentlichkeit zu erklären. „Lügenpresse“ und ähnliches skandierten die Demonstranten während ihrer vorweihnachtlichen Märsche und weigerten sich, mit Journalisten überhaupt zu reden. Ein Phänomen, das viele Kollegen verwundert, sind sie doch normalerweise gewöhnt, dass jedermann zu ihren Mikrofonen drängt, um sich zu erklären.
Andererseits befinden sich die Medien schon seit geraumer Zeit in einer Krise. Neben dem kontinuierlichen Wegbrechen der Auflagen und Anzeigenerlöse bei den Zeitungen und Zeitschriften verloren die professionellen Meinungsmacher insgesamt zuletzt dramatisch an Glaubwürdigkeit. So haben zum Beispiel nach einer Umfrage des NDR-Medienmagazins ZAPP 63 Prozent der Deutschen wenig oder gar kein Vertrauen in die Ukraine-Berichterstattung deutscher Medien. Andere Umfragen bestätigen diesen Vertrauensverlust. Der Direktor der sächsischen Landeszentrale für irgendwas mit neuen Medien, Frank Richter, fasst die Stimmung mit Blick auf die Dresdner Pegida-Demonstranten folgendermaßen zusammen: „Wir reden nicht mehr mit der Politik und den Medien“, denn „ihr hört uns doch sowieso nicht zu.“ Damit sei der „Tiefpunkt für unser politisches System erreicht“.
Ursachen einer Fehlentwicklung
Tatsächlich wäre ohne Kommunikation und Diskussion – und zwar nicht nur zwischen den Medien und ihren Nutzern, sondern auch zwischen der Politik und ihren Wählern – das Ende unseres demokratischen Systems erreicht. Doch was sind die Ursachen für die Krise? Dazu einige Thesen, wobei dem Autor klar ist, dass es „die Medien“ als einheitlichen Block nicht gibt. Gleichwohl gibt es bei zahlreichen Vertretern der Zunft gewisse einheitliche Verhaltensmuster:
1. Journalisten pflegen hierzulande oft eine Art „Hinrichtungsjournalismus“. Dabei wird nicht versucht, Menschen Ausdruck zu verleihen, sondern sie bewusst misszuverstehen, Aussagen zu verkürzen, aus dem Zusammenhang zu reißen, um so diese Menschen negativ vorzuführen – denn das schafft Schlagzeilen. Profis umgeben sich deshalb mit Pressesprechern und Anwälten; sie lassen sich Interviews zur Autorisierung vorlegen und schwächen problematische Aussagen ab. Menschen, denen ein Presserechtler nicht zur Verfügung steht, bleibt jedoch nur das Schweigen.
Meinung statt Fakten
2. Im Vordergrund stehen keine Sachverhalte, sondern die „Skandalisierung“, die Aufdeckung vermeintlicher Missstände und das Anprangern der Schufte. Dies ist sicherlich auch eine Aufgabe des Journalismus, aber eben nur auch. Doch hat sich diese Vorgehensweise längst verselbständigt – ohne Rücksicht auf die Betroffenen. Im Jahre 2000 geriet etwa die sächsische Kleinstadt Sebnitz in die Schlagzeilen, weil angeblich der sechsjährige Joseph Kantelberg-Abdullah von rassistischen Jugendlichen im Freibad ertränkt worden war. Journalisten eilten in die Stadt, um über das vermeintlich braune Nest zu berichten, der damalige Bundeskanzler empfing Josephs Mutter. Doch auch nachdem sich herausgestellt hatte, dass der Junge tatsächlich an einem Herzversagen verstorben war, konnte sich Sebnitz nicht von dem medialen Rufmord erholen. Der sächsische Politiker Arnold Vaatz erzählte Jahre später, dass er Menschen kennt, „die seit dieser Zeit jegliche Kommunikation nicht nur mit den Medien, sondern auch mit der Politik abgebrochen haben.” Auch der Fall des früheren Bundespräsidenten Wulff fällt in diese Kategorie: Die Vorwürfe, die monatelang in den Medien gegen ihn erhoben wurden, fielen in sich zusammen – allerdings erst, nachdem er aus dem Amt gedrängt worden war.
3. Meinung überdeckt die Fakten. Die klassische Trennung von Kommentar und Nachricht wurde praktisch aufgehoben. Stories erhalten einen „Spin“, eine Zuspitzung auf ein einfaches Erklärmodell. Dabei laufen Journalisten Gefahr, sich zum Handlanger der Politik zu machen. Sie möchten den Mächtigen gern nahe sein, um Informationen zu erhalten. Doch Nähe setzt ein Mindestmaß an Zustimmung voraus. Also teilen Journalisten den „Spin“, den die Politiker den Ereignissen geben. Politiker und PR-Agenturen haben gelernt, sich diese Neigung von Journalisten zunutze zu machen. So werden sie mit „Spins“ programmiert und reproduzieren diesen dann immer wieder aufs Neue.
4. Journalisten teilen bestimmte Werte – wodurch eine ausgeprägte Einseitigkeit entsteht. In Deutschland verstehen sich Journalisten mehrheitlich dem linken oder grünen Spektrum zugehörig, was an sich nicht verwerflich ist. Allerdings besteht ihr Berufsethos darin, sich als „Meinungslenker“ zu verstehen; während etwa angelsächsische Journalisten sich als „Nachrichten-Geber“ sehen. Zudem wollen wie alle Menschen auch Korrespondenten, Redakteure und Leitartikler in der Gruppe geachtet werden. Dadurch entsteht ein Gruppendruck. Der ehemalige britische Premierminister Tony Blair beschrieb den Mechanismus kurz vor seinem Rücktritt so: „Aus der Sorge, etwas zu verpassen, jagen die Medien heute, mehr als je zuvor, in einem Rudel. In diesem Modus sind sie wie ein wildes Biest, das Menschen und Reputationen einfach in Stücke reißt.“
5. Nicht zu unterschätzen ist die Zentralisierung auf Berlin als Medienstandort. Das redaktionelle Herz vieler Regionalzeitungen schlägt nicht mehr in München, Hannover oder Düsseldorf, sondern in der Hauptstadtredaktion und gleicht sich somit den Sichtweisen anderer Kollegen an, die in Berlin-Mitte zwischen dem Restaurant „Borchardt“ und dem Café „Einstein“ vorgefertigt werden. Evelyn Roll, langjährige Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung, spricht von einer „freiwilligen Gleichschaltung“. Zum Ausbruch aus dem Rudel fehlt der Mut.
Wachsende Entfremdung
Dadurch, dass Politik und Medien heute eine fast geschlossene Gemeinschaft bilden, wächst die Entfremdung zu den Bürgern. Dringende Fragen von „unten“ werden „oben“ nicht mehr gehört oder ignoriert, was wiederum zu Frust führt. Viele Menschen fragen sich, warum in Deutschland zwar die Gleichstellung der Frau unter großem Getöse weitergetrieben wird – aber islamische Frauen hinter Schleiern und Burkas verschwinden, warum Zwangsehen üblich sind und Parallelkulturen entstehen. Andere verstehen nicht, warum den Deutschen in den Medien ständig Ausländerfeindlichkeit und Integrationsverweigerung vorgeworfen wird, wo es doch offenkundig ein Teil der Migranten ist, der weder Deutsch lernt, noch sich in die hiesigen Sitten und Kulturen eingliedern will. Oder, um ein Beispiel zu nehmen, das nicht mit Migration zu tun hat: Obwohl sich die übergroße Mehrheit der in unserem Lande lebenden Jugendlichen wünscht, in stabilen Partnerschaften zu leben und eines Tages gemeinsam Kinder großzuziehen, werden traditionelle Familienbilder regelmäßig als altbacken und reaktionär dargestellt und so getan, als ob das Single-Dasein die allein seligmachende Lebensform ist.
Wer diese oder andere Beobachtungen hinterfragt riskiert, ganz schnell ausgegrenzt zu werden. So bezeichnete der nordrhein-westfälische Innenminister Jäger die Dresdner Demonstranten als „Nazis in Nadelstreifen“, und der Grünen-Chef Özdemir nannte sie schlicht „Mischpoke“. Diejenigen Medien, die vor Ort waren, zeigten ausschließlich solche Meinungsäußerungen, die zur Skandalisierung taugten, und nicht jene Beispiele, in denen Menschen einfach nur ihre Sorgen äußerten. Ein solches Agieren führt dazu, dass wir Konflikte nicht mehr benennen. Ist es dann ein Wunder, dass Menschen sich zu Unrecht behandelt fühlen, und sie nicht nur den Glauben in die Politik, sondern auch in das gesendete oder gedruckte Wort verlieren?
In NRW darf die Polizei Merkmale, die auf die ethnische Herkunft von Tätern hinweisen, nicht mehr zur Fahndung einsetzen. Das hat die Aufklärungsquoten gesenkt, das gute Gefühl der Gutmenschen optimiert – und die Opfer allein gelassen. Doch hier blieb der Aufschrei oder auch nur ein kritisches Nachfragen der Medien aus. Diese gutgemeinte, aber die Wirklichkeit verschleiernde Berichterstattung nimmt zu, wenn es um gesellschaftsverändernde Themen gibt. Die Unterstützung für Frauen, die ihre Kinder lieber selbst erziehen anstatt sie Krippen anzuvertrauen, wird als „Herdprämie“ diffamiert. Zudem häufen sich Berichte, wonach von Frauen geführte Unternehmen wirtschaftlich erfolgreicher seien als von Männern geführte – doch gibt es dafür keine belastbaren Belege. Aber um die gewünschte Absicht – nämlich Frauenquoten einzuführen – voranzutreiben, erscheint jeder manipulative Umgang mit Fakten gerechtfertigt.
Das Verhalten vieler meiner Kollegen – natürlich gibt es auch Ausnahmen – erinnert an die bitterböse Parabel, die Bert Brecht nach dem Niederschlagen des Volksaufstands in der DDR in seinem wunderschönen Band „Buckower Elegien“ geschrieben hat: „Das Volk hat das Vertrauen der Regierung verscherzt. Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?“ Die Medien haben offensichtlich beschlossen, sich neue Leser und Zuschauer zu wählen, weil ihnen die noch vorhandenen nicht klug, nicht links, nicht grün und überhaupt nicht modern genug sind. Dazu passt, dass die Süddeutsche ihre Kommentarfunktion im Internet schließt und die ARD dies für die Tagesschau erwägt. Lesermeinungen sind einfach zu dumm für die Inhaber des erhobenen Zeigefingers.
Die einzige Frage, die notorisch unbeantwortet bleibt: Wo findet man die bloß, diese neuen Leser, die sich ständig belehren und beschimpfen lassen und die demütig konsumieren, was ihnen als Schreibeintopf tagtäglich vorgesetzt wird?