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Mit der U-Bahn zum Fisch

Titelthema - Mit der U-Bahn zum Fisch
Beim Streetfishing geht es vor allem um das Erlebnis und die Eroberung der Stadt. Wer den schwersten Fisch an Land zieht, ist Nebensache. © Florian Läufer

Streetfishing, das Angeln im Großstadtdschungel, begeistert immer mehr Menschen. Eine junge, hippe Szene hat eine neue Subkultur geschaffen.

Florian Läufer01.08.2020

Hamburgs schönste Flecken auf dem Stadtplan sind blau. Elbe, Alster und Bille prägen maßgeblich das Stadtbild und locken seit jeher Angler an ihre Ufer. Nur: Wo früher wortkarge Männer auf Klappstühlen saßen und meditativ auf ihre Rutenspitze starrten, hat inzwischen längst die junge Generation übernommen. Was gestern noch als kauzig galt, ist heute cool. Der lange Regenmantel ist einem modernen Outfit gewichen, und so mancher Streetfisher – so nennen sich die jungen Großstadtangler – ist kaum von einem Skateboarder zu unterscheiden. Man darf es so sagen: Fashion und Fishing gehören zusammen! Hier hat sich eine völlig neue Subkultur gebildet.

Neben Rotterdam und Paris ist Hamburg zu einem der wichtigsten Standorte des urbanen Lifestyles Streetfishing geworden. Die Szene wird in der Hansestadt auf einige Hundert Angler geschätzt, kaum einer ist älter als 30 Jahre. Soziale Medien wie Facebook und Instagram dienen zur Vernetzung untereinander und um die Ereignisse miteinander zu teilen. Apropos, beim Streetfishing geht es in erster Linie ums Erlebnis, nicht ums Ergebnis. Da passtes ins Bild, dass das diesjährige World Street Fishing Festival Hamburg (13. bis 15. November) mit 80 Teilnehmern unter dem Motto „We are one!“ stattfindet. In der Wertung werden die schönsten Fotos, nicht die  größten Fische, prämiert.

Tuning für tolle Fänge

Geangelt wird übrigens fast ausschließlich mit Kunstködern, also aus Holz, Kunststoff oder Metall hergestellten Ködern, denen der Angler durch geschickte Führung erst noch Leben einhauchen muss, damit sie von Fischarten wie Hecht, Barsch und Zander als Beute angesehen werden. Ein langweilig eingeleierter Wobbler (Fischimitation aus Holz oder Kunststoff) ist für Raubfische wenig attraktiv. Erst wenn dem zahnbesetzten Hecht vorgegaukelt wird, es handle sich um ein verletztes Fischchen, wittert er leichte Beute und schlägt blitzartig zu.

Um den wenige Gramm leichten Köder verführerisch aufflanken zu lassen, kurze Fluchtversuche vorzutäuschen oder ein kränkelndes Taumeln zu animieren, ist neben dem Können besonderes Gerät notwendig. Feinnervige Ruten und besonders leichtgängige Rollen, bespult mit dünnsten Schnüren und oft aus Japan oder den USA importiert, gehen häufig für einen vierstelligen Betrag über den Ladentisch. 

Und: Tuning ist unter Streetfishern genauso Thema wie in anderen technischen Hobbys. Handgebaute Ruten, Edelholzgriffe an den Rollen und selbst kreierte Köder sind keine Raritäten. Oft werden auch die Kugellager der teuren Angelrollen gegen noch leichtgängigere ausgetauscht, um auf einige Meter zusätzliche Wurfweite zu kommen. Vielleicht stehen die Barsche ja etwas weiter vom Ufer entfernt.

Das Gepäck eines Streetfishers passt in einen kleinen Rucksack. Prall gefüllt mit fingerlangen Fisch-, Wurm- und Krebsimitationen, bildet der das Fundament für einen erfolgreichen Angeltag. Bis zu 30 Euro kann ein einzelner hochwertiger Kunstköder kosten, der im Inneren über bis zu zehn Kammern verfügt und mit kleinen Stahl- oder Wolframgewichten perfekt ausbalanciert ist. Aber auch täuschend echte, im Airbrush-Verfahren lackierte Gummiköder gehören ins Repertoire. Um eine Idee von den Dimensionen zu bekommen: Deutschlands wichtigster 

Onlinehändler (Anm.: Camo Tackle) für dieses Genre hat rund 12.000 Köder und Zubehörartikel in seinem Programm.

Es wird schon fast philosophisch, wenn sich zwei, drei Streetfisher geheimnisvoll wie mittelalterliche Alchimisten über ihre Ködersammlungen beugen und im Flüsterton darüber sinnieren, welches Imitat heute wohl die Fische zum Zupacken verleiten wird. Doch was nützen all die Erklärungen, Mutmaßungen und Theorien, die im Brustton der Überzeugung verteidigt werden? Am Ende heißt es: „Wer fängt, hat recht!“ Und damit ist alles gesagt.

Botschafter des Angelns

Ein weiterer Schlüssel zum (Fang-)Erfolg: mobil bleiben! Wer will da schon kiloweise Equipment transportieren? Und überhaupt, das wichtigste Transportmittel in der Großstadt sind – neben dem guten alten Drahtesel – die öffentlichen Verkehrsmittel. Mehr als Rute, Rolle und Rucksack ist da nur hinderlich. Die Fische sind nicht willkürlich im Wasser verteilt und müssen täglich neu gesucht werden, da sie ihre Standorte häufig verlegen. Wenn die Barsche gestern noch im Hafenkanal nahe der U-Bahn-Station Rödingsmarkt gebissen haben, können morgen die Alsterfleete an der U-Bahn-Linie 3 im schicken Stadtteil Winterhude Erfolg versprechender sein.

Die Freude über einen gefangenen Fisch lässt sich bei der urbanen Angelei häufig gleich mit etlichen fremden Personen teilen. Wer zwischen Hochhausburgen, Brücken und Anlegern von Ausflugsschiffen seine Angel auswirft, ist selten alleine. Neugierige Fragen von Passanten werden üblicherweise gern beantwortet. Und so sehen sich viele Streetfisher gleichzeitig als eine Art Botschafter der modernen Angelei und freuen sich, wenn sie einen kleinen Beitrag zu einem besseren Image der Angler beitragen können.


Buchtipp

 

 

Florian Läufer

Kosmos Praxishandbuch Angeln

Kosmos Verlag, 2018, 208 Seiten,

29,99 Euro

kosmos.de

Florian Läufer

Florian Läufer ist mit der Angel in der einen und dem Fotoapparat in der anderen Hand um die halbe Welt gereist. Nach einem Volontariat arbeitete er bis 2015 als Redakteur beim Angelmagazin Rute & Rolle und veröffentlichte ein Dutzend Sachbücher zu diesem Thema. Heute ist der gebürtige Hamburger als professioneller Fotograf selbstständig.

florianlaeufer-fotografie.de