Standpunkt
Paartherapie für Rotary
Mitglieder klagen häufig über Zeitmangel und die Unvereinbarkeit rotarischen Lebens mit der Familie. Warum also nicht einfach den Partner als Mitglied werben?
Eigentlich wollte ich diesmal ohne Zitate auskommen, aber bei diesem spannenden Thema muss es sein: Unser RI-Präsident Barry Rassin sagte in seiner Antrittsrede in San Diego unter anderem: „Rotarys Werk beginnt oder endet mit keinem von uns. Tatsächlich ist es unsere Aufgabe, das Fundament unserer Vorgänger gestärkt und verbessert an unsere Nachfolger zu übergeben!“ Dazu bedarf es Mut, Weitsicht und vor allem ein paar neuer schöpferischer Einfälle, Inspirationen eben.
Über eine besondere möchte ich berichten. War unsere viel zitierte Family of Rotary, bestehend aus Männern, Frauen und Jugendlichen, und ihre Verteilung in Rotary Clubs hier, Inner Wheel da und Rotar act dort, damit eigentlich hinreichend beschrieben? Nein, natürlich nicht. 1989 stellte RI daher klar, dass es keine „Herrenclubs“ geben dürfe, und bis heute sind immerhin deutschlandweit 11,5 Prozent unserer Mitglieder weiblich, weltweit übrigens doppelt so viele. 2010 gab RI dann die Gründung von E-Clubs frei, um der zunehmenden Mobilität gerade jüngerer Kandidaten gerecht zu werden.
Nun ist die Zeit reif, eine weiteres, entscheidendes Element unserer Familie in den Fokus zu nehmen: berufstätige Ehepaare beziehungsweise Lebenspartner. Dass sie gemeinsam im selben Rotary Club erfolgreich wirken können, macht der RC Schweinfurt Friedrich-Rückert seit 2016 vor. Nun hat sich dieses Konzept als nachahmenswertes Erfolgsmodell erwiesen: Ende Mai wurde der RC Eltville Rhein-Main gechartert – mit 20 Ehepaaren (!) sowie zehn Einzelmitgliedern! Nicht nur diese Kopfzahl, sondern auch die Altersstruktur zwischen 30 und 73 Jahren sowie die Frauenquote von genau 50 Prozent sind bemerkenswert!
Die Widerstände gegen die Gründung waren übrigens nicht unerheblich, kamen jedoch nicht unerwartet, denn wo gelingt schon eine Neugründung ohne sie? Als einer von zwei Gründungsbeauftragten habe ich diese Gründung mit vorbereitet, betreut und die Auswahl der Kandidatinnen und Kandidaten verantwortet. Selbstverständlich stand das Postulat der „Rotarabilität“ ganz oben an, nur werden wir es im 21. Jahrhundert mit all seinen veränderten Lebens-, Kommunikations- und Berufsvoraussetzungen entsprechend neu beschreiben und anwenden dürfen, nein müssen – wie es RI seit dem CoL 2016 vorgibt, Stichworte Präsenzen, Hybridmeetings oder vereinfachte Mitgliedschaftsvoraussetzungen (Art. 10, Abs. 1, Einheitliche Verfassung).
Bevor wir statt des rotarischen Allerwelt-Imperativs „Qualität vor Quantität!“ unser entwicklungsdynamisches „Potenzial vor Position“ entgegensetzten, hat uns zunächst und vielmehr die Motivation der Paare interessiert, gemeinsam Rotary beizutreten. Und es kam Erstaunliches zutage. In den Vorstellungsrunden äußerten nämlich praktisch alle Paare, dass sie sich niemals – trotz aller löblichen Ziele und Werte – für das zeitintensive rotarische Engagement entschieden hätten, gäbe es nicht die Möglichkeit, Rotary zusammen zu erleben, gemeinsame Abende und Veranstaltungen zu bestreiten, sich gegenseitig zu stärken im Engagement für Rotarys Ideen und sich dank der neuen Freundschaften für Neues zu interessieren.
Viele seien bereits anderweitig sozial und/oder ehrenamtlich aktiv, der eine da, die andere dort. Wenn jetzt nur ein Partner Rotarier/-in würde, wären wieder viele Abende, partnerschaftlich gesehen, futsch. Natürlich sei ihnen klar, dass sie nicht immer zusammen bei den Meetings sein könnten, aber die persönlichen wie die Wochenberichte würden die Begeisterung hochhalten. Familienfreundliche Wochenenden mit „Kind & Hund“ wären weitere Bausteine für ein gestärktes und dauerhaftes Clubfeeling. Folgende Bedenken möchte ich gleich zerstreuen: Ob in der Gründungsphase oder danach qua Aufnahmeausschuss, alle Kandidaten und Kandidatinnen müssen natürlich berufstätig sein, selbstständig oder angestellt, evtl. auch gewesen sein, wenn man an ältere Paare denkt.
Dass man eventuell einen Partner aufnehmen müsse, der unsere Werte nicht teile, sehe ich nicht. Warum sollte er sich bewerben? Und was ist bei einer Scheidung? Ja, was soll sein – bleiben, Club wechseln, austreten, aber die Scheidungsquote unter Rotariern liegt weit unter dem Bundesdurchschnitt von 40 Prozent, also kein gravierendes Problem. Gegen die Aufnahme von Paaren in zwei getrennten Clubs spricht übrigens auch nichts. Und es geht überhaupt nicht um Mengenwachstum, es geht um ein strukturelles Wachstum, das heißt mehr Jüngere, mehr Frauen, mehr Aktive in die Clubs. Und warum sollte diese Paar-Therapie nicht weitere Clubs inspirieren, peu à peu, ganz wie Barry es will.
Peter Kadow
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