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Patriot, Brückenbauer, Weltbürger

Rotary Aktuell - Patriot, Brückenbauer, Weltbürger
Eric M. Warburg an seinem Schreibtisch in der Ferdinandstraße 75 in Hamburg © Ullstein Bild/Carl Schütze

Quasi in letzter Minute war Eric Warburg im August 1938 vor den Nazis von seiner Heimatstadt Hamburg nach Stockholm und dann weiter in die USA geflohen. Sein Leben spiegelt auf exemplarische Weise Tragik und Traumata der deutschen Geschichte wider

Birgit Wetzel01.08.2020

Eric M. Warburg, 1900 geboren, wuchs wohlbehütet in einer jüdischen Bankiers-Familie in Hamburg auf, zusammen mit vier Schwestern. Seine Vorfahren waren im 17. Jahrhundert dorthin gekommen. Die große Familie lebte über mehrere Länder verteilt, doch man pflegte den Kontakt zueinander.

In der Schule hatte Eric Warburg ein besonderes Interesse an Geschichte. Lebendige Geschichte erlebte er während des Ersten Weltkrieges, wenn sich sein Vater in abendlichen Runden mit Akteuren aus Politik und Wirtschaft traf. Zu den regelmäßigen Gästen zählten sein Patenonkel Albert Ballin, der ehemalige Reichskanzler von Bülow, der Chefredakteur des „Hamburgischen Correspondenten“, Felix von Eckhardt, der spätere Bürgermeister von Hamburg Carl Petersen, der Währungsexperte Dr. Friedlich Bendixen und weitere bekannte Persönlichkeiten.

Seine Lehr- und Wanderjahre machten aus dem Hamburger einen Weltbürger. 1918 begann er seine Ausbildung in Berlin, dann 1920 in Frankfurt, wo er unterschiedliche Aufgaben im Bankhaus Dreyfus lernte, und ging dann nach Lübeck. Das kleine und gemütliche Lübeck gefiel ihm gut. Die Wochenenden verbrachte er allerdings oft in Hamburg, wo er das Segeln lernte. Von dort ging es weiter nach London zu Rothschild & Sons.

Erster USA-Aufenthalt

1923 fuhr Warburg zum ersten Mal nach New York. In den USA traf er Verwandte und viele Freunde. Statt einem blieb er drei Jahre, doch dann ging es wieder zurück nach Deutschland.

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Die deutsche Privatbank M.M. Warburg & Co hat ihren Sitz in Hamburg © Stiftung Warburg-Archiv

Im September 1930 verzeichneten die Nazis große Gewinne bei der Reichstagswahl – die ersten deutlichen Zeichen für die anstehende Entwicklung. Dennoch blieben die Warburgs in Hamburg, ihrem Hamburg. Bereits Anfang der 30er Jahre hatte sich ein Kreis von rund 30 Freunden gebildet, ein „Kreis junger Hamburger“, der sich jede Woche traf und Pläne schmiedete, wie er der Radikalisierung der Gesellschaft begegnen könnte. Doch die Dinge nahmen ihren Lauf. Erics Vater Max Warburg war entschlossen, in Hamburg zu bleiben, nicht zuletzt um seine Kontakte zu nutzen und denen bei der Ausreise zu helfen, die in Not waren. 1933 riet der Vater seinem Sohn, jetzt doch in die USA auszuwandern, aber Eric lehnte es ab. „Ich wollte nicht – als einziger Sohn – ihn in einem KZ in Deutschland und mich auf der Park Avenue in New York erleben“, schreibt Eric Warburg in seinen Erinnerungen. Amerika war für ihn das Land, in dem er sich gut akklimatisiert hatte, wo zwei seiner Onkel, unzählige Cousins und Cousinen und sehr viele Freunde lebten. Vor allem aber war ihm klar, dass Hitler im Kriegsfall nicht an den deutschen Grenzen anhalten würde. Die USA schienen aber ein sicherer Ort zu sein.

Hilfe bei der Auswanderung

In den 1930er Jahren waren die Warburgs gezwungen, zahllose Aufsichtsratsstellen und Ämter aufzugeben. Die Ersten, die ihn hinauswarfen, waren die Rotarier. Und das, obwohl er ein Gründungsmitglied des Clubs war. Das Wort „untragbar“ machte die Runde. Eric Warburg half zahlreichen Freunden und jüdischen Kunden, die auswandern wollten.

Mit den Nürnberger Gesetzen 1935 war restlos klar geworden, dass die Warburg-Bank ihre Position nicht würde halten können. Der langjährige Mitarbeiter und Generalbevollmächtigte Dr. Rudolf Brinkmann wurde zum Teilhaber sowie Paul Wirtz. Weitere Freunde beteiligten sich mit Kapital, und so entstand die Firma M.M.Warburg & Co KG. Am 31. Mai 1938 übernahm die neue Leitung. Wenig später, am 23. August 1938, nahm Eric Warburg schweren Herzens Abschied von Hamburg. Bis zum letzten Tag hatte er gehofft, das vermeiden zu können. Warburg segelte über die Ostsee nach Stockholm und fuhr per Dampfer weiter nach New York.

Kriegsjahre in den USA

Die Kriegsjahre erlebte Eric Warburg in den USA. Durch seine vorherigen Aufenthalte konnte er binnen sehr kurzer Zeit die US-Staatsbürgerschaft erhalten. Nach dem Angriff auf Pearl Harbor meldete er sich zur US-Armee. Er hatte den USA viel zu verdanken und wollte seinen Beitrag leisten. Als 42-jähriger Junggeselle absolvierte er den ersten Ausbildungslehrgang. Weitere Einsätze und Schulungen brachten ihn zu diversen Einsatzgebieten im Krieg, bis zu den Geheimdiensten der Alliierten. Als er von Plänen zur Bombardierung von Lübeck hörte, suchte er nach Wegen, die Stadt zu retten. Nachdem die offiziellen Wege seinem Rat nicht zugänglich waren, rief er das Rote Kreuz in Genf an und berichtete dort, in Lübeck seien Hilfspakete für die britischen Kriegsgefangenen gelagert. So wurde die Stadt verschont.

Bei der Diskussion um die Grenzen nach Ende des Krieges konnte er die Alliierten überzeugen, dass nicht die Elbe die neue Grenze markieren sollte, weil das Russland eine zu starke Position innerhalb Europas einräumen würde, sobald die Alliierten wieder nach Hause zurückkehren würden. So blieben seine Heimatstadt Hamburg und sein geliebtes Lübeck auf westlicher Seite. Bei den Befragungen im Rahmen der Entnazifizierung hatte Eric Warburg unter anderem die Aufgabe, Hermann Göring zu befragen.

Im Herbst 1945 kehrte er nach New York zurück. Dort versuchte er, die New Yorker Firma wieder aufzubauen. Ende 1945 lernte Eric Warburg seine Frau Dorothea Thorsch kennen. Es war die Zeit gekommen, eine Familie zu gründen. Bis in die 60er Jahre lebten sie mit drei Kindern in White Plains.

Während vieler Geschäftsreisen nach Europa traf Eric Warburg John McCloy, den neu ernannten Hohen Kommissar, in seiner Villa in Bad Homburg. Er konnte ihn überzeugen, dass eine Demontage der deutschen Industrie nicht nötig wäre. Das deutsche Volk könne sonst „nicht leben und nicht arbeiten“. Das Gespräch war eines von vielen, in denen sich Warburg für Deutschland einsetzte. 1957 entschloss er sich, wieder nach Hamburg zurückzukehren. „Ich wusste von so vielen, die in den Jahren des Dunkels dem Unrecht widerstanden hatten, und kannte andererseits diejenigen, die sich der Macht gebeugt hatten. Die Aufrechten hatten nach meiner Rückkehr nur den einen Wunsch des Sichverstehens – trotz allem, was geschehen war“, stellte er fest.

Brückenschlag

Nach dem Holocaust schien es ihm notwendig, dass die Juden in Mitteleuropa dort weiter machen sollten, wo sie in der Vergangenheit kulturell und wissenschaftlich ihren Beitrag geleistet hatten. „Das Sich-wieder-verstehen-Lernen ist gerade in den Spannungsfeldern West-Ost und Nord-Süd nicht nur für die Gemeinschaft, aber für jeden Einzelnen von Bedeutung.“

Eric Warburg wirkte an zahlreichen Plätzen, im Kleinen und im Großen. Er war ein Jude und ein Patriot. Er wirkte mit am Brückenschlag zwischen den USA und Deutschland und war Begründer der Atlantik-Brücke. Er betätigte sich als Vermittler zwischen den Mächtigen und er half denen, die Hilfe benötigten. Er war ein Vorbild. Er verstarb im Juli 1990.

Birgit Wetzel
Dr. Birgit Wetzel (RC Ahrensburg) ist freie Wirtschaftsjournalistin und arbeitet seit vielen Jahren für den Langzeit-Schüleraustausch, zurzeit als Multidistrikt-Beauftragte East/Southeast Europe. www.birgitwetzel.de

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