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Tichys Denkanstoss

Plötzliche Renaissance

Tichys Denkanstoss - Plötzliche Renaissance
© Illustration: Jessine Hein/illustratoren

Während draußen in der Welt der Wirtschaftsprotektionismus propagiert wird, erfährt hierzulande der Freihandel Zuspruch von unerwarteter Seite.

01.03.2017

Wie schnell sich doch die Sichtweisen ändern: Im vergangenen Herbst warben für den Freihandel nur noch Groß­konzerne und die letzten Neoliberalen. Auf den Straßen kämpfte ein „breites Bündnis“ von Kirchen, Gewerkschaften, Greenpeace und Grü­nen gegen TTIP und CETA, die transatlantischen Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada. Neuerdings wird wieder offen für CETA geworben. Denn in Deutsch­land geht die Angst um – dass der Export als Motor der heimischen Wirtschaft infragegestellt werden könnte. Bis zu 17 Prozent des deut­schen Außenhandels seien aktuell gefährdet, rechnet Hans-­Werner Sinn, der langjährige Direktor des München Ifo-Instituts vor: wegen der protektionistischen Tendenzen in den USA und durch den „Brexit“.

Ungleiche Verteilung
Historisch gesehen sind die Deutschen die Gewinner des welt­weiten Handels. Das war vor dem Ersten Weltkrieg so; der Hochzeit des Freihandels mit einer globalen Goldwährung, Pass- und Visafreiheit und offenen Märkte. In der Zwischenkriegszeit würgten Au­tarkie und neue Grenzen die Wirtschaft ab; besonders betroffen war wiederum Deutschland in der Mitte des zerfallenden Europas. Nach 1945 öffneten die USA ihre Märkte, damit Deutschland, Frankreich und Ita­lien Dollar für den Wiederaufbau erwirtschaften konnten. Später nutzten China und Asien diese Chance.

Aber die Gewinne des globalen Handels sind ungleich verteilt: Zunächst die deutsche, dann die asiatischen Volkswirtschaften wuchsen schneller als die der USA. Deshalb auch will US-Präsident Donald Trump arbeitsintensive Produktion wieder ins Land zu holen. Dabei geht es nicht nur um einzelne Montagewerke der Auto-Industrie, nicht nur um Zölle und Handelsverbote. Die Exportfähigkeit eines Landes hängt ja nicht nur von der Qualität der Güter und Dienstleistungen ab, sondern auch von seiner Währungspolitik. „Deutschland beutet andere Länder mit einer unterbewerteten impliziten Deutschen Mark aus“, schimpft Peter Navarro, Trumps Wirtschaftsberater.

Damit ist klar, dass die protektionistische Politik Trumps sich nicht nur gegen Mexiko, sondern direkt auch gegen Deutschland richtet. Angriffspunkt ist die Währungspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB): Mit ihrem massiven Ankauf­programm von weitgehend wertlosen Anleihen aus Südeuropa mit dem Ziel einer radikalen Niedrigzinspolitik hat sie den Außenwert des Euro gedrückt. So sollen Exporte gefördert und das Wachstum in Südeuropa angeregt werden. Für Navarro ist das eine Art der Währungsmanipulation, gegen die sich die USA seit langem zur Wehr set­zen.

Tatsächlich lässt sich der Vorwurf der Währungsmanipulation nicht ganz von der Hand weisen, bestätigt Hans-Werner Sinn: Die deutschen Exporterfolge seien maßgeblich unterstützt durch die Währungspolitik der EZB. Deutschland sei im Euro-Raum und im Verhältnis zum Dollar jeweils um ca. 20 Prozent unterbewertet. Jetzt streiten sich die Gelehrten, ob die Deutschen wegen des Euro so erfolg­reich exportieren, oder ob es an der unschlagbaren Qualität ihrer Produkte liegt. Doch diese Debatte wird das Grundproblem nicht lösen. „Die Bedingungen der Globalisierung werden neu verhandelt“, nennt das der frühere hessische Ministerpräsident Roland Koch, mittlerweile im Aufsichtsrat der Schweizer Groß­bank UBS.

Freihandel erschien lange als eine Art Grundgesetz der Welt. Jetzt zeigt sich, dass er mühsam erkämpft wurde und verteidigt werden muss – mit und ohne Trump. Den Wert mancher Errungenschaften bemerkt man eben erst, wenn ihre Existenz bedroht ist.