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Post von Mao

Titelthema - Post von Mao
STRATEGEM 25 - Die Balken stehlen und gegen morsche Stützen austauschen. © Illustration:Caudia Lieb

Die frühen K-Gruppen und die Jugendrevolte der 70er bescherten auch Westdeutschland einen regelrechten Mao-Hype. Heute ist davon nicht mehr viel zu sehen.

Bernd Ziesemer01.03.2020

Deutschlandsallerletzte Maoisten glauben nicht mehr an China, wohl aber an den „Großen Vorsitzenden“. Mao Zedongs Lehren seien „unverzichtbar für den Sieg der Revolution“, heißt es in den Leitlinien der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD). Die Volksrepublik sei dagegen unter seinen Nachfolgern zu einem „sozialimperialistischen Land“ und „gefräßigen Drachen“ mutiert. Von sich reden macht die winzige maoistische Formation heute nur noch durch die hohe Spendenbereitschaft ihrer Mitglieder (ein Genosse aus Moers spendete allein 2,5 Millionen Euro aus seinem Erbe), die große Anzahl von verklebten Plakaten bei ihren Wahlkampagnen (zuletzt 40.000 Stück bei der Landtagswahl Thüringen) und die ständigen Versuche, sich mit der blutroten Parteifahne mit Hammer, Sichel und Buch an die Demonstrationen junger Klimaschützer anzuhängen. Bei Wahlen kommen die rund 2000 organisierten Maoisten dagegen selten über 0,1 Prozent der Stimmen, und selbst bei anderen Linken gelten sie als Exoten, von denen man sich lieber fernhält.

Die MLPD ist die letzte der maoistischen K-Gruppen, die in ihrer Hochzeit in den 1970er Jahren rund 100.000 Anhänger auf die Beine brachten. Unter Kürzeln wie KPD/AO, KPD/ML, KBW oder KABD organisierten sich damals kommunistische Gruppen mit doktrinärem Weltbild, strengster Disziplin und erheblicher Gewaltbereitschaft. Die Besetzung des Bonner Rathauses, Straßenschlachten in Dortmund und der Sturmlauf auf das Atomkraftwerk Brokdorf gehen in den 70er Jahren auf das Konto der K-Gruppen. Zugleich aber bauen sie auch „Zellen“ in zahlreichen Großbetrieben wie Siemens oder Krupp auf, unterwandern einzelne Betriebsräte und dringen sogar in Führungspositionen der IG Metall vor. Obwohl sie sich immer wieder spalten und gegenseitig ideologisch bis aufs Messer bekämpfen, sind sie sich in einem einig: China gilt ihnen allen als der „Leuchtturm der Weltrevolution“ und Mao als der „größte Marxist-Leninist seiner Zeit“. Alle K-Gruppen bemühen sich zu ihrer Zeit eifrig um die offizielle Anerkennung als „Bruderpartei“ durch die KP Chinas, brechen regelmäßig zu Delegationsreisen in die Volksrepublik auf und verbreiten die Schriften Maos und andere chinesische Propagandahefte in Millionenauflage.

Das Proletariat wachrütteln

Seit den frühen 60er Jahren arbeitet die KP Chinas am Aufbau einer maoistischen Mini-Internationale in ganz Westeuropa. Seit dem September 1964 erscheint die Peking Rundschau in deutscher Sprache, die zum wichtigen Instrument bei der Gewinnung von Mao-Sympathisanten in der Bundesrepublik wird und im Jahresabonnement für zwölf Mark per Luftpost ins Haus kommt. Beim Aufbau der ersten maoistischen Parteien helfen einige Altkommunisten mit, aber auch langjährige Geschäftsfreunde der Chinesen. Zu den Gründern der MLPD-Vorläuferorganisation gehört 1972 zum Beispiel der langjährige China-Kaufmann und Direktor des Stahlkonzerns Otto Wolff, Gerhard Flatow, der zwischen 1934 und 1956 im Reich der Mitte reich geworden war. Richtigen Zulauf bekommen die deutschen Maoisten aber erst nach dem Zerfall der Studentenbewegung 1968, als Tausende von radikalisierten Studenten eine neue politische Heimat suchen. An der Universität Tübingen organisiert sich der halbe AStA in der Vorläufergruppe der MLPD. Viele von ihnen gehen in die Betriebe, um das „Proletariat“ wachzurütteln.

Ohne den frühen Mao-Import durch die ersten K-Gruppen und ohne die tatkräftige (auch finanzielle) Hilfe der Chinesen kann man sich die plötzliche Popularität des Großen Vorsitzenden in der Jugendrevolte der 70er Jahre nicht erklären, auch wenn sich bis heute hartnäckig der Mythos von der „spontanen“ Bewunderung der Achtundsechziger für Mao hält. Und das nicht nur in der Bundesrepublik, sondern in ganz Westeuropa. Allein vom Oktober 1966 bis Mai 1967 verbreitet der Auslandsvertrieb Guozi Shudian mehr als 800.000 kostenlose Exemplare der berühmten Mao-Bibel mit dem roten Plastikeinband in 117 Ländern und Regionen. Und im November 1967 meldet die Nachrichtenagentur Xinhua bereits die Auslieferung von 4,6 Millionen Schriften des großen Vorsitzenden in 14 Sprachen. Die maoistischen Freunde erhalten alle Lieferungen aus Peking umsonst – und Mao verkauft sich schon bald so „blendend“, wie der westdeutsche Maoist Günther Ackermann damals feststellt, dass man damit den Aufbau der eigenen K-Gruppe finanzieren kann.

In den Siebzigerjahren explodiert das Interesse an der Volksrepublik China. Die Mao-Bibel und die „Gesammelten Schriften“ des „großen Steuermanns“ stehen bei vielen deutschen Intellektuellen im Regal. Auch renommierte Verlage wie Rowohlt oder Fischer bringen  Dutzende von Jubelberichten über das „neue China“ heraus. Die Zahl der Sinologie-Studenten an deutschen Universitäten vervielfacht sich in kurzer Zeit. Die Maoisten können sich für eine kurze Zeitspanne, frei nach ihrem großen Vorbild, „wie die Fische im Wasser“ tummeln. Viele Jugendliche, die von der Sowjetunion und der DDR nichts halten, erhoffen sich aus China einen „anderen Sozialismus“. Ein Rowohlt-Buch mit dem Titel „Das machen wir anders als Moskau“ versammelt 1975 einige Aufsätze Maos, trifft genau den Zeitgeist und wird schnell zum Bestseller. Viele Jugendliche missverstehen die „Kulturrevolution“ (1966– 1976) als Aufbruch zu einem unbürokratischen Sozialismus, obwohl es in Wahrheit nur um einen Machtkampf in der KP Chinas geht.

Maoismus ohne China

Doch so schnell wie der Maoismus vor allem in den Schulen und Universitäten, vereinzelt aber auch in gewerkschaftlichen Ju- gendgruppen, erblüht, genauso schnell verwelkt die Ideologie auch wieder. Nach dem Tod Maos im September 1976, der anschließenden Verhaftung seiner Witwe, der Ausschaltung der Hauptprotagonisten der „Kulturrevolution“ („Viererbande“) und dem Machtantritt des Reformers Deng Xiaoping wankt das ganze Weltbild der deutschen Maoisten – und ihrer Genossen im übrigen Westeuropa auch. Dengs Sprüche passen so gar nicht zur revolutionären Rhetorik der Maoisten. Und seine marktwirtschaftliche Politik gilt als Verrat. Außerdem registrieren die Maoisten schon bald ein schnell sinkendes Interesse der KP Chinas an ihren winzigen Bruderparteien. Die K-Gruppen verlieren deshalb in kürzester Zeit zwei Drittel ihrer Mitglieder und lösen sich ab 1980 in schneller Folge auf. Nur die MLPD bleibt übrig – und probiert ihr Glück bis heute mit einem Maoismus ohne China.


Erklärung zur Illustration STRATEGEM 25
In der Endphase der „Kulturrevolution“ rechtfertigte die chinesische Führung die im April 1976 erfolgte Kaltstellung von Vizepremier Deng Xiaoping mit einem Angriff auf sein vielzitiertes Katzengleichnis aus dem Jahre 1962 („Gelb oder schwarz, eine Katze, die Mäuse fängt, ist eine gute Katze“), was er damals auf die Landwirtschaft bezogen hatte. Seine kulturrevolutionären Feinde entkernten die Aussage und legten sie im Sinne eines umfassenden Umsturzplans aus. Auf diese Umdeutung fielen sämtliche Maoisten herein. Der chinesischen Anti-Deng-Propaganda aufs Wort glaubend, verbreiteten sie im Westen, China sei unter Deng kapitalistisch geworden.


 

Bernd Ziesemer

Bernd Ziesemer schreibt als Kolumnist für Capital und andere Wirtschaftsmedien und war lange Zeit Chefredakteur des Handelsblatts. Gegenwärtig arbeitet er an dem Buch „Wie Mao nach Deutschland kam“. In seiner Jugend war er selbst Mitglied einer Mao-Gruppe.

bernd-ziesemer.com