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Profit aus Streit und Musik
Auf der Suche nach alternativen Anlageformen bieten Patentrechtsprozesse und Musiklizenzen eine interessante Nische.
Die moderne Portfoliotheorie, bekannt durch den Nobelpreisträger Harry Markowitz, lehrt Anleger, dass die Abhängigkeitsstruktur aller Depotkomponenten einen wesentlichen Einfluss auf das Gesamtrisiko hat. Basierend darauf suchen Risiko vermeidende Anleger wie etwa Pensionsfonds oder Stiftungen insbesondere nach Investitionsobjekten, die keine oder vielleicht sogar negative Korrelation miteinander beziehungsweise zum breiten Markt aufweisen.
Traditionell führte das zu einer Aktien-Anleihen-Mischung, die über Jahrzehnte ein attraktives Rendite-Risiko-Profil aufwies. Mit den immer stärker gewordenen Eingriffen der westlichen Notenbanken in den Anleihemarkt, insbesondere durch die aktiven Anleihekäufe in den letzten Jahren, hat die Abhängigkeitsstruktur zwischen Aktien und Anleihen so stark zugenommen, dass dieser Diversifikationseffekt mittlerweile kaum mehr vorhanden ist. Das sehen wir eindrucksvoll seit Jahresbeginn: Sowohl die Aktien- als auch die Anleihemärkte fielen im ersten Halbjahr deutlich.
Aus diesem Grunde wenden sich professionelle Anleger wie zum Beispiel die Stiftungsfonds der großen Eliteuniversitäten in den USA, aber auch viele angelsächsisch geprägte Family-Offices immer mehr sogenannten Alternative Assets zu. Zu dieser Gruppe an Investitionsobjekten zählen vor allem Hedgefonds, die meist wesentlich risikoärmer sind als von der Allgemeinheit angenommen, Private-Equity-Beteiligungen sowie die noch eher junge Assetklasse Private Credit. Letztere kann klassische Direktkredite außerhalb des Bankensektors umfassen, aber auch eher schwer zugängliche, fremdkapitalartige Beteiligungen wie Royalty Finance, den Kauf konsistenter Einnahmequellen aus der Zahlung von Lizenzgebühren. Zu Private Credit zählen aber auch sogenannte True Diversifiers mit Investments in Musikrechte oder Prozessfinanzierung.
Bevor wir die beiden zuletzt genannten Investitionsobjekte genauer betrachten, eine wichtige Klarstellung: Dieser Artikel soll weder eine Anlageempfehlung, noch eine Anlageberatung darstellen.
Musikrechte
Grundsätzlich stehen den Kunstschaffenden nach ihrem Tod noch jahrzehntelang die Lizenzeinnahmen aus ihren Werken zu. Es ist sicherlich leicht vorstellbar, dass der persönliche Wert dieser laufenden Lizenzeinnahmen nach dem eigenen Versterben eher bei null liegen sollte. Deswegen ergibt es für diese Menschen durchaus Sinn, die Rechte an ihren Werken gegen einen entsprechenden Barbetrag heute zu verkaufen. Professionelle Musikmanager wie die US-Gesellschaft Round Hill machen sich diese Sinnhaftigkeit eines solchen Tauschgeschäftes zunutze und erwerben in ihren Fonds ganze Kataloge an Musikstücken. Zusätzlich kann das Fondsmanagement daraufhin versuchen, weiteren Wert aus diesen Musikkatalogen zu schaffen, indem das eigene Netzwerk genutzt wird, um die Songs in Filmen und in Werbung gezielt zu platzieren und so die Li zenzein nah men zu erhöhen. Da man generell argumentieren kann, dass Musik halbwegs unabhängig vom wirtschaftlichen Zyklus gehört wird, erhalten Investoren durch diese Fonds Zugang zu einer größtenteils unkorrelierten Assetklasse.
Prozessfinanzierung
Stellen wir uns vor, wir sind Eigentümer eines kleinen oder mittelständischen Unternehmens, das ein paar nützliche Patente besitzt. Nun stellen wir fest, dass ein großer Player im Markt mit einem neuen Produkt eines unserer Patente verletzt. Unser Problem ist nun: Sollen wir die nächsten Jahre Anwälte bezahlen, um einen Patentrechtsstreit zu führen? Können wir uns überhaupt eine passende und gute Kanzlei leisten? Werden unsere Anwälte gegen die finanzielle Übermacht unseres Gegners Erfolg haben? Moderne Prozessfinanzierer können uns in diesem Fall einen Ausweg bieten: Für einen Anteil an der potenziellen Entschädigungssumme (manchmal auch für die gesamte Entschädigung) stellt man uns Anwälte zur Verfügung und übernimmt die gesamten Prozesskosten. Da es uns vielleicht oftmals gar nicht mal um eine finanzielle Entschädigung geht, sondern nur darum, dass unser Patent nicht weiter verletzt wird, könnte ein solcher „Tausch“ durchaus attraktiv sein. Tatsächlich ist der Bedarf an solcher Prozessfinanzierung („litigation finance“) in den letzten Jahren so stark gestiegen, dass es mittlerweile ganze Fonds gibt, die ausschließlich in einen großen Korb an solchen Gerichtsverfahren investieren. Noch deutlicher als bei den Musikrechten sollte erkennbar sein, dass es sich hierbei ebenso um unkorrelierte Assets handelt: Wie eine Richterin in New York über einen Patentrechtsstreit entscheidet, hat nachvollziehbarerweise wirklich gar nichts mit dem globalen Aktienmarkt zu tun.
Doch Vorsicht! Auch wenn sich die aufgezeigten Investments in der Theorie super anhören mögen, zeigt sich in der Praxis eine größere Hürde: Es gibt nicht unendlich attraktive Musikkataloge zum Kauf, und auch interessante Gerichtsprozesse müssen erst gefunden werden. Deswegen nehmen die Manager solcher Fonds oft nur eine bestimmte Menge an Kundengeldern an und stehen damit meist Privat anlegern nicht offen. Auch viele Banken können solche Produkte selbst im „Private Wealth“-Management nicht anbieten, da eine entsprechende Skalierbarkeit nicht möglich ist.
Auch wenn vielen (auch vermögenden) Privatanlegern die meisten dieser Fonds nicht offenstehen, gibt es ein paar börsengehandelte Vehikel, die trotzdem Zugang zu Musikrechten oder Gerichtsprozessen bieten. Bei Ersterem existieren tatsächlich zwei in London gelistete geschlossene Investmentfonds, die normal über die Börse erworben werden können. Was die Prozessfinanzierung betrifft, so können zumindest Aktien einiger Managementgesellschaften erworben werden, die sich auf „litigation finance“ spezialisiert haben.
Braucht jedes Depot nun Musikrechte oder Gerichtsprozesse? Selbstverständlich nicht! Aus Sicht vieler Privatanleger kann ein klassisches Investment in breite, passive ETFs durchaus Sinn machen. Wünscht man sich allerdings wirklich diversifizierende Portfoliokomponenten, so könnte man diese in den genannten Assetklassen finden.
Prof. Dr. Holger Graf lehrt seit 2016 Finanzmanagement an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU). Er betreibt als @prof.goldgraf einen Instagram-Kanal mit Fokus auf Finanzbildung für Privatanleger und co-hostet den Podcast Marktgeflüster.