Titelthema
Regeln und Risiken
Für die Umsetzung der legalen Abgabe muss nun der ideale Rahmen gefunden werden – mit Geduld und Augenmaß.
Die grundsätzliche Revision unserer Drogenpolitik bewegt auf besondere Weise die Gemüter der Menschen seit Bekanntwerden einer kleinen Facette im Reigen drogenpolitischer Ideen:
„Wir führen die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften ein. Dadurch wird die Qualität kontrolliert, die Weitergabe verunreinigter Substanzen verhindert und der Jugendschutz gewährleistet. Das Gesetz evaluieren wir nach vier Jahren auf gesellschaftliche Auswirkungen.“ (Koalitionsvertrag, S. 88)
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Die Forderungen nach einer Beendigung der Totalprohibition insbesondere für Cannabis sind schon jahrzehntealt und wurden regelmäßig zu zentralen Punkten der Wahlkämpfe vergangener Jahre. Die Auseinandersetzungen wurden zu diesem Thema immer polarisiert und erbittert geführt. Da gibt es die eine Gruppe, die darauf verweist, dass „Cannabis kein Brokkoli“ ist, sondern sich über die Jahrzehnte der Prohibition immer mehr Sorten auf dem Schwarzmarkt durchsetzen konnten, die mit einem ungünstigen Pharmaprofil mit deutlich mehr Risiken für die biopsychosoziale Gesundheit der Konsumenten verbunden sind. Insbesondere die Verschiebungen hin zu hohen Anteilen von THC zuungunsten seines mildernden Gegenspielers CBD ist vor allem für junge und für psychisch instabile Menschen ein ernst zu nehmendes Risiko. Besorgnis erregt aber auch, dass unsere Konsumgesellschaft schon jetzt mit einem oft unreflektierten Konsum legaler psychoaktiver Substanzen (Alkohol, Tabak, Medikamente) bereits genügend Probleme hat. Verwiesen wird in diesem Zusammenhang auf oft multidimensionale Problembündel (Arbeits- und Verkehrsunfälle, Nachteile für das gesunde Aufwachsen von Kindern, negative Effekte für emotional stützende soziale Beziehungen, Gewalt und Kriminalität, soziale Integration et cetera) und eine enorme Krankheitslast, darunter Folgekrankheiten durch Alkohol-, Tabak- und Medikamentenkonsum sowie behandlungsbedürftige Abhängigkeitserkrankungen. Damit sind Sorgen benannt, die man durch ein Totalverbot zumindest einzudämmen hoffte.
Dem steht die Gruppe gegenüber, die ebenfalls das Wohlergehen der Menschen im Auge hat, aber auf Facetten schaut, die sich aus der Kriminalisierung von Cannabis ergeben. Regelmäßig vorgetragen werden drogenpolitische Kollateralschäden, durch die sich für die Konsumenten zusätzliche und oft dramatische Folgeprobleme auftürmen. Verwiesen wird in diesem Zusammenhang auf die schwierigen Konsequenzen eines Schwarzmarktes, der keinerlei Verbraucherschutz gewährt, sondern eher den Rückgriff auf kaum bekannte Zusatzstoffe und Streckmittel forciert, die oft schwerwiegende gesundheitliche Probleme auslösen. Beispielsweise in der Region rund um Leipzig vergifteten sich Konsumenten durch den Zusatz von Blei lebensgefährlich, der Zusatz synthetischer Cannabinoide geht nicht nur in Deutschland mit unberechenbaren gesundheitlichen Folgen einher. Der unter Verfolgungsdruck stehende Schwarzmarkt treibt auch die Entwicklung immer potenterer Cannabissorten voran, die dem Streben nach kleineren und weniger auffälligen Substanzmengen entgegenkommen. Unter Schwarzmarktbedingungen sind zudem verlässliche Informationen zum Wirkspektrum und zur Wirkstoffmenge im erworbenen Cannabis schwer zu bekommen, sodass die Konsumenten trotgroßer Bemühungen wenig Chancen haben, sich mit ihrem Konsumverhalten auf die Substanzen sachgerecht einzustellen. Unter Prohibition lassen sich zudem Regeln zum Schutz von Kindern und Jugendlichen unmöglich verbindlich formulieren und durchsetzen.
Verschiedene Standpunkte berücksichtigen
In ein kriminalisiertes Handlungsfeld verwiesen, verknüpft sich der Verkauf von Cannabis eher mit einem Zugang zu weiteren psychoaktiven Substanzen. Die anhaltend hohen Zahlen an Strafverfahren in Zusammenhang mit dem Konsum von Cannabis mahnen zudem, die mit der Kriminalisierung verbundene Gefahr eines schwerwiegenden Eingriffs in eine Biografie mitzudenken. Dessen Folgen sind umso drastischer, je jünger die Betroffenen sind (Verweise aus Schulen und Ausbildungseinrichtungen, Kündigungen, Fahrverbote). All diese Argumente wiegen ebenfalls schwer; der Verweis darauf, dass die jahrzehntelange Prohibition keineswegs verhindert hat, dass die Zahl der Konsumenten kontinuierlich steigt, begründet den Ruf nach radikalen Änderungen.
In diese, schon über Jahre festgefahrene drogenpolitische Debatte soll nun also mit den Ideen des Koalitionsvertrages Schwung kommen – von den einen gefeiert, von den anderen skandalisiert. Der nunmehr herausgestellten Leitidee einer drogenpolitischen Neugestaltung kommt das Potenzial zu, Lösungen für eine Vielzahl der genannten Probleme zu ermöglichen. Diese Chance wird allerdings limitiert, wenn sich diese „Schubumkehr“ in einer polarisierenden Bewertung als Sieg oder Niederlage mit sich verbittert gegenüberstehenden Gruppen verfangen würde. Immerhin behalten alle vorgetragenen Argumente ihre Berechtigung. Deshalb besteht die Herausforderung wohl eher darin, über verschiedene Standpunkte hinweg darüber nachzudenken, wie genau eine solche Legalisierung aussehen muss, damit sie auch erfolgreich alle bisherigen destruktiven Konsequenzen auszuschalten hilft.
Keineswegs sollte die Näherung an eine neue Praxis ungeregelt und beliebig erfolgen. Vielmehr sind regulierende Schritte zu entwerfen und tastend in die Praxis zu überführen. Insofern sollte besser nicht platt von Legalisierung, sondern von einer Regulierung gesprochen werden; auch deshalb, weil Legalisierung in Medienbildern leider zu oft als „Drogen im Supermarkt“ skizziert wurde.
Das Ziel: Erziehung zur Drogenmündigkeit
Für die Schritte einer Regulierung ist jedoch vieles zu bedenken: Wie soll der Rahmen sein, in dem Cannabis legal abgegeben wird – ein einfaches Über-den-Tresen-Reichen oder in einem Setting, in dem im besten Fall echte Drogenberatung stattfinden kann und soll? Welche Fähigkeiten und Kompetenzen sollen diejenigen haben, die in derartigen Fachverkaufsstellen arbeiten – eher mit pharmakologischer, betriebswirtschaftlicher oder psychosozialer Beratungsexpertise? Die Tatsache, dass man bisher auch Tabak und Alkohol verkauft hat, kann wohl nicht ausreichen! Wissen ist nötig, um zu der wundersamen Pflanze Hanf mit ihren diversen Pharmaprofilen passend beraten und möglichst Prozesse der Entwicklung einer Drogenmündigkeit anstoßen zu können. Wie genau müssen Prozesse der Qualitätssicherung und des Verbraucherschutzes aussehen, damit die Nutzer genau wissen, was sie vor sich haben und wie genau ein Risikomanagement dafür aussehen muss? Wo und wie kann man eigentlich lernen, mit Cannabis umzugehen? So nebenher, wie in unserer Kultur das Alkoholtrinken gelernt wird, kann es wohl nicht gelingen; zu lange war die Zeit der Prohibition, die den Konsum von Hanf radikal aus der Gesellschaft ausgeschlossen und die Entwicklung einer die Risiken einhegenden Konsumkultur torpediert hat. Welche Regelungen braucht unter diesen neuen Rahmenbedingungen ein Jugendschutz, der nun endlich möglich und umsetzbar wird? Und wie können der bereits in den Startlöchern stehenden Cannabisindustrie Zügel angelegt werden, um nicht durch aggressive Vermarktung und manipulative Werbung den Konsum ungehemmt anzukurbeln?
Schritt für Schritt nach dem besten Weg suchen
Bei all diesen Fragen wird es immer um Augenmaß und Abwägungen gehen. Die Erfahrungen anderer Länder unterstreichen, dass sich der destruktive Schwarzmarkt nicht beseitigen lässt, wenn zu hohe Zugangsschwellen, exorbitante Preise oder erhebliche Limitierungen vorgesehen werden. Aber wo genau sind die Schwellen? Es wird eben ein tastendes Suchen sein, mit dem man sich einer regulierten Praxis nähern muss. Dafür sind sowohl die Ideen der Befürworter, die vieles schon lange vorausgedacht haben, gefragt, aber auch die Mahner und deren Skepsis. Die Wahrheit liegt, wie immer im Leben, zwischen Idealisierung und Dramatisierung. Diesen Prozess gilt es kontinuierlich zu begleiten und nicht erst nach vier Jahren zu evaluieren.
Zu wünschen ist, dass in dieser Zeit die alte Kulturpflanze Hanf ihren Weg zurück in unsere Kultur findet und das Wissen um ihre mannigfaltigen Nutzungsmöglichkeiten über den Genusskonsum hinaus wieder zur Allgemeinbildung wird. Es könnte ein Gewinn sein, wenn Hanf seinen emotional aufgeladenen Exotenstatus verliert und es sich nicht mehr für besondere Inszenierungen eignet. Davon könnten vor allem Jugendliche profitieren, deren Hanfkonsum sich nicht mehr symbolisch als Kontrapunkt zur Erwachsenenwelt aufladen lässt. Immerhin zeigen die Erfahrungen anderer Länder, dass es mit Regulierungsbemühungen keineswegs zu dem oft befürchteten Dammbruch insbesondere unter Jugendlichen gekommen ist, sondern sich die Konsumentenzahlen in dieser Bevölkerungsgruppe eher verringert haben. Der Zugewinn an Konsumentenzahlen fand in anderen Ländern eher unter den Erwachsenen statt. Dabei mag es sich vielfach um Nachholeffekte handeln, mit denen zuvor unter Strafe stehende Erfahrungen nun eingelöst werden. Für Deutschland allerdings würden von einem regulierten Zugang zu Cannabis auch diejenigen profitieren, die Cannabis als Medizin schon lange anstreben, aber regelmäßig an den hohen Hürden und den vielfachen Ablehnungen dieser Behandlung scheitern. Sie haben mit großen Erwartungen diese Neuregelung begrüßt, weshalb steigende Konsumentenzahlen unter Erwachsenen nicht dringlich problematisch sein müssen.
Buchtipp
Helena Barop
Mohnblumenkriege. Die globale Drogenpolitik der USA 1950–1979.
Wallstein Verlag 2021, 494 Seiten, 46 Euro.
In Barops Beitrag auf rotary.de („Magazin Plus“) lesen Sie, wie der gescheiterte Drogenkrieg der USA nach Deutschland exportiert wurde. Helena Barop ist Historikerin und Publizistin.
Prof. Dr. Gundula Barsch ist Sozialwissenschaftlerin und arbeitet seit vielen Jahren im Lehrgebiet „Drogen und soziale Arbeit“ an der Hochschule Merseburg
Copyright: Gundula Barsch