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Reparatur an Leib und Seele
Hinter zahlreichen Wiederaufbauprojekten steht – wie zuletzt in Frankfurt – die Sehnsucht der Bürger nach einer heilen Stadt
"Neue Altstädte" sind zu einem heiß umkämpften Thema der aktuellen Architekturdebatte geworden. Das ist nicht besonders erstaunlich, denn in immer mehr Städten setzen sich die Bürger mit der Forderung nach Wiederaufbau von Altstadtquartieren durch. Soeben wurde in Frankfurt a.M. ein neu errichtetes Altstadtensemble zwischen Dom und Römer eröffnet.
In Dresden und Potsdam laufen umfangreiche Rekonstruktionsprojekte, in Hildesheim, Mainz und anderen Städten sind Marktplätze oder Altstadtstraßen unter großem Aufwand wiedererstanden. Was hat es mit dieser Architekturmode auf sich? Rekonstruktionen herausragender Einzelgebäude kannte schon die Antike – der Wiederaufbau ganzer Altstadtquartiere dagegen ist geschichtlich neu und begegnet erstmals im 20. Jahrhundert.
Er lässt sich als unmittelbare Reaktion auf die Architekturmoderne interpretieren. Je lauter der Ruf nach einem neuen, an den Funktionsgesetzen der Maschine orientierten Städtebau erscholl, desto mehr geriet die Altstadt als letztes Unterpfand von Identität in Gefahr. Was vorher völlig unstrittig war, der historische Wesenskern der Stadt, wurde erstmals zum Objekt eines erbitterten Kulturkampfes. Nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs entbrannte der Streit aufs Neue.
Experten haben errechnet, dass dem Neuaufbau in Formen der Moderne mehr Altbauten zum Opfer fielen als dem Krieg. Die Rekonstruktion historischer Altbauquartiere versteht sich bis heute als bürgerlicher Aufstand gegen diese Praxis. In Frankfurt hat sich der Kampf an einem Monsterbauwerk der Nachkriegszeit entzündet, dem Technischen Rathaus am Dom, das wegen unbezahlbarer Sanierungskosten abgerissen werden musste.
Renommierte Architektenbüros waren sofort zur Stelle, es durch beziehungslose Neubauten zu ersetzen. Das löste einen so vehementen öffentlichen Proteststurm aus, dass sich der Magistrat genötigt sah, den Bürgern die Rekonstruktion von 18 Häusern der Vorkriegszeit zuzugestehen.
Viele Architekten haben die Niederlage bis heute nicht verwunden. Ganz anders die Reaktion der Rathausparteien. Sie schwenkten sämtlich auf die Seite der Bürger um und erklärten sich nachträglich zu glühenden Anhängern des Projektes. Dass dieser Sinneswandel der hoch verschuldeten Global City mit ihren Bankentürmen die Summe von 200 Millionen Euro wert war, kann man getrost als schlüssigen Beweis dafür werten, wie wichtig ein solches Bauvorhaben heute für den Seelenfrieden einer Kommune sein kann – auch und gerade einer Stadt wie Frankfurt, der man eben noch attestiert hatte, dass sie dem schnöden Mammon ihre Seele geopfert habe.