https://rotary.de/gesellschaft/rotary-ziemlich-kompliziert-a-8631.html

Rotary – ziemlich kompliziert

Das Rotary-Abzeichen bietet nicht selten Anlass für ein Gespräch mit Unbekannten – Erklärungsnotstand inklusive. Eine (halbwahre) Geschichte

Peter Krön01.03.2016

Flug von Chicago nach Frankfurt. Nettes Gespräch mit meinem Nachbarn, der immer wieder auf mein Rotary-Abzeichen schaut. „Was ist das für ein Abzeichen?“ „Rotary – ich bin Rotarier!“ „Und was ist das?“ „Ein Service­club“.  Verflixt, was ist ein Serviceclub? „Wir sind 1,2 Millionen Mitglieder in 35.000 Clubs.“ „Wow! Und, was machen Sie?“ „Wir haben viele Projekte, das größte ist die Ausrottung der Kinderlähmung.“ „ Ich hab’ gelesen, das macht die Weltgesundheitsorganisation?“ „Ja, aber wir haben damit angefangen. Wir machen noch vieles mehr. Wir helfen bei Katastrophen mit Shelterboxen, unsere Ärzte …“ „Wie das Rote Kreuz oder Ärzte ohne Grenzen?“ „Moment, wir geben auch Stipendien und haben einen intensiven Jugendaustausch!“ „Ich war Stipendiat von Young Austria.“ „Hm, aber etwas Besonderes ist unsere Rotary Stiftung, die unsere Projekte fördert.“ „Bill Gates?“

Es reicht, so geht’s nicht. Aber mir fällt ein: wir haben ja unser einmaliges Motto, das uns von anderen unterscheidet: „Service Above Self!“ „Sind Sie eine religiöse Organisation?“ „?“ "In der Bibel steht doch: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Aber 'above self'?" Ich geb’s auf. Da kommt der Governorbrief des Monats gerade recht. Auch der Governor fragt sich: „Wer sind wir und wofür stehen wir?“. Und er zitiert: „Wir sind ein weltweites Netzwerk engagierter Menschen, die soziale Verantwortung übernehmen, um die Welt zu verbessern.“ Na bitte, das ist doch etwas. Allerdings, außer uns gibt es – dem Himmel sei Dank – doch noch andere, die soziale Verantwortung übernehmen.

Gesucht: der Unterschied

Ich suche weiter und finde auf rotary.org den Bereich „My Rotary“ – übrigens mit vielen nützlichen und interessanten Infos  –, ich finde also einen Strategischen Plan mit drei Prioritäten und 16 Zielen. Dann gibt es fünf Säulen, die einen guten Club ausmachen, sechs Förderbe­reiche unserer Rotary Foundation – und Clubs werden ausgezeichnet für die Realisierung der Presidential Citation mit sieben Hauptaufgaben und 19 Untergruppen.

Scheint doch einigermaßen kompliziert, unser Rotary. Und ich frage mich, was macht Rotary eigentlich zu Rotary? Wodurch unterscheiden wir uns von anderen (Serviceclubs)? Ich versuche herauszufinden, wie Rotary entstanden ist, was unser Gründer Paul Harris 1905 eigentlich wollte.

Am Land bei den Großeltern aufgewachsen und fremd in der anonymen Großstadt Chicago, fühlte er sich einsam und hielt Ausschau nach Freunden aus verschiedenen Berufen. Rotarische Freundschaft wird in den Clubs gelebt und das ermöglicht der CLUBDIENST.

Der erste unserer Dienste! Der junge Rechts­anwalt musste immer wieder Opfer der damals das gesamte Geschäftsleben beherrschenden Mafia vertreten. Deshalb wollte er nur Menschen um sich haben, die ihren Beruf seriös ausübten: gute Charaktere, anständige und tüchtige Geschäftsleute. Nicht große Banker oder reiche
Industrielle, sondern ein Vermessungsingenieur, ein Schneidermeister und ein Kohlenhändler waren es, die sich wöchentlich in ihren Betriebsstätten trafen, Erfahrungen austauschten, sich gegenseitig halfen – durchaus auch, um miteinander Geschäfte zu machen. „Wir waren eine antimafiose Insel“, schrieb Paul Harris. Der BERUFSDIENST soll uns unterstützen, unsere Berufe und unser großes internationales berufliches Netzwerk zum Guten zu nutzen.

internationalität und Toleranz

Internationalität und die rotarische Grundtugend der Toleranz waren schon ganz am Anfang vorhanden – und sind bis heute essenziell. Vier Freunde mit verschiedenen Religionen, die sich damals eigentlich noch gegenseitig in die Hölle schicken sollten: ein Ire, ein Schwede, ein Deutscher – einer schon länger in den USA –, der INTERNATIONALE DIENST – Einsatz für Menschenrechte, Frieden und Völkerverständigung.

Unser soziales Engagement, mit dem wir uns oft zu definieren versuchen, und die Hilfe für Menschen in Not waren nicht erster Zweck der Rotary-Gründung, sondern folgten aus der Verantwortung Privilegierter für ihre Mitmenschen und kamen mit der Bezeichnung GEMEINDIENST als letztes Grundprinzip dazu.

Seit dem Council on Legislation 2010 haben wir einen fünften Dienst, den JUGENDDIENST. Nicht als rotarisches Grundprinzip, sondern als alle Clubs verpflichtende wesentliche Rotary-Aufgabe: das Bemühen für die und mit den jungen Menschen um eine anhaltend gerechtere und friedlichere Zukunft.

Diese fünf Dienste – zusammengenommen – machen Rotary zu dem, was es ist und sein sollte. Jeden davon finden wir auch in anderen Organisationen – aber wenn nur ein einziger in Rotary fehlt, ist es nicht mehr Rotary.

Alles, was wir in Rotary tun, unsere Ziel­setzungen, unsere Aufgaben und Projekte, sollten wir von diesen fünf Diensten ableiten, mit diesen fünf Diensten begründen. Rotary muss wieder klar, verständlich, einfach werden.

Wenn Rotary relevant bleiben soll, müssen wir Organisation, Struktur und Arbeitsschwerpunkte den fünf Diensten entsprechend permanent erneuern: Clubs ohne Frauen sind heute schon von vorgestern, junge Mitglieder aus neuen Berufen die Zukunft, Integrationsarbeit mit Flüchtlingen unverzichtbar... „Wer will, dass alles so bleibt, wie es ist, will, dass nichts bleibt.“ (Erich Fried).

Auf die Fragen „Was ist Rotary? Was sollten Rotarierinnen und Rotarier sein?“ könnte man also antworten:

  • integre Persönlichkeiten, freundschaftlich verbunden in aktiven Clubs (Clubdienst)
  • vorbildlich in ihren Berufen (Berufsdienst)
  • sozial engagiert (Gemeindienst)
  • und international solidarisch (Internationaler Dienst)
  • wobei die rotarische Jugendarbeit einen besonderen Schwerpunkt bildet (Jugenddienst).
Peter Krön
Peter Krön (RC Salzburg) ist seit 1963 Rotarier und hatte seitdem diverse rotarische Ämtern inne. Unter anderem war er von 2001 bis 2003 RI-Direktor und Mitglied im Executive Committee. Peter Krön wurde unter anderem mit dem Service Above Self Award ausgezeichnet.