Titelthema
Stampfende Schwergewichte

Japans Nationalsport Sumo ist beim heimischen Publikum beliebt, doch er leidet unter Nachwuchsmangel. Einige der stärksten Ringer kommen aus der Mongolei.
Tomokatsu Hoshoryu, 25, der frisch gekürte Sumo-Großmeister, schritt Ende Januar feierlich durch das Tor des Meiji-Schreins, des wichtigsten Shinto-Heiligtums in Tokio. An seinem fast nackten Körper leuchtete das weiße, geflochtene dicke Seil, das „Yokozuna“. Das ist das Ehrenzeichen, nach dem der Großmeister-Titel benannt ist. Dann verneigte Hoshoryu sich und vollführte das traditionelle Ritual der Sumo-Ringer: Er ging in die Hocke, klatschte mehrmals in die Hände und stampfte nacheinander mit den Füßen auf. Und bei jedem Stampfen jubelte das Publikum. Hoshoryu wiegt zwar 148 Kilogramm, doch seine eleganten Bewegungen sahen geradezu leichtfüßig aus.
Der neue Yokozuna ist der 74. in der Geschichte des Sumo, des Nationalsports, der nicht nur ein Sport ist, sondern auch die japanische Kultur verkörpert. Die Ursprünge des Sumo gehen bis zu drei Jahrhunderte vor unsere Zeitrechnung zurück. Im Shinto, einer Art Naturreligion, dienten Sumo-Wettkämpfe dazu, die Götter zu besänftigen und reiche Ernten zu erbitten, weshalb sich eben auch der neueste Großmeister im Schrein segnen ließ. Seit 1640 gibt es Berufsringer im Sumo, mehrmals im Jahr tragen sie Wettbewerbe aus. In der Arena in Tokio schauen auch der Kaiser und seine Familie von ihrer Ehrenloge aus zu, wenn die Dickleiber sich auf einem Rund aus festem Lehm umwerfen oder umschubsen.
Doch wie ganz Japan leidet auch Sumo unter Nachwuchsmangel. Hoshoryu, der mit bürgerlichem Namen Sugarragchaagiin Byambasuren heißt, stammt aus der Mongolei. Er ist bereits der sechste Yokozuna aus dem Nachbarland und einer von zahlreichen Ausländern, die Sumo-Ringer wurden. Einige kamen auch aus Hawaii, Bulgarien, Estland und Ägypten. Zwar sind die Zuschauertickets der Wettkämpfe stets ausverkauft, und im Herbst will Japans Sumo-Verband gar ein Turnier in London veranstalten. Doch in Japan selbst wollen immer weniger Jugendliche Ringer werden. Ein rigides Training und archaische Regeln schrecken sie ab. Überdies steht Sumo im Ruf, ungesund zu sein: Um ihr Kampfgewicht zu erreichen, müssen Ringer viel essen. Die Kilos gehen auf die Knie; die Ernährung kann Diabetes verursachen und die Lebenserwartung verkürzen.
Und immer wieder lädieren Skandale das Ansehen von Sumo. Mal erregte sich die Nation über abgekartete Wettkämpfe, mal flogen Saufgelage oder Gewaltexzesse von Ringern auf. Der 68. Großmeister – ein Onkel von Hoshoryu – trat 2010 in Unehren zurück, unter anderem, weil er vor einem Tokioter Nachtclub jemanden angegriffen haben soll. Doch das ist inzwischen fast vergessen. Bei der jüngsten Zeremonie am ShintoSchrein, als Hoshoryu sein Antrittsritual aufführte, saß auch der Onkel unter den Ehrengästen. Er lebt wieder in der Mongolei. Von dort versorgt er das überalterte Japan nun mit Nachwuchs-Ringern.

Wieland Wagner berichtete lange für den „Spiegel“ aus Asien. Der promovierte Historiker ist Autor der Bücher „Japan. Abstieg in Würde“ (2018) und „Das Erbe des Tennos“ (2023).
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