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Taten statt Worte
Deutschland schaut sorgenvoll auf die politische Situation in Österreich, weil es weiß, dass ihm ein ähnliches Szenario droht. Über ein Land zwischen Sparzwang und Innovationsgeist
Zwischen Sparzwang und Innovationsgeist
Wenn Deutschland hustet, hat Österreich einen Schnupfen, sagt man hierzulande. In Krisenzeiten zeigt sich besonders deutlich, wie eng Österreichs Wirtschaft mit der deutschen verflochten ist. Nun ist es auch eine politische Umbruchsituation, die die beiden Länder verbindet: gesellschaftliche und politische Polarisierung wachsen. Rechtspopulistische Parteien gewinnen Stimmen, während traditionelle Volksparteien an Wählervertrauen verlieren. Themen wie Migration, Inflation und EU-Skepsis dominieren den politischen Diskurs. Viele Deutsche blickten in den letzten Wochen mit Sorge auf Österreich: Manche, weil sie in der sich anbahnenden rechtskonservativen Regierungskoalition im südlichen Nachbarland eine Blaupause für Deutschland sehen, die sie verhindern möchten. Sie sehen am österreichischen Beispiel, wie politische Instabilität und Wirtschaftskrise zu einem toxischen Mix werden, das außer antidemokratischen Kräften niemandem hilft: Es herrscht politischer Stillstand. Es gibt Worte, statt Taten.
Wir sind zwei in Wien lebende Politologen mit Expertise im Bereich der Gesundheits- und Technologiepolitik sowie in der Demokratietheorie. Hendrik Wagenaar wuchs in den Niederlanden auf und studierte sowie arbeitete in den Vereinigten Staaten. Vor unserem Umzug nach Wien vor acht Jahren lebten wir im Vereinigten Königreich. Wir verbrachten auch längere Perioden in Deutschland, zuletzt während des Studienjahres 2023/24. Als wir im Sommer 2023 unser Jahr am Wissenschaftskolleg zu Berlin begannen, freuten wir uns darauf, in einem Land zu sein, das eine so zentrale Rolle für die kulturelle Geschichte Europas spielt. Ein Land, das in vielerlei Hinsicht Mut bewiesen hat – auch in der Auseinandersetzung mit seiner Vergangenheit, in einer Tiefe, die man in Österreich vergeblich sucht. Unsere Erwartungen in dieser Hinsicht wurden nicht enttäuscht. Gleichzeitig sahen wir einige Risse in diesem glänzendes Bild. Auch wenn diese Beobachtungen nicht auf alle Teile und Schichten der deutschen Gesellschaft zutreffen, hoffen wir, dass sie ein kleines Stück zum Verständnis der gegenwärtigen Lage beitragen können.
Das Thema Sparpolitik ist moralisch aufgeladen
Sowohl in Österreich als auch in Deutschland steht die Politik vor der Aufgabe, Budgetdefizite zu reduzieren, während Sozialleistungen, öffentliche Infrastrukturen, und die Energiewende finanziert werden müssen. Inflation und wirtschaftliche Unsicherheiten führen zu sinkenden Wachstumsprognosen, was den finanziellen Spielraum weiter einschränkt. Um langfristige Stabilität zu gewährleisten, sind Einsparungen und gezielte Investitionen in Zukunftssektoren notwendig.
Dass diese Debatte nicht mit der notwendigen Sachlichkeit geführt werden kann, liegt an einer starken emotionalen Aufladung des Themas Staatsschuld. Ein ausgeglichener Staatshaushalt gilt vielen in Deutschland nicht nur als Mittel zum Zweck, sondern als moralische Errungenschaft, die es zu verteidigen gilt – auch um den Preis notwendiger struktureller Investitionen. Empirische Evidenz, dass Investitionen in Bereichen wie Bildung, Forschung und Entwicklung Wachstum fördern können, stoßen bei deutschen Gesprächspartnern meist auf taube Ohren. Aber wenn ein ausgeglichener Staatshaushalt nicht in Frage gestellt werden darf, dann ist auch wirtschaftliche Erholung nur schwer möglich: Diese braucht kluge Investitionen dort, wo sie den Kostendruck für die Menschen mindern, wichtige Güter wie Gesundheit, Bildung und Kultur stärken und nachhaltige wirtschaftliche Aktivität fördern.
Abstrakte Ideen sind wichtiger als empirische Fakten
Viele andere Themen werden in Deutschland mit einer Sachlichkeit diskutiert, die wir uns in Österreich nur wünschen können. Gleichzeitig beobachteten wir immer wieder eine mangelnde Wertschätzung für empirische Fakten, die wir anderen Ländern nicht kennen. Egal, ob es um Immigration oder den Klimawandel geht – um ernst genommen zu werden, muss man in hochgradig abstrakten Begriffen sprechen. Bücher, die mit hoher Theorie jonglieren, ohne diese einer empirischen Überprüfung zu unterziehen, gewinnen Preise. Mitunter hat man das Gefühl, die Wirklichkeit störe beim Denken.
Skepsis gegenüber partizipativer Demokratie
Viele Deutsche äußern Besorgnis über den Zustand ihrer Demokratie in Deutschland. Gleichzeitig sind nur wenige dazu bereit, Abstriche vom deutschen Modell zu machen. Partizipative Formen wie Bürgerräte, die in Ländern wie Irland erfolgreich eingesetzt werden, oder Commons, in denen Bürger gemeinsam grüne Energie produzieren oder die Betreuung älterer Menschen organisieren, werden von vielen Intellektuellen in Deutschland mit Skepsis betrachtet. Der Staat wird als Wächter vor den Irrtümern der Bevölkerung gesehen. Dieses Misstrauen mag historisch begründet sein. Dennoch: Eine Demokratie, die sich ausschließlich auf Experten und Eliten stützt, ist kaum in der Lage, die komplexen Probleme unserer Zeit zu lösen.
Gegen den Strom der Erwartungen schwimmen
Jede Krise ist eine Gelegenheit, gewohnte Denk- und Handlungsmuster zu durchbrechen. Die technologische Exzellenz, für die Deutschland zurecht bekannt ist, kann auch in Zukunft ein Standortvorteil sein. Dafür ist es jedoch notwendig, in zwei wesentlichen Bereichen gegen den Strom der Erwartungen zu schwimmen: Erstens sollte die Energiewende nicht nur als Kostenfaktor, sondern als Chance für den Wandel hin zu einer innovativeren, gerechteren, nachhaltigeren Wirtschaft gesehen werden. Dafür ist auch ein stärkerer Fokus auf digitale Kompetenzen notwendig, und exzellente Fachkräfte – von denen viele aus Ländern wie China, Indien, oder Korea kommen. Eine gute Migrationspolitik muss dies widerspiegeln. Für Menschen mit Fähigkeiten, welche für ein innovatives und lebenswertes Deutschland notwendig sind, muss es offene Grenzen und Türen geben. Das heißt nicht, den Horror der Attacken in Magdeburg, Aschaffenburg und anderen deutschen Städten zu ignorieren. Doch die Migration als Hauptursache für die Probleme der Gesellschaft zu betrachten, verwechselt ein Symptom mit der Ursache: Die ist unter anderem ein mangelndes Angebot an psychischer Gesundheitsversorgung, ein marodes Bildungssystem und soziale Perspektivlosigkeit. Anstatt Menschen gegeneinander auszuspielen sollten die strukturellen Ursachen angegangen werden – davon würden alle profitieren.
Wir wünschen uns, dass dieses großartige Land die Menschlichkeit und den Unternehmergeist, die es in der Vergangenheit immer wieder ausgezeichnet haben, wiederentdeckt und den politischen Mut hat, die notwendigen Veränderungen anzugehen.
Barbara Prainsack ist Professorin am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Wien. 2023/24 war sie Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin.
Hendrik Wagenaar ist Politikwissenschaftler mit Expertise im Bereich der Praxis und Theorie der Demokratie sowie in der Verwaltungslehre. Er ist Fellow am Institut für Höhere Studien (IHS) in Wien und lehrt am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien.
Barbara Prainsack ist Professorin am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Wien. 2023/24 war sie Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin.
Hendrik Wagenaar ist Politikwissenschaftler mit Expertise im Bereich der Praxis und Theorie der Demokratie sowie in der Verwaltungslehre. Er ist Fellow am Institut für Höhere Studien (IHS) in Wien und lehrt am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien.
<small><em>© Johanna Schwaiger </small></em>
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