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Überlebensgroß und unaufhaltsam

Forum - Überlebensgroß und unaufhaltsam
Auch als Star, der die Massen elektrisierte, blieb Babe Ruth zugänglich. Insbesondere Kinder und Jugendliche verehrten ihn. © Interfoto

Amerika feiert den 125. Geburtstag des besten Baseballspielers aller Zeiten. Babe Ruth gilt bis heute als Ikone seines Sports und Symbol für den amerikanischen Traum.

Claus Melchior01.02.2020

Schlagballspiele wurden auf den britischen Inseln nachweislich bereits in der frühen Neuzeit und in Nordamerika seit der Kolonialzeit praktiziert. Mitte des 19. Jahrhunderts setzte sich im Nordwesten der Vereinigten Staaten unter zahlreichen lokalen Varianten die in New York unter dem Namen Baseball gespielte Version durch. Der Nationalsport des jungen Landes war geboren, America’s National Pastime. Schon bald war das Spiel jedoch mehr als nur ein bloßer Zeitvertreib: Die besten Spieler begannen, für ihre Dienste entlohnt zu werden, und 1876 kam es zur Gründung der National League, die damit älter als die englische Football League ist. 1903 etablierte sich mit der American League eine weitere Major League. Seither spielen die Champions der beiden Ligen am Ende der Saison in der sogenannten World Series um die Meisterschaft. In seiner langen Geschichte hat das Spiel eine Fülle unvergesslicher Mannschaften und Spieler hervorgebracht. Sie alle werden jedoch vom Mythos jenes Mannes überstrahlt, der bis heute als der beste Baseballspieler aller Zeiten gilt: Babe Ruth! Wer war dieser Mann und was machte ihn zur Legende?

Harte Kindheit
George Herman Ruth wurde am 6. Februar 1895 als Kind deutschstämmiger Eltern in Baltimore geboren. In der Familie wurde Deutsch gesprochen. Weil sich möglicherweise die Eltern mit dem als schwer erziehbar geltenden Burschen überfordert fühlten, wurde er bereits im Alter von sieben Jahren in die St. Mary’s Industrial School for Boys eingewiesen, einer Mischung aus Waisenhaus und Erziehungsanstalt. Hier begann er unter den Fittichen des von ihm bis an sein Lebensende verehrten Präfekten Brother Matthias Boutlier mit dem Baseballspiel.

1914 erhielt er einen Vertrag bei den örtlichen Baltimore Orioles, die ihn ein Jahr später an die Boston Red Sox verkauften. In diesem Spitzenteam avancierte er bald zu einem der besten Werfer, tat sich jedoch auch als Schlagmann mit Home Runs von ungewöhnlicher Länge hervor, die in jenen Jahren noch eher unüblich waren. Mit den Red Sox gewann Ruth dreimal die World Series. Ab 1918 wurde er zunehmend auch dann als Schlagmann eingesetzt, wenn er nicht als Werfer an der Reihe war; ein Jahr später stellte er mit 29 Home Runs einen neuen Saisonrekord auf.

Dennoch verkauften die Red Sox den jungen Mann im Dezember 1919 für die unerhörte Summe von 100.000 Dollar an den Ligarivalen aus dem Big Apple, die New York Yankees. Ein schlechtes Geschäft für die Red Sox, die erst 2004 wieder eine World Series gewinnen konnten. Die bis dahin erfolglosen Yankees hingegen holten mit ihrem neuen Star bis 1932 vier Titel und machten sich auf den Weg zum Rekordmeister.

Extravagant und ungehobelt
Ruth war zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Die frühen 1920er wurden keineswegs als goldene Zeit empfunden; der Weltkrieg war zwar siegreich beendet worden, konterkariert jedoch von der traumatisierenden Wirkung einer heftigen Grippeepidemie, die von 1918 bis 1920 mehr als eine halbe Million Opfer gefordert hatte. Und auch um den Baseball stand es schlecht, nachdem im Herbst 1920 bekannt geworden war, dass einige Spieler der Chicago White Sox im Verbund mit einem Wettsyndikat die World Series 1919 verschoben hatten. Da kam ein Home-Run-Hitter wie Babe Ruth gerade recht, der mit seiner Spielweise die Massen elektrisierte, den Sport revolutionierte und so zu seinem Retter wurde. Ein Abbild der größten Stadt des Landes: überlebensgroß und ungehobelt, extravagant und unaufhaltsam. Und vor allem ein Symbol des amerikanischen Traums, ein ungebildeter Junge aus einfachen Verhältnissen, der als erster Sportler die Popularität der Größen des Showbusiness erreichte, wenn nicht übertraf.

Dabei entsprach sein Lebenswandel so gar nicht dem eines Spitzensportlers. Er genoss das Nachtleben, konsumierte Hot Dogs und (trotz Prohibition) Bier in enormen Mengen und war immer für ein Techtelmechtel mit Verehrerinnen zu haben. An die Öffentlichkeit drang dies kaum, da die Presse Diskretion wahrte. Verborgen hielt Ruth auch sein beträchtliches soziales Engagement, das sich nicht zuletzt in regelmäßigen Besuchen in Kinderheimen und Krankenhäusern niederschlug. Er war ein zugänglicher Star, extrem beliebt vor allem bei Jugendlichen, die wohl das Kind im Manne erspürten und verehrten.

Während der Großen Depression befand sich Ruth’ Karriere bereits in der Endphase, doch noch immer stand er für die Vitalität des Landes, immer gut für eine amüsante Geschichte. So, als er in den frühen 1930ern die Frage, ob denn ein größeres Jahresgehalt als das des Präsidenten in so schweren Zeiten angemessen sei, mit dem Hinweis konterte, er habe ein besseres Jahr gehabt. Oder als 1932 während der World Series ein Handzeichen unmittelbar vor einem spielentscheidenden Home Run als Ankündigung desselben gedeutet wurde. War es wohl nicht, aber man traute es ihm halt zu.

Medal of Freedom von Trump
Das Karriereende kam im Mai 1935; ein Jahr später wurde Ruth mit vier weiteren Spielern in die neue Ruhmeshalle des Baseballs aufgenommen. Zu seinem Vermächtnis gehören zahlreiche Rekorde als Schlagmann, die teilweise bis heute Bestand haben. Doch vermutlich hätte er es – und dies macht ihn als Baseballspieler einzigartig – auch als Werfer in die Hall of Fame gebracht, wäre er dabei geblieben. Ein langes Leben nach der Karriere war ihm nicht beschieden, 1947 erlag er einer Krebserkrankung.

Ruth bleibt eine „einzigartige Figur in der amerikanischen Sozialgeschichte“, wie es einer seiner Biografen formulierte. Donald Trump verlieh ihm 2018 posthum die Presidential Medal of Freedom, die höchste zivile Auszeichnung der Vereinigten Staaten – eine der wenigen Maßnahmen dieses Präsidenten, die auf überparteiliche Zustimmung gestoßen sein dürfte. Baseball ist heute nicht mehr die beliebteste Sportart in den USA. Sollte es denn stimmen, dass sich das American Empire im Niedergang befindet, so wird man den Beginn dieses Abstiegs auf die Zeit des Vietnamkriegs und der Präsidentschaft Richard Nixons datieren, just die Jahre also, da Football begann, Baseball den Rang abzulaufen. Böse Zungen vermuten hier einen Zusammenhang. Eine Ikone von der Bedeutung eines Babe Ruth hat der American Football tatsächlich bis heute nicht hervorgebracht.


Buchtipp:

Claus Melchior Baseball – Kulturgeschichte eines amerikanischen Sports 256 Seiten, Verlag Die Werkstatt, 14,90 Euro, werkstatt-verlag.de