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Verbotene Vaterlandsliebe

Titelthema - Verbotene Vaterlandsliebe
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Deutschland braucht im Angesicht der russischen Bedrohung eine schlagkräftige Truppe. Nur woher sollen die Soldaten kommen, und wofür sollen sie kämpfen?

Klaus Schroeder01.04.2024

Seit nunmehr zwei Jahren führt Russland einen brutalen, mörderischen Krieg gegen die Ukraine. Er hat aufseiten der Ukraine nach aktuellen Angaben von Wolodymyr Selenskyj zu etwa 31.000 toten Soldaten geführt, die Zahl der gestorbenen Zivilisten nannte er nicht. Auf russischer Seite gebe es etwa 180.000 tote Soldaten. Russland bestätigte die Zahlen nicht, sondern machte niedrigere Angaben.


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Jenseits des aktuellen Krieges mit der Ukraine strebt Russland aber nach mehr: Das Land will wieder eine Weltmacht werden und nicht Regionalmacht bleiben. Der Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums soll überwunden und die alte Größe wiederhergestellt werden. Machthaber Putin schlüpft, zugespitzt formuliert, in die Schuhe – oder vielleicht auch nur in die Socken – von Stalin. Er strebt mehr an als nur die Inbesitznahme von Krim und weiteren Gebieten in der Ukraine – vor allem die baltischen Staaten sind ihm als Nato-Mitglieder ein Dorn im Auge. Insofern drohen seine Gefolgsleute sogar mit dem Einsatz von strategischen Atomwaffen.

Russlands Verhalten hat seine Anrainerstaaten elektrisiert: Polen rüstet auf, Finnland wurde Mitglied der Nato und inzwischen auch Schweden, nachdem Ungarn sich sein Votum wohl hat bezahlen lassen. Ungarn unter Orbán gilt als russenfreundlich.

Attacken auf die Deutschlandfahne

Wie sieht es angesichts dieser Lage in Deutschland aus? Eine Mehrheit in der Bevölkerung (61 Prozent) befürchtet eine Ausweitung des Krieges und fordert von der Bundesregierung militärische Sicherheit. Selbst der nicht gerade durch offene und entschlossene Worte und Entscheidungen aufgefallene Kanzler Olaf Scholz fordert eine Abschreckungspolitik gegenüber Russland: Deutschland und Europa sollten so stark sein, dass niemand es wage, sie anzugreifen. Eine Mehrheit in den Ampelparteien teilt seine Meinung, allenfalls Teile der Grünen Jugend schließen sich dieser Position nicht an.

AfD, Linkspartei und BSW, die neue Partei von Sahra Wagenknecht, argumentieren sehr zurückhaltend und fordern ein Ende der Waffenlieferungen an die Ukraine, was deren Niederlage bedeuten würde. Die Russenfreundlichkeit der ihrem politischen Ende entgegentrudelnden Linkspartei, des BSW und vor allem der AfD überrascht nicht, ist seit Längerem bekannt und ist von den anderen Parteien kritisiert worden. Insgesamt ein Drittel der Deutschen, vermutlich mehrheitlich aus den Reihen der AfD, wünscht sogar, Russland möge den Krieg gewinnen. Sie bewerten die USA negativer als Russland. In den Reihen der Russlandfreunde befindet sich auch der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder, der von Putin vermittelt über verschiedene russische Firmen jährlich Millionen Euro kassiert. Ein gegen ihn angestrebtes Parteiausschlussverfahren blies die SPD ab.

Wäre die Verteidigungsfähigkeit und Verteidigungsbereitschaft in Deutschland moralisch und materiell überhaupt gegeben? Das eigene Land zu verteidigen, weil man stolz auf seine liberal-demokratische Tradition ist und/ oder weil man sich als Patriot versteht, diese Haltung ist in Deutschland nur bedingt gegeben. Offenbar wirken Nationalsozialismus und Holocaust immer noch in der Weise nach, dass man auf Deutschland wegen dieser Vergangenheit nicht stolz sein darf oder kann.

Während andere Länder Stolz und Empathie für ihr Vaterland auch symbolisch mit ihrer Flagge demonstrieren – man denke beispielsweise an die Selbstverständlichkeit, mit der US-Amerikaner aus beiden politischen Lagern Fahnen an ihren Häusern hissen und damit ihren Patriotismus offen zeigen –, werden Fahnenträger in Deutschland eher misstrauisch beäugt, und es gibt so gut wie keine Häuser, an denen die Deutschlandfahne weht. Selbst während der Fußballweltmeisterschaft wurden vielfach die kleinen Deutschlandfahnen an Autos abgerissen, weil die deutsche Nation „überholt“ sei. Auf Demonstrationen werden diejenigen, die die Deutschlandfahne schwenken oder das Deutschlandlied singen, bestenfalls schief angesehen, oft aber bedroht oder geschlagen. So überlässt man den Rechtsextremisten die deutsche Fahne, die das bisher beste System auf deutschem Boden symbolisiert.

Ein weiteres deutsches Spezifikum ist die Kritik am Begriff Volk, die unterstellt, dass Personen, die vom Volk, gar dem deutschen Volk, sprechen, rechtsextrem sind. In dieser Logik wären Bundeskanzler, Bundespräsident und Minister allesamt rechtsextrem, denn in der Eidesformel, die sie bei ihrer Ernennung sprechen, heißt es unter anderem: „Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes (…) widmen werde.“

Woher kommt dieser Selbsthass, der kein weiteres Land kennzeichnet? Die deutsche Flagge und das Deutschlandlied gelten insbesondere in linken Kreisen als Symbole für Nationalsozialismus und – noch schlimmer – Faschismus. Sie setzen aus Naivität, Unwissenheit oder Dummheit Nationalismus und Patriotismus gleich. Tatsächlich unterscheiden sich Nationalisten und Patrioten fundamental. Erstere setzen auf die eigene Nation, weil sie sie für stärker und höherwertiger als andere Nationen halten, während Patrioten aus Vaterlandsliebe zu ihrem Land stehen, ohne andere Nationen abzuwerten.

Insbesondere die Generation der 68er übte massiv Kritik an der deutschen Nation und ihrer Verteidigungsbereitschaft, die sich nicht zuletzt vermittelt über den US-Militarismus und massive Kritik am Vietnamkrieg in einer Zunahme der Wehrdienstverweigerung äußerte. Für Wehrdienstverweigerer wurde West-Berlin zum Eldorado. Nach Schätzungen verlegten bis zur Einführung der Wehrpflicht im Jahr 1990 auch in Berlin zwischen 30.000 und 50.000 junge Männer ihren Erstwohnsitz nach West-Berlin, um dem Wehrdienst zu entkommen. Linksextreme Gruppen rufen bis heute bei der Vereidigung der Soldaten zu Protesten und Gewalt auf und beziehen sich auf die Ereignisse 1980 in Bremen. Dort wurden anlässlich des 25-jährigen Bestehens der Bundeswehr die Soldaten im Weserstadion vereidigt. Linke und linksextreme Gruppen aus der ganzen Bundesrepublik reagierten hierauf mit Randale und lieferten sich mit der Polizei eine stundenlange gewaltsame Straßenschlacht.

Ostdeutsch, westdeutsch, gesamtdeutsch?

Nicht zuletzt wegen der Übernahme von ehemaligen Wehrmachtsoffizieren gab es bei der Einrichtung der Bundeswehr Ende 1955 auch vonseiten der SPD massive Kritik. Sie erkannte zudem keine Bedrohung durch die Sowjetunion, sondern befürchtete eine weitere Spaltung Deutschlands durch die Wiederbewaffnung und den Nato-Beitritt.

Die nachhaltig durch die DDR sozialisierte ostdeutsche Bevölkerung ist bis heute durch einen starken Anti-Amerikanismus geprägt und fühlt sich zudem weniger (gesamt)deutsch denn ostdeutsch. Westdeutsche sehen sich dagegen mit breiter Mehrheit als Deutsche und nicht als Westdeutsche. Während Ostdeutsche bis heute – nicht zuletzt durch Kenntnisse der russischen Sprache aus dem Schulunterricht – einen stärkeren (positiven) Bezug zu Osteuropa und auch Russland haben, sind Westdeutsche seit den späten 1950er Jahren eher durch westliche (kulturelle) Einflüsse geprägt.

Um eine gewisse militärische Stärke eines Landes – im Rahmen der Nato – zu erreichen, muss eine Bereitschaft hierfür vorhanden sein. Diese ist angesichts des von Russland gegen die Ukraine angezettelten Krieges derzeit gegeben. Zur Verteidigungsfähigkeit gehört aber außer Patriotismus auch ein entsprechendes Equipment an Waffen und Soldaten. Durch deutlich gestiegene Ausgaben für die Verteidigung in den vergangenen Jahren – nicht zuletzt ein Verdienst des bei Umfragen derzeit beliebtesten Politikers Boris Pistorius – ist auch die Anschaffung und Wartung von Waffen kein Problem mehr. Die Forderung der Nato nach zwei Prozent des jeweiligen Haushalts für Verteidigungsausgaben werden von Deutschland finanziell erfüllt.

Das Problem ist die notwendige Rekrutierung von Soldaten, das heißt, die angestrebte Truppenstärke zu erreichen, die nach Vorstellung des zuständigen Ministers bei 200.000 liegen sollte. Tatsächlich beträgt sie derzeit nur etwa 180.000 – jede sechste Stelle ist nicht besetzt. Offenbar haben viele potenzielle Bewerber Angst, in einem (potenziellen) Krieg „verheizt“ zu werden. Das dürfte nicht zuletzt auf das russische Verhalten und Putins Drohungen, nicht vor der Nato haltzumachen, zurückzuführen sein. Aber auch die (unrühmliche) Rolle Deutschlands und die Erfahrungen der Soldaten bei den Auslandseinsätzen in Afghanistan und Mali wirken bis heute negativ nach.

Attraktivität der Bundeswehr erhöhen

Derzeit kommen Soldaten und Soldatinnen der Bundeswehr – gemessen an der Bevölkerungszahl – eher aus dem Norden und vor allem aus dem Osten Deutschlands, weniger aus dem Westen und kaum aus dem Süden, am wenigsten aus Baden-Württemberg und Bayern. Offenbar gibt es dort bessere berufliche Alternativen.

Die allgemeine Wehrpflicht setzte der Bundestag 2011 mit Blick auf Länder mit Berufsarmeen aus, allerdings nur für Friedenszeiten. Im Kriegsfall könnte sie wieder eingeführt werden. Die erneute Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht dürfte aber vorerst nicht realistisch sein. Sinnvoll wäre es, die Attraktivität der Bundeswehr als Arbeitgeberin zu verbessern, bestenfalls durch höhere Bezahlung und eine qualifizierte Ausbildung.

Als Fazit bleibt, dass eine Mehrheit der Bevölkerung zu unserem Land steht und es verteidigungsfähig sehen möchte. Ihr Traditionsbezug ist keineswegs die Wehrmacht des Nationalsozialismus, sondern die Friedenssicherung durch eine leistungsfähige Bundeswehr.

Wir sollten uns von einer lautstarken Minderheit nicht beeindrucken lassen, die der Bundeswehr Militarismus und falsche Traditionsbezüge unterstellt, sondern stolz auf eine Armee sein, die unsere militärische Sicherheit garantieren soll.