Titelthema
Vom Entertainment zum Massensport
Der DOSB hat E-Sport bislang nicht anerkannt. In den USA und in Asien jedoch füllen die Fans bereits riesige Arenen.
17. Juli 2022 – Kopenhagen. Ein letztes Mal legt sich ein Spieler aus dem Team von Umut Gültekin den Ball auf den Elfmeterpunkt. Vier Treffer hat er schon gemacht, und es fehlt ihm nur noch ein Tor. Dann die Erlösung: verwandelt. Was darauf folgt, sind eine unbändige Freude und lautes Getöse. Der Spieler von RB Leipzig hat nicht nur gerade 250.000 Euro gewonnen, sondern auch die Weltmeisterschaft. Umut steht nicht auf dem Platz, er ist an der Konsole. Er daddelt nicht, er hat seine Leidenschaft zum Beruf gemacht, er ist Fifa-Weltmeister im virtuellen Fußball geworden.
Der Fifa e World Cup ist eines der größten Events im E-Sport. Hinter dieser Bezeichnung verbirgt sich ganz einfach der elektronische Sport, welcher kompetitiv auf unterschiedlichen Plattformen ausgetragen wird. Auf der Konsole oder dem PC, mittlerweile sogar mobil auf Smartphone oder Tablet. In Asien ist der E-Sport eine anerkannte Sportart, die im TV und generell im Entertainment nicht mehr wegzudenken ist. Ganze Arenen füllen die Veranstaltungen rund um die virtuellen Wettbewerbe. Dahinter folgen die USA und Europa, wobei auch in weiteren Teilen der Welt E-Sport eine eingetragene Sportart ist. In Deutschland ist das nicht der Fall, hier befindet sich die Branche noch im Aufbau, denn der lange prophezeite Boom verläuft schleppend. Hierzulande tut man sich schwer, ein nachhaltiges E-Sport-Konzept zu entwickeln, welches auch in alle Branchenzweige reicht.
E-Football als Teil des E-Sport-Universums
Wie im traditionellen Sport bieten auch die virtuellen Varianten verschiedene Kategorien: Es gibt Sport-Games wie zum Beispiel Basketball oder Rennsport, sogenannte MOBAs (Multiplayer Online Battle Arena), zu denen etwa Dota 2 (eine Weiterentwicklung von Warcraft 3) und League of Legends zählen, Strategiespiele, Shooter und E-Football, welcher als Überbegriff für den virtuellen Fußball dient. Finanziert wird die Branche vor allen durch Werbung und Sponsoring. Außerdem wird dem E-Sport ein großer Inklusionsvorteil zugesprochen, da der Sport kaum physische Hürden mit sich bringt. Da es auch keine genderspezifischen Einschränkungen gibt, können Frauen und Männer ebenfalls zusammenspielen. In der Praxis wird das allerdings eher schleppend umgesetzt, da es Frauen trotzdem nicht leichtfällt, in der Branche Fuß zu fassen, und ein Großteil der E-Sportler immer noch männlich ist.
Was bei uns in Deutschland noch in der Findungsphase ist, hat online und international schon längst die Massen erreicht. Dieser Erfolg macht sich auch bei den Preisgeldern bemerkbar. „The International“ ist eines der größten E-Sport-Events und wird mit dem Spiel Dota 2 ausgetragen. 2022 wurden im Finale insgesamt rund 18,9 Millionen Dollar Preisgeld ausgeschüttet. 2021 waren es sogar rund 40 Millionen Dollar, wovon das Siegerteam allein 18 Millionen einstreichen konnte. Im Vergleich zu diesen Summen wirkt der Gewinn bei einer Fifa-Weltmeisterschaft fast schon nichtig, aber die E-Sport-Branche konnte – vor allem in Deutschland – in den vergangenen zehn Jahren eine starke Entwicklung verzeichnen, was auch am Interesse vieler Fußballvereine liegt, die sich immer stärker mit dem virtuellen Sport beschäftigen.
Monopolstellung: EA und die Fifa trennen sich
Hauptantreiber dafür ist die renommierte Fußballsimulation Fifa von Spielehersteller EA Sports. Das Spiel enthält alle Lizenzen der namhaften Fußballligen und vermittelt so ein authentisches Spielerlebnis. In diesem Jahr wird sich EA Sports allerdings vom Fußball-Weltverband Fifa lösen und sein eigenes Spiel auf den Markt bringen: EA Sports FC. Angst vor Verlusten muss EA vermutlich nicht haben, denn alle wichtigen Lizenzen hat sich der Entwickler bereits gesichert. Was die Fifa macht, ist bisher noch unklar. Als Platzhirsch in dem Genre hat sich EA Sports eine Monopolstellung im E-Football aufgebaut. So richtet der DFB seit 2020 den DFB-E-Pokal, das virtuelle Pendant des traditionellen DFB-Pokals, aus. Die DFL hat zudem die Virtual Bundesliga (VBL) ins Leben gerufen, die es bereits seit 2012 gibt. Insbesondere Letztere, die einen ähnlichen Aufbau wie die normale Bundesliga hat, ist ausschlaggebend für die Entwicklung der deutschen E-Football-Szene. 2021 wurde die VBL in die DFL-Statuten aufgenommen. Damit geht einher, dass jeder Bundesligaverein ein E-Sport-Team stellt. Die VBL-Teilnahme wird als sogenanntes B-Kriterium aufgenommen – nicht essenziell oder existenziell, aber grundlegend vorgeschrieben.
Vereine gründen eigene Abteilungen
Den E-Sport mit traditionellem Sport in Einklang zu bringen ist eine große Herausforderung. Dabei bietet der E-Football eine großartige Brücke. Als der Kicker 2014 begann, über E-Sport zu berichten, wurde das Thema auch bei vielen Agenturen aufgeworfen, es wurden Fallbeispiele der Berichterstattung aus den Medien herangezogen, um Vereinen das Potenzial dieser Branche zu präsentieren. Immer mehr Vereine haben sich in der Zeit dem Thema geöffnet. Die größte Hürde ist dabei das Verständnis und die Umsetzung. Neue Strukturen in den Vereinen zu schaffen oder Hilfe von außen zu holen war am Anfang für manche Vereine nicht einfach, doch über die Jahre hinweg hat sich die Darstellung der Bundesligisten im E-Sport stark professionalisiert. Abteilungen für den E-Sport wurden gebildet, die Spieler bekommen teilweise sogar Mediatraining und profitieren stark von den bereits vorhandenen Möglichkeiten des Vereins. Beispiele wie Eintracht Frankfurt, Werder Bremen, FC St. Pauli oder RB Leipzig haben gezeigt, wie man sich erfolgreich im E-Sport etablieren kann. Die Eintracht ist nicht nur im E-Football, sondern ebenso in League of Legends aktiv und zeigt auch in der Nachwuchsarbeit große Bereitschaft.
Der Breitensport ist im E-Sport noch sehr schwach ausgeprägt. Deutlich mehr politische Unterstützung könnte der Szene auch helfen, stärker in den Jugendbereich zu investieren, um von Sponsoren und Vereinen unabhängiger zu werden. Damit der E-Sport in Deutschland auch weiterhin in verschiedenen Sparten wachsen kann, müsste noch an so einigen weiteren Stellschrauben gedreht werden. Der deutsche E-Sport-Markt bietet sehr viele noch unentdeckte Möglichkeiten und Chancen. Nutzt man diese, könnten noch mehr Geschichten wie die von Umut Gültekin geschrieben werden, der im letzten Jahr nicht nur die Fifa-E-Weltmeisterschaft gewonnen hat, sondern auch zum dritten Mal in Folge „Kicker e-Footballer des Jahres“ wurde.
2011
ging Twitch in San Francisco online und wurde schnell zur beliebten Plattform für Streamer auf der ganzen Welt
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Millionen Nutzer tummeln sich hier täglich, Twitch ist damit die beliebteste Streaming-Plattform für Livestreams, E-Sport-Events und Kommunikation
Nicole Lange ist seit über 20 Jahren in der Gaming-Szene aktiv. Als Produktmanagerin eSport koordiniert sie alle Bereiche des „Kicker“ rund um virtuelle Wettbewerbe.
kicker.de