Titelthema
Von ganz links aus betrachtet ist alles ziemlich rechts
In Österreich haben die Rechtspopulisten die Wahlen gewonnen, alles wundert sich über den starken Rechtsruck. Möglicherweise ist es aber so, dass die Politiker viel stärker nach links gerutscht sind als die Wähler nach rechts.
Österreich hat gewählt. Und das auch noch ziemlich „rechts“, wie in ganz Europa analysiert wurde. Das Wahlergebnis vom 29. September 2024 war nicht nur aufsehenerregend, es war auch historisch – und das in mehrfacher Hinsicht: Erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik landete die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) bei einer bundesweiten Wahl auf Platz eins. Noch nie zuvor verlor eine Partei so viele Stimmen wie die Österreichische Volkspartei (ÖVP), die nach dem Abgang von Sebastian Kurz (2021) auf Platz zwei abstürzte. Die Sozialdemokraten mussten sich erstmals in ihrer Parteigeschichte mit Platz drei begnügen und verfehlten damit meilenweit ihr Ziel, wieder ins Kanzleramt einzuziehen. Ihr strammer Linkskurs brachte zwar ein paar Funktionärsaugen zum Glänzen, bei den Bürgern verfing er nicht. Historisch fiel auch das Wahldebakel der Grünen aus, sie verloren 40 Prozent ihrer Wähler, womit sie von den sozialliberalen Neos auf Platz fünf verdrängt wurden.
Hören Sie hier den Artikel als Audio!
Einfach anklicken, auswählen und anhören!
Kickl will, aber kann nicht regieren
Während die Spitzen der Freiheitlichen noch ihren Triumph in der Wiener Innenstadt feierten, gingen bereits die ersten besorgten Bürger auf die Straße, um gegen den „Rechtsruck“ im Land zu protestieren. Schon wenige Tage später kam es dann zur ersten großen „Donnerstagsdemo“ in Wien, mit geschätzten 25.000 Beteiligten. Das Format ist den Bürgern Österreichs aus den frühen 2000er Jahren in bester Erinnerung, als über Jahre hinweg Tausende in der Bundeshauptstadt gegen die Regierungsbeteiligung der Freiheitlichen demonstrierten, die der ÖVP den Juniorpartner machten. Dabei hat die FPÖ heute keine realistische Chance auf eine Regierungsbeteiligung. Nicht trotz, sondern wegen ihres klaren Wahlsieges. So hat FPÖ-Chef Herbert Kickl bereits klargemacht, dass es eine Regierungsbeteiligung seiner Partei nur mit ihm als Kanzler gäbe. Nur will niemand Herbert Kickl zum Kanzler wählen. Das hat mit der Geschichte des Landes zu tun, aber auch mit der scharfen Polemik, mit der Kickl in den vergangenen Jahren viele vor den Kopf gestoßen hat.
Wäre die FPÖ Zweite geworden, hätte es mit hoher Wahrscheinlichkeit die Neuauflage einer schwarzblauen Koalition mit der ÖVP gegeben. Die Volkspartei hat aber selbst die Möglichkeit, neuerlich ins Kanzleramt einzuziehen, sofern es ihr gelingt, eine Koalition mit den Sozialdemokraten und den Neos zu schmieden. Die SPÖ dient sich der ÖVP geradezu an, die auch ihre einzige Option ist, zumal die Sozialdemokraten seit den 1990er Jahren eine Koalition mit der FPÖ kategorisch ausschließen, obwohl die beiden Parteien in sozialpolitischen Fragen auf einer Linie liegen. Womit alles auf eine Dreierkoalition aus ÖVP, SPÖ und Neos hinausläuft. Das alles könnte die Empörung vieler aufgebrachter Bürger dämpfen. Tut es aber nicht. „Ein Drittel des Volkes will eine faschistische Partei an der Macht – ja, an der Macht, nicht allein in der Regierung. Am besten allein in der Regierung, damit sie alle Macht hat, uns zu ruinieren“, wie die linke Filmemacherin Ruth Beckermann gegenüber dem Wiener Standard nicht ganz ohne Emotionen analysierte. Ausländische Medienvertreter wiederum fragen sich, wie es möglich ist, dass in einem derart reichen Land, mit einem so breiten Massenwohlstand und einem so gut ausgebauten Sozialstaat wie in Österreich so viele Menschen so zornig wählen können. Wie also ist dieser „enorme Rechtsruck“ zu erklären?
Staatlicher Dirigismus
Vielleicht damit, dass die Österreicher gar nicht so weit nach rechts gerückt sind, sondern die Politik in den vergangenen Jahren sehr weit nach links abgedriftet ist: Die konservativ geführte Regierung gibt seit Jahren das Geld der Steuerzahler aus, als wäre sie bei den Sozialdemokraten in die Lehre gegangen. Die liberale Opposition propagiert ein staatliches Grunderbe von 25.000 Euro für jeden 18-Jährigen, während fünfköpfigen Zuwandererfamilien von der Wiener Sozialhilfe 4000 Euro netto im Monat bezahlt werden, womit selbst eingefleischte Sozialdemokraten ein größeres Problem haben. Seit Jahren werden die individuellen Rechte der Bürger beschnitten, als lebten sie im blühenden Volkssozialismus der Nachkriegszeit. Die Politik legt fest, welche Technologien sich durchsetzen, welche Heizungen die Menschen einzubauen, welche Autos sie zu fahren und wie sie gefälligst ihre Unternehmen zu führen haben. Nahezu im Wochentakt werden den Betrieben neue Regulierungen zugestellt. Auf unzähligen Seiten werden sie in epischer Breite vom Staat darüber belehrt, wie sie ihre Geschäfte zu führen, welche Bewerber sie bei Einstellungsgesprächen zu bevorzugen haben und welche Verhaltensregeln ihre Lieferanten erfüllen müssen, damit sie überhaupt liefern dürfen. Vertragsfreiheit war gestern, staatlicher Dirigismus ist heute.
Alles rassistisch motivierte Panikmache?
Von mündigen Bürgern wird erwartet, sich von gewählten Volksvertretungen und einer Heerschar von Medienschaffenden zu besseren Menschen (um)erziehen zu lassen. Wer im Zuge der unkontrollierten Migration eine Debatte über die Grundsätze unserer Verfassung für nicht ganz verkehrt hält, gilt als hinterwäldlerischer Reaktionär, der in Lederhosen durch die Gegend hüpft und gern Marschmusik hört. Wer leise Zweifel daran anmeldet, dass Zuwandernde grundsätzlich eine bunte Bereicherung unseres trostlosen Lebens seien – egal, woher sie kommen, was sie können und wie radikal sie ihren Glauben leben –, steht unter dem dringenden Tatverdacht, mit rechtsradikalen Zirkeln zu sympathisieren. Leistung wird nicht mehr als solidarischer Beitrag zum Gelingen des Staatsganzen verstanden, sondern als unzumutbare Bedrohung für die weniger Leistungsfähigen, die sich durch die Existenz der Starken erst richtig schwach fühlen. Erwachsenen Menschen wird erklärt, wie sie mit ihren Mitbürgern zu sprechen haben, insbesondere dann, wenn sie einer Minderheit angehören.
Mit alldem können immer weniger Menschen mit. Die meisten von ihnen sind nicht nach rechts abgerutscht, sie stehen immer noch dort, wo sie schon bei der letzten Wahl gestanden sind: in der politischen Mitte. Sie wollen keinen radikalen Umsturz. Sie wollen auch keine Abschottung und keine „Festung Europa“, weil sie wissen, dass eine schrumpfende Bevölkerung wie die österreichische Migration braucht. Sie würden aber ganz gerne mitentscheiden, wer ins Land kommt und wie die Regierung gedenkt, den mittlerweile nicht mehr zu leugnenden Asylmissbrauch einzudämmen. Die Menschen wollen einen guten Job, von dem sie und ihre Familien leben können. Sie wollen in Ruhe ihre kleinen Unternehmen führen, ohne von der staatlichen Bürokratie erdrückt zu werden. Sie wollen gute Schulen für ihre Kinder, damit diese als Erwachsene ein selbstbestimmtes Leben führen können. Sie fänden es auch ganz in Ordnung, wenn der nächtliche Spaziergang durch den unbeleuchteten Park mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit damit verbunden wäre, wieder unbeschadet nach Hause zu kommen. Und ja, sie hätten auch nichts dagegen, wenn der Staat die Kontrolle über die Außengrenzen des Landes wiedererlangen würde.
Das alles sind keine unverschämten Anforderungen, wie ich meine. Die Bürger wissen auch, dass die FPÖ für all das keine Lösungen im Angebot hat und dass sie sich immer wieder in Skandale verstrickt. Aber sie erklärt den Bürgern nicht, dass die Probleme mit der Migration nur ausländerfeindliche Hirngespinste sind. Während alle anderen Parteien den verheerenden Fehler gemacht haben, das Thema exklusiv den Freiheitlichen zu überlassen und alle mit der Zuwanderung einhergehenden Herausforderungen konsequent zu leugnen oder als rassistisch motivierte Panikmache zu brandmarken, spielt die FPÖ das Thema seit Jahren mit voller Lautstärke. Mit offensichtlichem Erfolg. Es sind nämlich keine diffusen Ängste mehr vor Zuwanderern, vielmehr sehen die Menschen die Folgen der Migration aus nächster Nähe: in den öffentlichen Verkehrsmitteln, den Parks, den Innenstädten und vor allem in den Schulen. In den Wiener Pflichtschulen sprechen mittlerweile 70 Prozent der Kinder im Alltag nicht mehr vorwiegend deutsch, monatlich kommen in der Bundeshauptstadt 15 Schulklassen mit jungen Syrern hinzu, die mit ihren Familien zusammengeführt werden. Sie werden in Containerklassen untergebracht, die auf Sportplätzen aufgestellt werden. Nicht in den gentrifizierten Bezirken „Bobostans“, sondern in den Flächenbezirken der Arbeiterschaft. Das sind auch jene, in denen dann kräftig FPÖ gewählt wird, während in den schicken Stadtbezirken noch die Sozialdemokraten die Nase vorn hatten.
Das einzige Mittel ist gute Politik
Und dann wäre da noch die nicht existente Aufarbeitung der Coronazeit. Viele haben der Bundesregierung weder den exzessiven Freiheitsentzug noch den Impfzwang verziehen. Deshalb wurde die FPÖ zur neuen Volkspartei, zur „Catch-All-Party“, wie das der Wiener Meinungsforscher Peter Hajek formuliert. Die Partei lag nicht mehr nur bei den Modernisierungsverlierern und den Arbeitern vorne, sondern auch bei den Angestellten. Selbst die traditionell eher links wählenden Frauen stimmten dieses Mal öfter für die FPÖ als für alle anderen Parteien. Nur in den großen Städten und bei den Pensionisten landeten die Freiheitlichen nicht auf Platz eins. Ob das so bleibt, hängt vor allem von der künftigen Regierung ab. Gegen die FPÖ hilft keine Brandmauer, sondern nur eine vernünftige Regierungspolitik. Breite Wählerschichten wählen schließlich nur deshalb die Parteien an den rechten und linken Rändern, weil die demokratische Mitte nicht mehr liefert.
Dr. Franz Schellhorn studierte Wirtschaftswissenschaften und leitet seit 2013 den liberalen Thinktank Agenda Austria. Davor war er Mitglied der Chefredaktion der Tageszeitung „Die Presse“ und leitete dort bis 2013 das Wirtschaftsressort.