https://rotary.de/gesellschaft/von-gott-gemacht-fuers-volk-a-23289.html
Titelthema

Von Gott gemacht – fürs Volk

Titelthema - Von Gott gemacht – fürs Volk
© Illustration: Brian Stauffer

Man muss den ehemaligen und vielleicht zukünftigen Präsidenten live erleben, um seine hypnotische Wirkung auf das Publikum zu verstehen.

David Signer01.03.2024

Die große Frage, wenn man die Möglichkeit hat, Donald Trump live zu sehen, ist: Wird man dabei endlich besser verstehen, warum er so viele Amerikaner fasziniert und begeistert? Wird man sein viel beschworenes Charisma spüren? Die Antwort ist: Ja. Aber der Reihe nach.

Sein Auftritt in der Kleinstadt Clinton in Iowa ist für 16 Uhr angekündigt. Bei unserer Ankunft um 13 Uhr hat sich bereits eine endlose Schlange vor dem Schulgebäude, in dem er seine Rede halten soll, gebildet. Nach zwei Stunden Anstehen bei Minustemperaturen schickt die Polizei das letzte Drittel der Wartenden weg, weil sich abzeichnet, dass der Platz in der Turnhalle nicht ausreicht. Immerhin wurden entlang der Schlange Stände aufgestellt, an denen man sich mit Fan-Artikeln versorgen kann. Die üblichen Mützen liegen aus, mit Sprüchen wie „2024 – I’ll be back“ (auch in rosa für die weiblichen Fans), und T-Shirts mit der Konföderierten-Flagge oder mit Trump in einer Lederjacke auf einer gigantischen Harley-Davidson; daneben gibt es neuere Slogans wie „F..k Biden“, „We the people are pissed off“ oder – speziell für die vielen Evangelikalen in Iowa –: „Jesus is my Savior – Trump is my President“.

Um 16 Uhr, wenn man endlich drin ist, muss man weitere zwei Stunden im Vorraum warten; und dann nochmals anderthalb Stunden in der Turnhalle, unterhalten von Trumps Wahlkampfvideos und der Musik von Elton John und Michael Jackson – nicht gerade Sänger, die man spontan mit Trump verbinden würde. Aber niemand beschwert sich über die Warterei.

Bemerkenswert ist die Normalität des Publikums. Aus den Medien könnte man manchmal den Eindruck gewinnen, bei den Trump-Anhängern handle es sich um eine Ansammlung von Freaks. Zumindest in Clinton ist das nicht so. Etwa ein Drittel sind Frauen, auch auffallend viele Jugendliche sind dabei. Viele erwecken den Eindruck, sich gar nicht besonders für Politik zu interessieren. Im Vordergrund stehen das Gemeinschaftserlebnis und der Unterhaltungswert; man hätte genauso gut zu einem Pop-Konzert oder zu einem Sport-Event gehen können.

Da sind zum Beispiel die etwa 30-jährigen Brüder Daniel und David. Sie leben davon, das Land ihrer Eltern zu verpachten. David trägt stolz ein Cap, das auf einer früheren Veranstaltung von Trump signiert wurde. Auf die Frage, was sie denn so toll an Trump fänden, wissen sie nichts zu antworten. Schließlich erwähnen sie seine „Lösung des Nordkorea-Problems“ und dass er „authentisch rüberkommt“. Lieber sprechen sie dann über Autos und Motorräder. Zum 6. Januar meinen sie, wahrscheinlich habe es bei der Wahl schon ein bisschen Betrug gegeben, vielleicht sei es auch ein „inside job“ des FBI gewesen, aber man wisse es nicht genau.

Dann kommt Trump endlich. Er sagt, nach seinem Auftritt in Newton habe es Probleme mit dem Flugzeug gegeben, sodass sie das Auto hätten nehmen müssen. Seine Berater hätten deshalb empfohlen, den Auftritt in Clinton abzusagen. „Aber ich konnte euch doch nicht hängen lassen!“ Jubel im Publikum.

Nach wenigen Sätzen hat er die Zuhörer im Sack, das lange Warten ist vergessen. Für Schenkelklopfer sorgt eine Kabaretteinlage, bei der er Biden imitiert, der auf der Bühne herumirrt und die Treppe sucht. Wie ein Pop-Star interagiert er mit dem Publikum. Typisch ist seine Geste, mit dem Finger auf einzelne Zuhörer zu zeigen und sie direkt anzusprechen. Auch redet er immer von „wir“: „Wir kehren ins Weiße Haus zurück.“

Leutselig und jovial

Bei seinen Reden ist er offensichtlich in seinem Element. Er spricht aus dem Stegreif, genießt das Erzählen, die Polemik, die Witze, die Lacher. Wie im Theater spricht er ganze Dialoge nach, zum Beispiel die Forderung an den mexikanischen Präsidenten, für die Grenzmauer zu zahlen. Oder die „Deals“ mit Xi oder Kim Jong Un, die als Kasperlefiguren erscheinen. Selbst wenn man ihm inhaltlich nicht beipflichtet, muss man zugeben, dass er dramaturgisch und rhetorisch brillant ist. Komplexe Außenpolitik wird heruntergebrochen auf einen Basar, auf einen verbalen Schlagabtausch, auf eine absurde „Muppet Show“. So wird selbst Geopolitik zum Gaudi.

Vieles hat man schon gehört. Trump spielt wie ein Jazzmusiker auf der Klaviatur der brisanten Themen; er hat seine Standards und Akkordfolgen, über die er dann improvisiert. In Clinton scheint er gut gelaunt zu sein. Er gibt sich leutselig und jovial. Für alle findet er noch ein gutes Wort, um es dann gegen die Person zu wenden. Xi ist schlau, aber man muss aufpassen bei ihm. Jimmy Carter war ein guter Präsident, verglichen mit Biden.

Den 6. Januar streift er nur kurz. Die Verhafteten bezeichnet er als Geiseln. Aber sowohl für ihn wie für seine Anhänger scheint das damalige Geschehen bloß eine unwichtige Episode gewesen zu sein, schon fast vergessen, nicht der Rede wert.

Auch Christliches hört man an diesem Tag nicht von ihm, außer dem obligaten „God bless America“. Während Ron DeSantis unermüdlich durch Iowa tourte und sich als Vorzeigechrist präsentierte, braucht sich Trump offenbar nicht um sein religiöses Image zu kümmern. Zwar wird vor seinem Auftritt ein absurdes Video eingespielt mit dem Titel „God made Trump“, in dem erklärt wird, dass Gott persönlich im Jahr 1946 Trump erschaffen habe, um Amerika zu erretten. Aber er selbst gibt sich zumindest in Clinton keine Mühe, den Frommen zu spielen. Er hat das nationale Recht auf Abtreibung zu Fall gebracht, das sollte reichen.

Ein herausragender Entertainer

Immer wieder sagt er, er vertrete lediglich den gesunden Menschenverstand. So hätten die USA unter Biden de facto gar keine Grenze mehr. Ein Land brauche aber Grenzen. „Ist diese Feststellung extrem? Nein, es ist Common Sense.“ Es ist faszinierend, wie ansteckend, ja hypnotisierend seine Präsenz und seine Rede wirken. Nach einer Stunde ertappt man sich selbst beim Gedanken, Trump werde vielleicht zu sehr dämonisiert, eigentlich sei er doch ein netter Kerl. Die Frage, ob auch stimmt, was er sagt, wird auf einmal seltsam unwichtig.

Auf jeden Fall wird nach so einem Live-Erlebnis klar, warum viele Amerikaner hingerissen sind von ihm. Man kann es nihilistische Demagogie und Populismus nennen oder einfach feststellen, dass er ein genialer Entertainer ist – um Längen besser als Haley, DeSantis und Biden.

Beim Hinausgehen tauchen Daniel und David wieder auf. Nach der Rede hat Trump auch Daniels Cap signiert. Daniel zeigt es wie eine Trophäe herum, zum Beweis dafür, wie nahe sich die beiden, zumindest für einen Moment, kamen. Sie leben zwar in völlig unterschiedlichen Welten, aber Daniel hat das Gefühl, eigentlich seien sie „buddies“, Donald und er.

Dieser Artikel ist zuerst erschienen in der „Neuen Zürcher Zeitung“.

David Signer

David Signer ist promovierter Ethnologe und unternahm jahrelang Feldforschungen in Westafrika. Seit 2020 ist er Nordamerika-Korrespondent mit Sitz in Chicago für die „Neue Zürcher Zeitung“, vorher lebte er als Afrika-Korrespondent im Senegal.

© Katja Müller